Müdigkeit, Rückenschmerzen oder Schlafprobleme – fast jede Schwangere hat diese Symptome. Wann sie gehäuft auftreten und wie sie sich gegenseitig beeinflussen, wurde jetzt mit einem Big-Data-Datensatz aus einer App untersucht.
Ob Müdigkeit, Rückenschmerzen oder Schlafprobleme – während der Schwangerschaft treten Symptome auf, die fast allen Frauen zu schaffen machen. Wann welche Beschwerden besonders häufig sind und wie sie verlaufen, hat ein interdisziplinäres Forschungsteam der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) untersucht. Das Team nutzte dafür einen anonymisierten Big-Data-Datensatz einer Schwangerschafts-App.
Jede Schwangerschaft ist einzigartig, doch fast alle Schwangeren haben mit ähnlichen schwangerschaftsbedingten Symptomen zu tun: Sie sind müde, haben Rückenschmerzen, klagen über Verstopfung, Schlafprobleme oder Atemnot. „Diese Symptome sind schon lange bekannt. Aber wann sie im Lauf der Schwangerschaft auftreten, wie sie genau verlaufen und sich gegenseitig beeinflussen, ist bislang nicht gut erforscht“, erklärt Prof. Björn Eskofier.
„Wir müssen das Auftreten dieser Symptome besser verstehen lernen, um Schwangerschaftsvorsorge, aber auch therapeutische Maßnahmen gezielter weiterentwickeln zu können.“ Er koordiniert gemeinsam mit seinem Forschungsteam das interdisziplinäre Forschungsprojekt SMART Start. Das Ziel ist es, auf Grundlage einer breiten Datenbasis Impulse zur Digitalisierung in der Schwangerschaftsvorsorge in Deutschland zu geben.
Im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojekts analysierte Michael Nissen, Doktorand am Lehrstuhl für Maschinelles Lernen und Datenanalytik, einen Big-Data-Datensatz des deutschen Schwangerschafts-App-Herstellers keleya. „Am häufigsten sind Frauen während der Schwangerschaft von Müdigkeit betroffen. Das gaben 92,9 Prozent der Nutzerinnen an. Es folgen Rückenschmerzen mit 92,6 Prozent, Kurzatmigkeit mit 81,0 Prozent und Schlafstörungen mit 79,4 Prozent “, fasst Nissen die Ergebnisse zusammen. „Interessant ist, dass jedes einzelne Symptom ein eindeutiges Zeitmuster aufweist.“
Müdigkeit erreicht demnach im ersten Trimester der Schwangerschaft ihren Höhepunkt, Kopfschmerzen treten vor allem um die 15. Schwangerschaftswoche auf, Durchfall tendenziell zu Beginn und am Ende der Schwangerschaft – mit einem deutlichen Minimum um Schwangerschaftswoche 20. Die Schlafprobleme nehmen während der gesamten Schwangerschaft stetig zu.
Einige der Symptome haben nicht nur einen Einfluss auf die Lebensqualität. Sie hängen auch mit unerwünschten Folgen für die Schwangerschaft zusammen. So ist aus der Literatur bekannt, dass Schlafstörungen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Kaiserschnitte, Frühgeburtlichkeit und Schwangerschaftsdepression verknüpft sind. Daher ist die Symptomforschung relevant.
Insgesamt 183.732 Frauen haben mit dem Symptomtracker der App ihre schwangerschaftsbezogenen Symptome erfasst. Sie zeichneten mehr als 1,5 Millionen Symptome auf. Diesen riesigen Datensatz werteten die Forscher aus und erstellten Symptomverlaufskurven mit wöchentlichen Symptomberichten für 15 unterschiedliche schwangerschaftsbedingte Symptome.
„Die Größe des Datensatzes übersteigt vorherige Arbeiten um ein Vielfaches“, ergänzt Nissen. Und der Datensatz stammt aus der echten Welt (real-world evidence). Das kann dazu beitragen, mögliche Verzerrungen und Benachteiligung in der medizinischen Forschung zu verringern und ein breites Bild außerhalb klassischer medizinischer Studien liefern.
Ein Problem von Gesundheits-Apps kann das Nutzungsverhalten sein. Einige Nutzerinnen probieren die App nur ein einziges Mal aus. „Wir konnten zeigen, dass sich diese Daten kaum von sehr aktiven Nutzerinnen unterscheiden“, erläutert Nissen. Damit können auch die Daten von Einmal-Nutzerinnen für Forschungszwecke verwendet werden.
Insgesamt stellt die Arbeit mehrere bisher unbekannte oder umstrittene Symptomverläufe klar. „Unsere Arbeit unterstreicht das Potenzial der Sekundärnutzung von Branchendaten“, betont Nissen. „Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie kann dazu beitragen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Vladislav Muslakov, Unsplash