Bei der Alzheimer-Krankheit gehen die molekularen Veränderungen im Gehirn der Betroffenen dem Auftreten der Symptome lange voraus. Jetzt haben Forscher herausgefunden, dass junge Menschen mit einem Risiko-Gen für Alzheimer noch keine Spuren der Krankheit zeigen.
Erste klinische Symptome treten bei den meisten Alzheimer-Patienten im Alter von 70 bis 80 Jahren auf. Zwar weiß man seit einiger Zeit, dass molekulare Veränderungen im Gehirn der Betroffenen wohl schon viel früher einsetzen, doch bisher ist immer noch unklar, wann genau die ersten senilen Plaques und fibrillären Ablagerungen entstehen. Ein Forscherteam der Universität Erlangen-Nürnberg konnte nun zeigen, das junge Menschen trotz genetischer Vorbelastung noch keine Zeichen der Alzheimer-Krankheit aufweisen. Wie die Wissenschaftler um Professor Piotr Lewczuk im Journal of Alzheimer’s Disease berichteten, ließen sich im Blut der Probanden keine für die Krankheit spezifischen Biomarker-Muster aufspüren.
An der Studie nahmen 173 Freiwillige mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren teil. Sie wurden von Lewczuk und seinen Mitarbeitern in drei Gruppen eingeteilt – je nachdem welche Variante des APOE-Gens sie trugen. Dieses Gen enthält die Bauanleitung für das Apolipoprotein E, das im Fettstoffwechsel eine wichtige Rolle spielt. Träger der APOE-Variante Epsilon-4 haben ein erhöhtes, Träger der Variante Epsilon-2 ein erniedrigtes Risiko an Alzheimer zu erkranken. „Die am meisten verbreitete Variante Epsilon-3 hat wahrscheinlich keinen Einfluss auf die Krankheit. Genetische Risikofaktoren sind im Gegensatz zu nicht-genetischen Risikofaktoren leichter zu detektieren und zu quantifizieren, außerdem wirken sie von Geburt an“, sagt Lewczuk, Leiter des Labors für Klinische Neurochemie und Neurochemische Demenzdiagnostik der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen. Nach Einteilung der Gruppen untersuchten die Forscher im Blut der Probanden die Konzentration von verschiedenen Varianten des Beta-Amyloid-Peptids. Sie sind Bruchstücke des Amyloid-Vorläuferproteins (APP), das in den Membranen steckt, die die Nervenzellen umhüllen. APP leitet wahrscheinlich Signale von außerhalb der Zelle ins Zellinnere und wieder zurück. Hat es seine Aufgabe erfüllt, wird es Stück für Stück abgebaut. Doch nicht immer gelingt der vollständige Abbau von APP. Dann bleiben vor allem Beta-Amyloid-Peptide übrig, die aus 40 oder 42 Aminosäuren bestehen. Das Peptid mit 42 Aminosäuren ist einer der Hauptbestandteile der senilen Plaques. Sowohl Patienten mit einer manifesten Alzheimer-Demenz als auch bei Patienten mit nur leichten kognitiven Einschränkungen lassen sich erniedrigte Konzentrationen von Beta-Amyloid-42 in der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) und im Blut aufspüren.
In ihrer Studie konnten Lewczuk und seine Mitarbeiter allerdings in der Risikogruppe mit 38 Probanden im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen keine statistisch signifikante Veränderung der Konzentration von Beta-Amyloid-42 nachweisen. „Anscheinend gibt es 30 bis 40 Jahre vor Auftreten der ersten klinischen Symptome auch bei Personen mit einem Risiko-Gen noch keine Veränderungen im Beta-Amyloid-Metabolismus“, sagt Lewczuk. „Dieses Ergebnis sollte allerdings man vorsichtig interpretieren.“ Man könne, so der Mediziner, nicht völlig ausschließen, dass bei einigen der jungen Menschen schon neurodegenerative Veränderungen begonnen hätten. Lewczuk hält es deswegen für sinnvoll, in 10 bis 15 Jahren die Analyse bei den Probanden dieser Studie zu wiederholen. Eine weitere Einschränkung der Studie betrifft die Tatsache, dass die Ergebnisse mit Hilfe von Blutproben gewonnen wurden: „Normalerweise misst man die Konzentrationen von Beta-Amyloid im Liquor mittels einer Lumbalpunktion“, sagt Lewczuk. „Das geschieht aber erst, wenn ein konkreter Verdacht auf Alzheimer vorliegt, denn Gesunde zu punktieren, wäre ethisch nicht korrekt gewesen.“ Trotz der relativ geringen Sensitivität und Spezifität, so Lewczuk, lasse die laborchemische Untersuchung von Beta-Amyloid im Blut eine statistische Auswertung eines größeren Kollektivs zu. Zur Diagnose eines einzelnen Patienten sei sie aber nicht geeignet.
„Im Vorfeld der Studie wiesen einige Anhaltspunkte darauf hin, dass im Gehirn von Trägern der APOE-Risikovariante schon Veränderungen in Gehirn auftreten, bevor die kognitiven Defizite einsetzen“, sagt Professor Jens Wiltfang, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen. „Deswegen war es richtig, zu überprüfen, ob sich auch im Blut von jungen Menschen mit diesem Risiko-Gen erniedrigte Beta-Amyloid-Konzentrationen auffinden lassen.“ Solche Studien, so der Mediziner, seien zudem wichtig, um neue blutbasierte Verfahren zu entwickeln, mit deren Hilfe man die Wirksamkeit von präventiven Therapien überprüfen könne. „Denn nur wenn wir einen Biomarker in der Hand haben“ meint Wiltfang, „mit dem wir die Alzheimer-Krankheit in einem sehr frühen präklinischen Stadium nachweisen könnten, gäbe es eine Chance, das Auftreten der klinischen Symptome hinauszuzögern.“