Auch für Patienten mit psychischen Erkrankungen ist der Hausarzt oft die erste Anlaufstelle. Doch die Therapieoptionen sind hier begrenzt. Was ihr tun könnt und wann ihr zum Psychiater überweisen solltet – eine Übersicht für die Praxis.
Eine klassische rein somatische Diagnose ist zur Seltenheit in deutschen Hausarztpraxen geworden. Die meisten Erwachsenen haben in postpandemischen Zeiten mit näher rückenden Kriegen, einer globalen Klimakrise und der zunehmenden Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche ein kleines bis riesengroßes Päckchen zu tragen. Da aber der Fachkräftemangel auch Psychiater und Psychotherapeuten betrifft, bleibt der Hausarzt bei seelischen Wehwehchen Ansprechpartner Nummer eins. So verwundert es kaum, dass sich seit vielen Jahren neben der somatischen Medizin auch die psychosomatische Grundversorgung mit separaten Weiterbildungsbausteinen erfolgreich etablieren konnte.
Durch den in der Regel fließenden Übergang zwischen rein körperlichen Beschwerden und einer seelischen Belastung können Hausärzte somit ganz offiziell entlastende Gespräche führen und auch halbwegs angemessen abrechnen. Leiden die Patienten allerdings an manifesten psychischen Störungen, kommen auch Allgemeinmediziner – nicht zuletzt aufgrund begrenzter wirtschaftlicher und zeitlicher Ressourcen – schnell an ihre Grenzen. Wann also sollte man als Hausarzt die Reißleine ziehen und den betroffenen Patienten an einen Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapeuten überweisen?
Am Anfang steht sicherlich, falls noch nicht geschehen, der systematische Ausschluss somatischer Erkrankungen, die sich auch in Form psychischer Beschwerden äußern können. So führen beispielsweise verschiedene Mangelzustände, wie eine Unterversorgung an Vitamin D oder Vitamin B12, zu depressionsähnlichen Zuständen und können bei älteren Patienten sogar eine demenzielle Erkrankung imitieren.
Liegt einer vermeintlichen psychischen Störung eine klare somatische Ursache zugrunde, können die Beschwerden durch eine entsprechende Therapie relativ schnell behoben werden. Deuten erhobene Befunde und die Symptome der Betroffenen allerdings auf eine ernste psychiatrische Diagnose hin, erleichtern verschiedene etablierte Screening-Instrumente die weitere Therapieplanung.
Der WHO-5-Fragebogen ist ein solches psychometrisches Instrument, das sich zur ersten Abklärung eines Verdachts auf das Vorliegen einer depressiven Störung eignet. Da der WHO-5 lediglich fünf Fragen zur Selbstbeurteilung durch den Patienten umfasst, lässt sich eine Durchführung relativ schnell und einfach in ein geplantes Gespräch integrieren. Und auch die Auswertung ist denkbar einfach: So können maximal 25 Punkte erreicht werden, was als optimales Wohlbefinden interpretiert werden kann. Kommt der befragte Patient allerdings auf weniger als 7 Punkte, kann das Vorhandensein einer klinischen Depression als sehr wahrscheinlich eingestuft werden.
Vermutet man bei älteren Patienten eine beginnende demenzielle Erkrankung als Ursache psychischer Beschwerden, kommt der Mini-Mental-Status-Test (MMST) zum Einsatz. Dieser ermöglicht zwar keine Diagnosestellung verschiedener Demenzformen, kann aber beispielsweise bei voller Punktzahl in den abgefragten Kategorien Orientierung, Merkfähigkeit, Kurzzeitgedächtnis, Rechnen und Buchstabieren, Handlungsfähigkeit sowie visuell-konstruktorisches Denken einen Demenz-Ausschluss möglich machen.
Taucht man immer tiefer in die Materie der Screening-Fragebogen ein, stößt man schnell auf eine unglaubliche Vielfalt an Messinstrumenten – angefangen beim CAGE-Fragebogen bei Verdacht auf eine Alkoholabhängigkeit, bis hin zur Symptom-Checkliste SCL-90-R zur Abfrage subjektiv empfundener Beeinträchtigungen durch körperliche und psychische Symptome. Fallen die Ergebnisse dieser Tools pathologisch aus, sollte eine entsprechende Überweisung keine Frage mehr sein.
Weitere, recht eindeutige Alarmzeichen, die eine Mit- oder Weiterbehandlung durch einen fachärztlichen Kollegen nahelegen, sind schließlich Suizidalität, selbstverletzendes Verhalten, Suchtverhalten, Halluzinationen und zunehmende körperliche Verwahrlosung. Denn solche Fälle sprengen alle hausärztlichen Rahmen und müssen teilweise stationär behandelt werden. Und wenn sämtliche Checklisten und Fragebogen nicht mehr weiterhelfen, bleiben schließlich die wichtigsten Instrumente eines Hausarztes: Bauchgefühl und Intuition.
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