Immer häufiger drangsalieren Abtreibungsgegner Ärzte und Schwangere vor Praxen, Kliniken und auf dem Weg dahin. Jetzt legt Familienministerin Lisa Paus einen Gesetzentwurf zum Schutz von Gynäkologen und Patientinnen vor.
Der Konflikt zwischen Gynäkologen und Schwangeren auf der einen Seite und Abtreibungsgegnern auf der anderen eskaliert weltweit. Während in den USA Frauen und auch Ärzte vor Einrichtung an- und erschossen wurden und in Polen das Thema zuletzt mitentscheidend für den Ausgang der Wahlen war, sehen sich Schwangere und Personal hierzulande in erster Linie verbalen und körperlichen „Gehsteigbelästigung“ sowie Angriffen im Internet ausgesetzt. Bis jetzt – so die Hoffnung der Politik.
Wenn Frauen vor Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch „mit falschen Tatsachen konfrontiert werden, wenn ekelhafte Bilder entgegengehalten werden, wenn sie klar erkennbar belästigt werden mit Meinungsäußerungen, die sie klar nicht wollen, dann sind das künftig Ordnungswidrigkeiten die mit einem Bußgeld von bis zu 5.000 Euro bestraft werden können“, erklärte Familienministerin Lisa Paus (Die Grünen) nach Abstimmung mit dem Bundesinnen- und -justizministerium.
Was Vereine wie die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) eine Beratung zur vorgeburtlichen Kindstötung nennen, ist für die anderen psychische Drangsalierung, die weit entfernt gehört. So schaltete sich zuletzt auch die Bundesärztekammer erneut in das Thema mit ein und bestand auf der Forderung nach einer Bannmeile für Aktivisten vor entsprechenden Einrichtungen. Es sei eine Regelung erforderlich „welche neben der Behinderung der Arbeit auch die Belästigung der Ärztinnen und Ärzte sowie der Mitarbeitenden der Einrichtungen untersagt“, so die Ärztevertreter.
„An- und Übergriffe von sogenannten Lebensschützern sind vorhanden, sie finden vielfältig digital wie analog statt. Das wirkt sich nachteilig auf die Bereitschaft der Frauenärztinnen und Frauenärzte aus, die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen anzubieten. Ein wirksamer Schutz muss mit Blick auf das gesamte Spektrum von analogen wie digitalen Anfeindungen oder Bedrohungen sowie mitunter vielfach subtilen Aktionen/Belästigungen (z. B. in Form von demonstrativ zur Schau gestellten ‚stillen Gebeten‘ auf der gegenüberliegenden Straßenseite) etabliert sein“, konkretisiert Dr. Klaus Doubek, Präsident des Verbands Deutscher Frauenärzte die Forderungen gegenüber den DocCheck News. „Ich habe eher den Eindruck einer qualitativen Veränderung als den einer quantitativen. Der Ton wird rauer. Hier muss der Gesetzgeber klare Grenzen ziehen. Beleidigungen und tätliche Angriffe sind inakzeptabel, egal von welcher Seite“, beschreibt Gynäkologin Dr. Petra Brandt ihre Sicht auf das Problem im Gespräch mit den DocCheck News.
Mit der nun vorliegenden Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes will das Ministerium praxistaugliche, bundeseinheitliche Regelungen treffen, die auch juristisch Bestand haben. In Abstimmung mit dem Justizministerium habe man sich insbesondere mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau sowie dem Recht auf Schutz und Beratung gegenüber dem Gesetz von Versammlung- und Meinungsfreiheit auseinandergesetzt. Die Conclusio: Das Recht auf Meinungsfreiheit endet dort, wo gezielt Personen individuell beeinträchtigt werden. Die Ministerin setzt damit nach eigenen Angaben das um, worum sie „von Ärztinnen und Ärzten gebeten worden war“. Allgemein gelte nun, dass „wenn innerhalb von 100 Metern gerufen wird, dies sanktionsfähig sei – sozusagen in Hörreichweite. Es geht dabei um einzelne Rufe, die den Charakter der Belästigung haben“, so die Ministerin.
Von Mahnwachen, über Gebetswachen bis hin zu aktiver Intervention – Abtreibungsgegner üben in Deutschland auf unterschiedliche Weise Druck aus, und das regelmäßig, wie in Frankfurt, Pforzheim und München, wo sich Abtreibungsgegner turnusgemäß zu „Märschen für das Leben“ vor Einrichtungen treffen und plakativ gegen Abtreibung Stellung beziehen. „Menschen, die sich anders entscheiden und innerhalb gesetzlicher Regelungen agieren, dürfen weder verbal noch tätlich angegriffen werden“, bringt es Brandt auf den Punkt.
Dass die Märsche ernst zu nehmen sind, darüber sind sich Gynäkologen und Politiker einig. So sind Gehsteigbelästigungen auch ohne körperliche Auseinandersetzungen eine psychische Belastung, die durch Bedrohung oder Stigmatisierung hervorgerufen oder verstärkt wird. Welche Gefahren durch solche Aktionen bei Schwangeren bestehen, betont Doubek: „Frauen haben ein erhöhtes Risiko, im Rahmen von Schwangerschaftsabbruch psychische Probleme zu entwickeln, wenn sie Tabuisierungs- und Stigmatisierungserfahrungen machen. Weiterhin besteht die Gefahr, dass Frauen aufgrund der Gehsteigbelästigung keine qualifizierte ärztliche Versorgung aufsuchen. Ein Schwangerschaftsabbruch bringt große körperliche sowie psychische Risiken mit sich, sobald er ohne die erforderlichen medizinischen Kenntnisse durchgeführt wird oder er in einem Umfeld erfolgt, das medizinische Mindeststandards nicht erfüllt.“
So aktuell die Thematik ist, bisher ist sie kaum analytisch aufgearbeitet. Entsprechende Kliniken und beteiligte Gynäkologen bemängeln, dass aufschlussreiche Daten fehlen, die eine Einschätzung der Präsenz und der Entwicklung von Gewalt gegenüber Versorgenden ermöglichen würden. Nur vereinzelt nähmen Landesärztekammern Erhebungen zu solchen Gewaltereignissen vor – beispielsweise in Hessen oder Niedersachsen.
Auch hier setzt die vorgestellte Initiative an. Neben dem Gesetz, das im Frühsommer durchgewunken werden soll, sollen das Problem und die Entwicklung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland besser in Zahlen erfasst werden. Entsprechend gebe es eine Verbesserung der statistischen Erhebung von Schwangerschaftsabbrüchen sowie der Versorgungssituation auf regionaler Ebene. Dies sei zudem für Frauenärzte von Interesse, da sich zuletzt auch ein Wandel im Bewusstsein bei der Verhütung eingestellt hatte – gerade bei jungen Patientinnen.
Ob eine beobachtete Zunahme von Schwangerschaftsabbrüchen in den letzten Jahren, die Streichung des Paragrafen 219a zur Werbung von entsprechender Beratung oder die allgemeine Welle von Hysterie und Konfliktbereitschaft in der Bevölkerung das Klima aufheizt, bleibt derweil Spekulation.
Ebenso unklar ist, ob die Proteste mit dem Gesetz enden – zumal die Lebensrechtsbewegung in Deutschland den Entwurf als „juristisch schwammig und faktisch unnötig“ bezeichnet, wie es Alexandra Lindner, Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht – übrigens studierte Philologin und Ägyptologin – formuliert. Doch der Dachverband und dessen 16 Mitgliedsorganisationen haben sich nicht nur das Thema Abtreibung auf die Fahnen geschrieben. Ebenso widmen sich die christlich-konservativen Gruppierungen den Themen Sterbehilfe, Klonen sowie Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik. Aber auch in anderen europäischen Ländern spürt man, dass sich eine liberale Mitte – und Mehrheit – gegen eine laute Minderheit durchsetzt. Parallel zum deutschen Gesetzesentwurf wurde gestern in Polen die Liberalisierung des Abtreibungsrechts von Regierungschef Tusk verkündet.
Wohin die Reise in Deutschland auch führt, wichtig ist für die Zukunft der Frauenheilkunde, die Arbeitsbedingungen beim Thema Abtreibungen für alle Beteiligten so zu gestalten, dass Berufstätige weiterhin im Fachgebiet arbeiten möchten und dabei keine diffuse Gefahr verspüren.
Bildquelle: erstellt mit DALL-E