ACE-Hemmer stehen schon lange im Verdacht, das Schlaganfallrisiko zu erhöhen. Aber wie schlagen sie sich im Vergleich zu Diuretika, Betablockern und Kalziumantagonisten wirklich?
Publikationen zum Thema Schlaganfall finden häufig ganz besondere Aufmerksamkeit, ist doch ein Schlaganfall unter den kardiovaskulären Komplikationen oft mit sehr belastenden Langzeitfolgen wie Paralyse, Sprachstörungen oder gar intellektuellem Abbau verbunden. Hinsichtlich der Prophylaxe sind bekanntermaßen Lifestyle, Ernährungsweise und natürlich medikamentöse Therapien der Risikofaktoren von Bedeutung. So wurde erst kürzlich in einer gepoolten Analyse von Studien mit insgesamt 183.291 Teilnehmern ein reduziertes Risiko für ischämischen Schlaganfall durch Omega-3-Fettsäuren, also eine höhere Aufnahme von DHA [Docosahexaensäure] und EPA [Eicosapentaensäure] über die Nahrung festgestellt.
Eine weitere Langzeitanalyse geisterte in den letzten Wochen durch die Schlagzeilen: Eine Sekundäranalyse der sicherlich allseits bekannten ALLHAT Studie (Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial) wurde im Dezember in JAMA Network Open publiziert. Es gelang den Autoren, 22.754 Patienten hinsichtlich der Morbidität bis zu 23 Jahre lang nachzuverfolgen – eine für klinische Prüfungen beachtliche Leistung. Hinsichtlich kardiovaskulärer Endpunkte fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Kalziumantagonisten und Diuretika. Allerdings berechneten die Autoren für die ACE-Hemmer-Gruppe im Vergleich zur Diuretika-Gruppe ein um 19 % erhöhtes Schlaganfall-Mortalitätsrisiko (AHR: 1,19 [95 %-KI: 1,03–1,37]) und ein um 11 % erhöhtes Risiko für einen kombinierten tödlichen oder nicht tödlichen Schlaganfall im Krankenhaus (AHR, 1,11 [95 %-KI, 1,03–1,20]).
Zwar zeigten die Konfidenzintervalle eine statistische Signifikanz, doch muss man beachten, dass keine Korrektur für multiples Testen vorgenommen wurde, worauf die Autoren in ihrem Artikel auch hinweisen. Außerdem kann man mit hohen Fallzahlen auch kleine Unterschiede signifikant rechnen. Die statistische Signifikanz ist eben eher eine Maßzahl für die statistische Qualität einer klinischen Prüfung (z. B. Standardabweichung, ausreichende Fallzahl, Zufallsergebnis).
Wer an den Konsequenzen für die klinische Praxis interessiert ist, schaut lieber auf die Number Needed to Treat (NNT). Diese wird zwar in der Publikation nicht angegeben, aber eine oberflächliche Berechnung deutet für tödliche oder nicht tödliche Schlaganfälle auf eine NNT im Bereich von 70 hin. Das heißt, dass über den Zeitraum der Beobachtung zirka 70 Patienten mit Chlortalidon anstatt mit Lisinopril behandelt werden müssten, um ein Schlaganfallereignis zu verhindern. Dies ist eine für kardiovaskuläre Prävention durchaus akzeptable Größe, muss aber gegen das Risiko eventueller Nebenwirkungen abgewogen werden und sollte eine Entscheidung des behandelnden Arztes im individuellen Fall sein.
Eine retrospektive Beobachtungsstudie an Real World Daten hat mit wesentlich höheren Fallzahlen, aber einer relativ kurzen Beobachtungsdauer von nur drei Jahren, keine signifikanten Unterschiede in kardiovaskulären Ereignissen zwischen Diuretika, Betablockern, ACE-Hemmern und Kalziumantagonisten gezeigt.
Es gibt damit also weiterhin keine wissenschaftlich seriösen Hinweise darauf, dass ACE-Hemmer das Schlaganfallrisiko erhöhen könnten. Wenn überhaupt, dann sind die ALLHAT-Ergebnisse nur spezifisch für Lisinopril (hydrophil) und für Chlortalidon (lang wirkend) als Vertreter der jeweiligen Substanzklasse zu nehmen. Entscheidend ist jedenfalls die Blutdrucksenkung – und es kann diejenige Substanzklasse gewählt werden, die den individuellen Patienten hinsichtlich Symptomen und Begleiterkrankungen am besten entspricht.
O’Keefe et al. Omega-3 Blood Levels and Stroke Risk: A Pooled and Harmonized Analysis of 183 291 Participants From 29 Prospective Studies. Stroke Volume 55, Issue 1, January 2024; Pages 50–58.
Yamal J, Martinez J, Osani MC, Du XL, Simpson LM, Davis BR. Mortality and Morbidity Among Individuals With Hypertension Receiving a Diuretic, ACE Inhibitor, or Calcium Channel Blocker: A Secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open. 2023;6(12) : e2344998. doi:10.1001/jamanetworkopen.2023.44998.
Byrne P, Cullinan J, Gillespie P, Perera R, Smith SM. Statins for primary prevention of cardiovascular disease: modelling guidelines and patient preferences based on an Irish cohort. Br J Gen Pract. 2019 Jun;69(683):e373–e380. doi: 10.3399/bjgp19X702701. Epub 2019 Apr 23. PMID: 31015226; PMCID: PMC6532821.
Stapff M., Hilderbrand S. First‐line treatment of essential hypertension: A real‐world analysis across four antihypertensive treatment classes. J Clin Hypertens. 2019;21:627–634. DOI: 10.1111/jch.13531.
Bildquelle: Haley Lawrence, unsplash