Rettungskräfte sehen täglich traumatisierende Szenen. Was, wenn sie eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln – muss die Unfallversicherung das abdecken? Darüber hat jetzt ein Gericht entschieden.
Ärzte und medizinisches Personal neigen wahrscheinlich schon mal dazu, andere zu versorgen, bevor sie sich selbst versorgen. Ärzte werden nicht krank, Pflegepersonal genauso wenig, Rettungskräfte sehen täglich traumatisierende Szenen, müssen das aber wegstecken. Natürlich kommt das einerseits mit dem Beruf, aber auch bei der Akzeptanz berufsbedingter Krankheit kann und muss sich im medizinischen Bereich noch so einiges tun. Einen ersten Schritt ging jetzt das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel: es erkannte die posttraumatische Belastungsstörung eines Rettungssanitäters offiziell als Berufskrankheit an – und öffnete damit den Diskurs.
Die Veröffentlichung der Urteilbegründung bestätigt, was in der Praxis schon fühlbar war: Das Gutachten erkennt an, dass das Risiko des betroffenen Rettungssanitäters an einer PTBS zu erkranken „fast siebenfach erhöht“ sei. Dieses Urteil könnte man durchaus als Präzedenzfall für Beschäftigte in der Intensiv- und Notfallmedizin bezeichnen.
„Soweit Betroffene jetzt nachweisen können, dass sie einer Berufsgruppe angehören, die stärker als andere vom Risiko einer Traumafolgestörung oder im Verlauf posttraumatischen Belastungsstörung betroffen ist und die Betroffenen ebenfalls nachweisen können, dass sie berufsbedingt an einer solchen PTBS leiden, besteht ein Anspruch auf Leistungen durch die Unfallversicherungsträger“, so eine Pressemitteilung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).
„Wir begrüßen diese wegweisende Rechtsprechung außerordentlich“, kommentiert Dr. Dominik Hinzmann, Sprecher der Sektion Perspektive Resilienz der DIVI. Denn gerade die Notfallmedizin sei in ihrem Berufsalltag überverhältnismäßig häufig mit psychisch belastentend Situationen konfrontiert. DIVI-Präsident Felix Walcher hofft, dass mit entsprechenden Maßnahmen auch das Personalproblem in der Notfallmedizin langfristig in Angriff genommen werden könnte.
„Um den Personalmangel in der Intensiv- und Notfallmedizin langfristig in den Griff zu bekommen, müssen wir uns deutlich mehr und deutlich besser um die noch vorhandenen Mitarbeitenden kümmern!“ sagt Walcher. Um das zu erreichen, bräuchte es allerdings eine „flächendeckende und nachhaltige Implementierung kollegialer Unterstützungssysteme“ – und das in allen Kliniken und Gesundheitseinrichtungen. Die DIVI setzt sich dabei dafür ein, dass aus der psychischen chronischen Dauerbelastung eben keine dauerhafte Beeinträchtigung der Berufsausübung resultiert. Das sei bisher nur bei Einsatzkräften (Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst) an Präkliniken etabliert.
Es gäbe bereits Strukturempfehlungen und Unterstützungssysteme. Diese beziehen sich allerdings auf kurzfristige Hilfen, Nachsorge und Peer Support. „Das PTBS-Urteil erhöht den Druck, sich mit dem Thema Mitarbeiterunterstützung auseinander zu setzen – um eine hohe Quote nicht mehr arbeitsfähiger Mitarbeiter mit Leistungsansprüchen zu reduzieren, um so unter anderem auch die Versorgungssituation im Land aufrecht erhalten zu können“, konkludiert Walcher.
Zwei aktuelle Handlungsempfehlungen wurden bereits erarbeitet (hier und hier). Was noch fehlt, sei die flächendeckende Unterstützung nach belastendenden Situationen durch ausgebildetes Fachpersonal – und zwar nicht nur in Akutsituationen, sondern auch mittel- und langfristig.
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