Seit Jahren buhlt Vitamin D um mediale Aufmerksamkeit. Die Studienergebnisse sind jedoch durchwachsen. Nun wurde ein vermindertes Demenzrisiko unter D-Supplementierung ermittelt. Ist das der Durchbruch für den Calciferol-Alleskönner?
Weltweit leiden schätzungsweise mehr als 50 Millionen Menschen an Demenzen unterschiedlicher Ursache. Bis 2050 könnte sich diese Zahl nahezu verdreifachen, befürchten Wissenschaftler. Kurative Ansätze gibt es bislang nicht. Umso wichtiger werden modifizierbare Risikofaktoren des Lebensstils, mit denen es – so die Hoffnung – gelingen soll, den Krankheitsverlauf zu bremsen. Genau hier kommt Vitamin D in das Spiel: seit Jahren ein heißer, viel diskutierter Kandidat.
Ältere Studien liefern Hinweise darauf, dass Vitamin D an der Beseitigung von Amyloid-Beta-Aggregaten (Aβ) beteiligt ist und Zellen vor einer Aβ-induzierten Tau-Hyperphosphorylierung schützt. Die Akkumulation von Aβ ist eines der wichtigsten pathologischen Merkmale der Alzheimer-Krankheit. Niedrige Vitamin-D-Spiegel im Serum werden mit einem höheren Risiko für Demenz, speziell Alzheimer-Demenz, in Verbindung gebracht.
Doch die genaue Rolle von Vitamin D wirft etliche Fragen auf, wie eine systematische Überprüfung von 20 randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) zeigt. Die Hälfte der eingeschlossenen Arbeiten liefert unklare Ergebnisse und je ein Viertel positive bzw. negative Ergebnisse einer Vitamin-D-Supplementierung auf die kognitive Leistungsfähigkeit. Auch eine systematische Überprüfung bzw. Metaanalyse von neun RCTs speziell zur Alzheimer-Prävention kann den Nutzen einer Supplementation nicht zweifelsfrei belegen.
Das Problem liegt nicht nur in zu kurz angelegten Studien, zu kleinen Probandenzahlen oder an Dosisschwankungen der Supplemente. Das in klinischen Studien am häufigsten verwendete Molekül ist Cholecalciferol, gefolgt von Ergocalciferol. Lange Zeit haben Forscher angenommen, beide Formulierungen seien austauschbar. Doch mittlerweile gibt es Hinweise, dass Cholecalciferol wirksamer als Ergocalciferol sein könnte, um den Vitamin-D-Spiegel im Serum zu erhöhen und konstant zu halten. Eine neue Studie versucht, Schwächen früherer Arbeiten zu vermeiden.
Dazu haben Forscher 12.388 Teilnehmern des National Alzheimer’s Coordinating Center in den USA eingeschlossen. Ihre Teilnehmer waren im Durchschnitt 71 Jahre alt und zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Kohorte nicht an einer Demenz erkrankt. Unter allen Probanden nahmen 37 Prozent (4.637 Personen) Vitamin-D-Präparate ein.
In der Kohorte erkrankten 2.696 Teilnehmer im Laufe von zehn Jahren an Demenz. 2.017 von ihnen (75 Prozent) hatten keine Vitamin-D-Supplemente eingenommen, während 679 (25 Prozent) entsprechende Nahrungsergänzungsmittel geschluckt hatten. Nach Anpassung an Alter, Geschlecht, Ethnie, Bildung, kognitive Diagnose, Depression und den APOE-ε4-Status war die Exposition gegenüber Vitamin D mit einer um 40 Prozent geringeren Inzidenz von Demenz verbunden, verglichen mit Kontrollen ohne Vitamin-D-Supplemente.
Von 4.637 Teilnehmern mit Vitamin-D-Exposition entwickelten 14,6 Prozent eine Demenz, davon 80,9 Prozent eine Alzheimer-Demenz, vier Prozent eine Demenz mit Lewy-Körpern, 2,4 Prozent eine behaviorale Variante der frontotemporalen Demenz (bvFTD), 0,6 Prozent eine vaskuläre Demenz und 12,1 Prozent eine Demenz, deren Subtyp nicht erfasst worden ist.
Zum Vergleich: In der Gruppe ohne Vitamin D (n = 7.751) erkrankten 26 Prozent an einer Demenz, davon 82,6 Prozent an einer Alzheimer-Demenz, 4,8 Prozent an einer Demenz mit Lewy-Körpern, 2,4 Prozent an einer bvFTD, 2,1 Prozent an einer vaskulären Demenz und 8,1 Prozent an einer Demenz unbekannten Subtyps. Bei der Auswertung ihrer Daten fanden die Wissenschaftler folgende Besonderheiten der Vitamin-D-Supplementation:
In Hinblick auf verschiedenen Vitamin-D-Derivate waren in der Studie alle Formulierungen mit geringeren Demenz-Inzidenzraten verbunden.
„Die Studie hat mehrere Stärken – insbesondere die große Anzahl der in die Analyse einbezogenen Personen und die Tatsache, dass dies vor Ausbruch der Krankheit durchgeführt wurde“, sagt Prof. Martin Hewison von der University of Birmingham. Als größte Schwäche sieht er fehlende Informationen zu Vitamin-D-Spiegeln – und zur Frage, wie viele Teilnehmer einen relevanten Mangel hatten. Außerdem bemängelt Hewison, dass keine Angaben zur Menge der Supplemente vorlägen. „Daher ist immer noch unklar, welche Dosis in Hinblick auf die Alzheimer-Krankheit am wirksamsten sein könnte“, lautet sein Resümee.
Prof. Tara Spires-Jones von der University of Edinburgh ergänzt: „Obwohl es sich um eine große, gut durchgeführte Studie handelt, ist es wichtig, zu beachten, dass eine Assoziationsstudie keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Vitamin D und einem geringeren Demenzrisiko nachweisen kann.“ Beispielsweise könnten Menschen, die Nahrungsergänzungsmittel einnähmen, auch gesünder leben und ihr Demenrisiko dadurch verringern.
Bleibt als Fazit: Weder die Autoren noch die britischen Experten geben derzeit Empfehlungen zur Supplementation, um das Demenzrisiko zu verringern. Ärzte haben jedoch unabhängig von der Studie die Möglichkeit, sich an generellen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu orientieren. Demnach sind Serumwerte von 25-Hydroxy-Vitamin-D unter 30 nmol/l (12 ng/ml) ein Hinweis auf eine mangelhafte Vitamin-D-Versorgung. Und Serumwerte von 30 bis unter 50 nmol/l (12 bis unter 20 ng/ml) deuten auf eine suboptimale Versorgung hin.
Ein erhöhtes Risiko für den Mangel haben Personen höheren Alters, Personen, die sich bei Sonnenschein kaum oder gar nicht bzw. nur mit gänzlich bedecktem Körper im Freien aufhalten oder Personen mit dunkler Hautfarbe. Für sie empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Vitamin D in Höhe des Schätzwertes von 20 Mikrogramm pro Tag einzunehmen.
Quelle:
Ghahremani et al. Vitamin D supplementation and incident dementia: Effects of sex, APOE, and baseline cognitive status. Alzheimers Dement (Amst), 2023. doi: 10.1002/dad2.12404
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