Die afrikanische Schweinepest löschte nahezu die gesamte wildlebende Schweinepopulation Borneos aus. Forscher warnen jetzt vor einer sozio-ökologischen Katastrophe.
Infolge der anhaltenden Infektionslage seien nicht nur jahrhundertealte kulturelle Praktiken vom Aussterben bedroht. Die Ernährungsgewohnheiten der Menschen auf Borneo würden sich gezwungenermaßen momentan dramatisch ändern und die ohnehin schon strapazierte sozio-ökologische Lage sei stark belastet. Länder auf Borneo tragen die Hauptlast von viralen Ausbrüchen wie diesem – nur wenige andere Nationen scheinen sich über den Schutz der heimischen Schweinefleischproduktion hinaus zu kümmern, so schreiben es die Forscher in einer kürzlich veröffentlichten Publikation.
Ein in der Zeitschrift Science veröffentlichter Letter to the editor warnt davor, dass diese sozio-ökologische Katastrophe derzeit übersehen würde und zu wenig Aufmerksamkeit erhalte. Prof. Erik Meijaard, Hauptautor des Briefes und ehemaliger Vorsitzender der IUCN Expertengruppe Wildschwein, einer Gruppe von Wissenschaftlern, die sich für den Schutz von Wildschweinen einsetzen, kommentiert: „Die afrikanische Schweinepest (ASP) hat seit 2018 die Schweinepopulationen in Asien heimgesucht, aber die Auswirkungen sind auf der Insel Borneo besonders stark. Die ASP hat bei den Bartschweinen, der einst zahlreichsten Großsäugerart auf der Insel, zu lokalen Populationseinbrüchen von bis zu 100 % geführt.“ Meijaard ist der Ansicht, dass dieser Rückgang dazu führen könnte, dass diese Art nun stark vom Aussterben bedroht ist.
Bartschweine spielen eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung des Ökosystems und der sozio-kulturellen Praktiken vor Ort. Die einst zahlreichen Schweine spielen eine wichtige Rolle bei der Steuerung ökologischer Prozesse im Tropenwald Borneos. Lokale Studien zeigen, dass Bartschweine in einigen Dörfern bis zu 81 % des Gewichts der erlegten Wildtiere ausmachten, während im malaysischen Sarawak einst bis zu einer Million Bartschweine pro Jahr gejagt wurden.
In dem Brief wird dringend mehr Forschung und Maßnahmen unter Beteiligung der ländlichen Bevölkerung gefordert, um die Ausbreitung der afrikanischen Schweinepest auf andere Regionen zu verhindern, in denen die Menschen grundsätzlich von Schweinen abhängig sind, wie z. B. auf der Insel Neuguinea, wo der Verlust der Schweine den sozialen Zusammenbruch bedeuten könnte. Die Ureinwohner dieser Länder sind so eng mit den Wildschweinen verbunden, dass Stammesfrauen z. B. dafür bekannt sind, Ferkel wie ihren eigenen Nachwuchs aufzuziehen.
Laufende klinische Versuche zur Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs gegen die ASP zeigen zwar erste positive Ergebnisse. Prof. Benoit Goossens von der Universität Cardiff, einer der Mitautoren, wies jedoch darauf hin, dass dies vor allem für Hausschweine relevant sei: „Die Impfung von Wildschweinen würde eine ganz andere Vorgehensweise erfordern, wie z. B. die orale Impfung mit Ködern, die noch lange nicht ausgereift ist. Außerdem wäre das Auslegen von Ködern für Wildschweine in ganz Borneo logistisch äußerst komplex und teuer“, so der Experte.
Es müsse dringend etwas unternommen werden, mahnen die Forscher. Wird die sozio-ökonomische Bedeutung des Virus-Ausbruchs in einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen wie den indigenen Stämmen Borneos nicht anerkannt, könnte dies zu einem unwiderruflichen Verlust von Arten, Ökosystemen, Kulturen, Lebensgrundlagen und Gemeinschaften führen.
Die Sensibilisierung für die Bedeutung von Tropenkrankheiten gehört seit langem zu den Prioritäten der für die globale Gesundheit zuständigen Gremien. Der anhaltende Druck, den wir als Menschen auf die Welt und ihre Ökosysteme ausüben, bedroht jedoch das Leben bestimmter Kulturen in einer Weise, die über die zoonotische Übertragung von Krankheiten hinausgeht. Die Erkenntnis, dass ein Virus, das zwar in seinem derzeitigen Zustand keine Menschen infizieren kann, trotzdem katastrophale Folgen für Millionen von Menschen haben könnte – insbesondere für diejenigen, deren Beziehung zur Natur tiefgreifend und allumfassend ist – erfordert eine grundlegende Änderung der globalen Prioritäten. Ein solcher Wandel erfordert zwar eine massive Überarbeitung bestehender Systeme, aber er könnte damit beginnen, die aktuelle ASP-Situation anzuerkennen und dem Virus und den von ihm betroffenen Gemeinschaften die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie verdienen.
Der Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung von Borneo Futures Sdn Bhd. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Ryan Kosmides, Unsplash