Nach drei Jahrzehnten der Symptombehandlung ist nun erstmals der Versuch gelungen, infizierte Zellen komplett vom HI-Virus zu befreien. Ließe sich dieser Ansatz von der Zellkultur auf den Patienten übertragen, könnte die Heilung von HIV-Infizierten in greifbare Nähe rücken.
Bereits vor etwa 30 Jahren wurde der HI-Virus entdeckt – und trotzdem stellt AIDS immer noch eines der größten Gesundheitsprobleme mit weltweit mehr als 35,3 Millionen Erkrankten dar. Hauptsächlich betroffen sind die Menschen, die in Afrika südlich der Sahara leben. Doch auch in Deutschland sind etwa 78.000 Menschen mit dem HI-Virus infiziert. Obwohl Betroffene in westlichen Ländern bei frühem Therapiebeginn gute Chancen auf ein langes Leben haben, ist eine Heilung der Krankheit noch nicht gelungen. Denn das HI-Virus ist tückisch: Es kann sich im Erbgut seines Wirts lange Zeit verstecken und so medikamentösen Therapien und Angriffen des Immunsystems entgehen.
Stellt man sich das HI-Virus vor, denkt man an ein kugelförmiges Gebilde mit vielen kleinen Rezeptoren auf der Oberfläche. Das ist auch völlig korrekt, spiegelt aber nicht den gesamten Lebenszyklus des Virus wider. Denn lange Zeit besteht der Erreger ausschließlich aus DNA, die sich unauffällig im Genom des Wirtes platziert hat. Selbst wenn im Körper keine HIV-Partikel nachweisbar sind, gehen Wissenschaftler davon aus, dass Millionen von Zellen Kopien der Virus-DNA in sich tragen. Daher können bis heute nur die Symptome der Infektion behandelt werden, nicht aber ihre Ursache.
Das könnte sich möglicherweise ändern, denn Wissenschaftlern ist es nun erstmals gelungen, das Virus präzise aus dem Erbgut menschlicher Zellen herauszuschneiden. Für ihren Versuch benutzten sie eine Kultur aus myeloiden Zellen, denn die Nervenzellen gelten als beliebtes Reservoir für HIV. Um die virale DNA aus dem Genom der Zellen auszuschneiden, setzten die Forscher ein molekulares Präzisionswerkzeug mit Namen CRISPR-Cas9 ein. Die erst im Jahr 2012 publizierte Technik basiert auf einem Protein, mit dem sich Bakterien gegen Angriffe fremder Organismen verteidigen. Dieses adaptive bakterielle Abwehrsystem haben Wissenschaftler nun zu einem molekularbiologischen Präzisionsskalpell für eukaryotische Zellen umfunktioniert.
Cas9 arbeitet wie eine molekulare Schere, die die DNA des HI-Virus gezielt aus den menschlichen Chromosomen herausschneidet und so verhindert, dass mehr Viren gebildet werden. Als „sehr spezifisch und effizient“ beschreiben die Wissenschaftler die Arbeit von Cas9. „Wir haben die Zellen, die das Virus in sich trugen, in komplett virusfreie Zellen umwandeln können“, so Studienleiter Prof. Dr. Kamel Kihalili von der Temple University in Philadelphia, USA. Die große Herausforderung dabei ist, dass Cas9 die Virus-DNA zunächst sicher finden muss – und das ist im etwa drei Milliarden Basenpaar großen, menschlichen Genom gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass das HI-Virus nur 9.181 Basenpaare umfasst. Übersieht Cas9 virale DNA, kann das genauso schwerwiegende Folgen haben, wie wenn es an Stellen schneidet, die gar keine virale DNA enthalten. Denn daraus können Krebs oder andere negative Folgen resultieren.
Um diese Risiken zu minimieren, haben die Wissenschaftler das sogenannte CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) -Cas9-System mit einer Guide-RNA (gRNA) versehen. Diese bindet an bestimmte DNA-Abschnitte, die ausschließlich in der viralen DNA vorkommen und führt damit die molekulare Schere sicher zum Ziel. https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=l0kmRQ0Gkr4 Zur Sicherheit haben die Wissenschaftler das Genom der Nervenzellen daraufhin untersucht, ob Cas9 vielleicht auch andere Stellen ohne virale DNA geschnitten hat. Doch sie konnten dem Enzym keinen einzigen Fehlschnitt nachweisen. In der Zellkultur funktionierte die Heilung von HIV also einwandfrei und brachte sogar einen äußerst nützlichen Nebeneffekt mit sich: Gesunde Zellen, die den Cas9/gRNA-Komplex beinhalteten, waren im Laborversuch immun gegen eine HIV-Infektion. „Das System könnte also auch als Impfung gegen HIV Anwendung finden“, so Kihalili. Von der Zellkultur im Labor bis zur Anwendung an Patienten ist es freilich noch ein langer Weg. Das ist auch den Wissenschaftlern bewusst: „Das System hat Potential, aber es ist eine große Herausforderung, diese molekulare Präzisionswerkzeug in jede Zelle des Körper zu bekommen“, so Kihalili. Das HI-Virus ist außerdem anfällig für Mutationen. Daher müsste die gRNA zuvor für jeden Patienten neu bestimmt werden. „Wir hoffen, dass das System im menschlichen Körper genauso gut funktioniert wie in der Zellkultur.“ Wenn dem so ist, würde die Heilung von HIV nach mehr als drei Jahrzehnten erstmals in greifbare Nähe rücken.