Die Angehörigen merken: Mit Opa geht’s zu Ende. Ins Krankenhaus möchte er aber nicht, sondern einfach friedlich zu Hause sterben. Klingt schön – ist aber für uns Ärzte ein juristischer Albtraum. Meine Erfahrungen damit.
Viele Menschen möchten lieber zu Hause sterben, sterben aber letztlich im Krankenhaus. Das ist seit Jahren bekannt, doch es gibt viele Dinge, die dem gewünschten Tod zu Hause entgegenstehen, wobei es hier jetzt um das Problem der Schmerz- und Betäubungsmittelversorgung gehen soll.
Nehmen wir zum Beispiel eine akute Verschlechterung bei einem alten (> 85 Jahre), multimorbiden Patienten mit einer bisher kompensierten Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Diabetes, Arthrose, leichter Demenz, keine bekannte Tumorerkrankung. Wohnt bislang zu Hause mit etwas Unterstützung der Kinder, die in der Nachbarschaft wohnen und helfen. Keine zum Tode führende Erkrankung bekannt. Trotzdem kommt es an einem Wochenende zu einer akuten Verschlechterung mit massiven Schmerzen und die Angehörigen merken: Es geht zu Ende. Sie wissen, dass der Patient nicht mehr ins Krankenhaus möchte. Wie geht es jetzt weiter?
Bei solchen Patienten versuchen wir in der Hausarztpraxis, über unser Palli-Handy zu helfen und notfalls mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, damit die Patienten bis zum Schluss zu Hause versorgt werden können. Aber schon so gehe ich mit diesem Palli-Handy an meine persönlichen Grenzen, weil es einfach kein Abschalten vom Beruf ermöglicht. Auch ich habe das Recht, mal mit meiner Familie einen Ausflug am Wochenende zu machen. Deswegen kann ich diese Nummer schlecht an sämtliche Patienten oberhalb einer gewissen Alters- und Krankheitsschwelle geben (das sind einfach viel zu viele), sondern versuche, hier abzuwägen. Mal ganz abgesehen davon, dass hier auf dem Dorf die Nummer auch schon bei Leuten landet, die sie dann vom Nachbarn und nicht von uns bekommen haben.
Gibt es Alternativen? Der KV-Notdienst wäre der offizielle Ansprechpartner. Aber da gehen die Probleme schon los. Die Regeln, um Betäubungsmittel wie Morphin dabeizuhaben, sind streng. Und wenn man nicht in eigener Praxis selbständig ist, scheuen viele, Morphin oder entsprechende Rezepte mit sich zu führen, denn die Aufbewahrung ist streng geregelt (z. B. Tresor). Bei den Rezepten besteht zusätzlich das Problem, dass man erst zur zuständigen Notfallapotheke fahren muss, die bei uns oft außerhalb unseres Bezirks liegt, den ich aber im Dienst nicht verlassen darf. Und nicht immer sind die Angehörigen mobil genug, diese Medikamente schnell selbst zu besorgen.
Ja, es gibt die juristische Möglichkeit, auf einem normalen Rezept ein BtM als Notfallverordnung zu verschreiben – aber dann muss zeitnah ein richtiges BtM-Rezept in der Apotheke mit einem Vermerk „N“ nachgereicht werden. Also müsste man doch BtM-Rezepte zum Nachreichen haben und ich weiß, dass das mehreren Dienstärzten einfach zu viel Aufwand ist. Theoretisch könnte ja auch der zu vertretende Arzt dann sein BtM rausgeben. Aber: Nicht jeder KV-Arzt (z. B. Dermatologe) hat BtM-Rezepte und liefert die dann auch entsprechend nach – denn es hat ja eigentlich ein anderer Arzt verschrieben. Manche Ärzte haben auch Vorbehalte gegen Morphine, selbst in der Sterbephase. Also ist die für den Arzt einfachste und sicherste Lösung: kein Morphin, kein Problem.
Manche Angehörige wählen dann die 112, aber der Rettungsdienst müsste ja dann mit Notarzt ausrücken und der Notarzt kann in solchen Situationen nicht so lange vor Ort bleiben, um sich um diese oft längere und gesprächsintensive palliative Situation zu kümmern. Sie können den Patienten dann (was glaube ich am häufigsten geschieht) höchstens mit ins Krankenhaus nehmen. Das führt dann aber zum Sterben im Krankenhaus statt zu Hause.
Bei Patienten, bei denen sich das Lebensende vorher langsam abzeichnet, werden oft Notfallboxen empfohlen, damit z. B. auch Angehörige oder der Pflegedienst notfalls was gegen Schmerzen geben können (mit entsprechendem Medikationsplan). Wobei sich da zumindest bei uns auch eine etwas paradoxe Situation ergibt: Ich muss dann für diese Medikation ein BtM-Rezept ausfüllen und schreibe dann die kleinste Packungsgröße auf: 5 Ampullen à 10 mg Morphin und meistens auch noch 5 Ampullen Midazolam zur Abschirmung in der Sterbephase. Davon werden häufig 3–4, wenn nicht sogar alle 5 weggeworfen. Aber das ist die einzige Möglichkeit, die ich momentan sehe. Ich darf ja keine Ampullen einfach so dalassen, sondern kann nur für die Sterbephase verschreiben, aber falls der Patient dann eines Tages einfach tot im Bett liegt, muss alles fachgerecht entsorgt werden. Zurücknehmen darf selbst die versiegelte, ungeöffnete Packung weder die Apotheke noch ich selbst.
Ja, ich habe von Kollegen gehört, die das anders handhaben, die Ampullen im Tresor einschließen und im Notfall verwenden, aber nach allem, was ich weiß, gibt es dafür keine legale Möglichkeit. Ob das dann im Patientenhaushalt besser aufgehoben ist? Wahrscheinlich nicht immer. Ich thematisiere gerade BtM auch immer, wenn Kinder im Haushalt sind, aber es ist dann Sache der Patienten und Angehörigen, alles sicher aufzubewahren und später zu entsorgen. Es ist also nicht einfach. Und das sind nur die Probleme rund um die Schmerzmittelversorgung am Lebensende. Auf das Thema psychische Belastung gehe ich gern noch mal in einem anderen Artikel ein, aber das wird dann hier zu lang.
Mir tut es immer wahnsinnig leid, wenn wir Patienten den Wunsch, zu Hause zu sterben, nicht erfüllen können. Aber es ist oft zu kompliziert – und bevor man sich als Arzt auf juristisch dünnes Eis begibt, kann ich auch die Kollegen verstehen, die dann blocken und ans Krankenhaus verweisen. Wir wollen alle helfen, aber zusätzlich zum menschlichen Leid, mit dem man dann konfrontiert ist, auch noch dauernd juristisch aufpassen zu müssen, ist einfach sehr schwierig. Viele Lösungen sehe ich mit den aktuellen Vorgaben nicht. Vielleicht wird das Nachreichen einfacher, wenn das elektronische BtM-Rezept kommt. Dann kommt es darauf an, wo gerade die Notfallapotheke ist. Gut in der Stadt mit kurzen Wegen, schlecht auf dem Land, wenn die Notfallapotheke mal wieder 20–30 km entfernt ist.
Bis dahin bin ich froh, dass zumindest unser Krankenhaus sich da immer sehr bemüht, den Sterbenden möglichst zu helfen mit einer guten palliativ-medizinischen Betreuung. Das entspricht dann vielleicht nicht ganz dem Wunsch der Patienten, aber immerhin sagen uns trotzdem viele Angehörige, dass es so ok war. Mehr ist wohl gerade nicht drin.
Bildquelle: Tom Barrett, unsplash