Die Patientin klagt in der Notaufnahme über starke Nackenschmerzen. Außerdem fallen ein hängendes Augenlid und eine verengte Pupille auf. Die Ärzte haben schnell eine Verdachtsdiagnose – doch die Ursache der Schmerzen überrascht.
Eine 48-jährige Patientin stellt sich wegen seit drei Tagen zunehmenden Nacken- und Kopfschmerzen in der Notaufnahme vor. Sie könne ihren Hals kaum mehr bewegen vor Schmerzen. Beim Blick in den Spiegel ist ihr am Vortag außerdem aufgefallen, dass ihr rechtes Augenlid etwas nach unten hängt. An einen konkreten Auslöser der Beschwerden kann sie sich nicht erinnern. Sie ist ansonsten eine gesunde junge Frau und hat an Vordiagnosen lediglich einen konservativ behandelten lumbalen Bandscheibenvorfall zu bieten.
Die körperliche Untersuchung ergibt einen internistisch unauffälligen Befund. In der neurologischen Untersuchung fällt eine Ptosis und eine Miosis rechts auf. Weitere neurologische Ausfälle bestehen nicht. Aufgrund des Horner-Syndroms (Miosis und Ptosis) sowie der Nackenschmerzen wird bei Verdacht auf eine Karotisdissektion ein CT des Schädels mit Angiographie durchgeführt.
Hier ergibt sich der dringende Verdacht auf eine rechtsseitige Karotisdissektion mit nach distal zunehmender Einengung des Gefäßlumens. Auch in der Duplexsonographie ergaben sich Hinweise auf eine Dissektion mit hochgradiger Stenose der rechten A. carotis interna bei verschmälertem Lumen und deutlich vermindertem Flussvolumen. Im MRT des Schädels, welches am Folgetag durchgeführt wird, kann schließlich das intramurale Hämatom in der fettsupprimierten Sequenz dargestellt und die Diagnose gesichert werden. Zerebrale Ischämien im Versorgungsgebiet der rechten A. carotis interna zeigen sich glücklicherweise nicht.
Horner-Syndrom links mit Miosis (enge Pupille) und Ptosis (hängendes Lid). Quelle: Keser et al. 2022
Die Patientin wird im Verlauf nochmals genau dahingehend befragt, ob sie sich an ein auslösendes Ereignis erinnern könne. Daraufhin erinnert sie sich, dass sie beim Rückwärtsfahren mit dem Auto aus Versehen stark auf die Bremse getreten sei, während sie über die Schulter nach hinten geschaut habe. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Nackenschmerzen angefangen.
Nachdem bei Aufnahme eine Thrombozytenhemmung mit ASS begonnen wurde, entschied man sich nach Abschluss der Diagnostik aufgrund der hochgradigen Stenose für eine Antikoagulation. Diese wurde zunächst mit niedermolekularem Heparin umgesetzt, parallel wurde Marcumar mit einem Ziel-INR von 2,0–3,0 eindosiert. Die Duplexsonographie-Kontrolle vor Entlassung zeigte bereits eine deutliche Befundbesserung, Hinweise für weitere Gefäßdissektionen ergaben sich nicht. Auch die Beschwerden der Patientin waren rückläufig, das Horner-Syndrom war aber weiterhin feststellbar, wenn auch geringer ausgeprägt. Der Patientin wurde empfohlen, in nächster Zeit auf intensive körperlich-mechanische Belastungen zu verzichten, außerdem wurden Verlaufsuntersuchungen mittels Duplexsonographie und MRT empfohlen.MRT der Patientin mit Hornersyndrom und Nackenschmerzen. Fettsupprimierte Sequenz. Roter Pfeil: Wandhämatom in der dissezierten A. carotis interna. Das Gefäßlumen ist im Vergleich zur Gegenseite deutlich eingeengt.
Dissektionen der Halsgefäße sind insgesamt selten. Neben der A. carotis kann auch die A. vertebralis betroffen sein. Sie entstehen aus einem Riss in der innersten Schicht der Arterien, der Tunica intima. In diesen Einriss strömt dann Blut, ein Hämatom in der Gefäßwand entsteht. Dieses Hämatom kann sich weiter vergrößern und zu einer Stenose des Gefäßes und/oder zu einem raumfordernden Effekt führen. Hieraus ergeben sich die Symptome. Durch den lokal raumfordernden Effekt kann es zu Schmerzen, zu einem Horner-Syndrom oder zu einem puls-synchronen Tinnitus kommen. Durch die Gefäßstenose kann es zu Thrombenbildung und distalen Thrombembolien (TIA/Schlaganfall) kommen.
Dissektionen der Halsgefäße sind vor allem deshalb so gefährlich, da es in mehr als der Hälfte der Fälle zu einer TIA oder einem ischämischen Schlaganfall kommt. Wobei hier einschränkend anzumerken ist, dass Dissektionen ohne assoziierten Schlaganfall wahrscheinlich häufig aufgrund nur milder Symptomatik gar nicht zu einer ärztlichen Behandlung führen und deshalb in der Statistik nicht auftauchen. Bei jungen Patienten (< 50 Jahre) mit einem ischämischen Schlaganfall ist in bis zu 25 % eine Dissektion die Ursache.
Als Ursache von spontanen Dissektionen der Halsgefäße geht man von einer genetisch-bedingten Schwäche der Gefäßwand aus. Oft entsteht eine Dissektion spontan (d. h. ohne vorangegangenes Trauma). Wenn ein potentiell auslösendes Trauma erinnerlich ist, ist es oft wie in dem beschriebenen Fall mild und ohne große Krafteinwirkung.
Bei der Behandlung ist das oberste Ziel, drohende Schlaganfälle zu verhindern. Eine medikamentöse Schlaganfallprophylaxe sollte dementsprechend so schnell wie möglich gestartet werden. Hier besteht die Wahl zwischen einer Thrombozytenaggregationshemmung und einer Antikoagulation. Welche der beiden Optionen die bessere ist, weiß niemand so genau. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung gibt es nur kleinere Studien, die keinen signifikanten Unterschied in der Wirksamkeit zwischen den beiden Medikamentengruppen fanden.
Die bereits 2021 abgelaufene Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie empfiehlt eine Thrombozytenfunktionshemmung bei Hinweisen für eine erhöhte Blutungsgefahr oder bei ausschließlich lokalen Symptomen der Dissektion. Eine Antikoagulation wird hingegen bei durch die Dissektion bedingtem Gefäßverschluss oder subtotaler Stenose sowie beim Nachweis von intraluminalen Thromben empfohlen. Bei dem beschriebenen Fall fiel die Entscheidung zugunsten der Antikoagulation aufgrund der höchstgradigen Stenose der A. carotis. Eine Behandlung mit einer (ggf. doppelten) Thrombozytenfunktionshemmung wäre aber wahrscheinlich auch kein Fehler gewesen.
Auch bei der Frage, wie lang man die medikamentöse Therapie fortsetzen sollte, bewegt man sich mit Blick auf die Evidenz auf einer schwachen Basis. Meist wird für 6 Monate behandelt. Wenn es in dieser Zeit zu keinem Schlaganfall gekommen ist und sich die Gefäßveränderungen zurückgebildet haben, wird die Therapie meist beendet.
Quellen:
Keser et al. Cervical Artery Dissections: Etiopathogenesis and Management. Vasc Health Risk Manag, 2022. doi: 10.2147/VHRM.S362844.
Ringelstein et al. S1-Leitlinie Spontane Dissektionen der extra- und intrakraniellen hirnversorgenden Arterien, 2016.
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