Ich weiß, Tiermedizin ist anders als Humanmedizin. Aber was ich als Patient in der Hausarztpraxis erlebt habe, lässt mich erschaudern. Zwei Beispiele, wie schlechte Menschenmedizin geht.
Man ist ja einiges gewöhnt ... drei Monate bis zum Facharzttermin, drei Monate bis zum passenden Korsett – während die Ärztin betont, wie dringend es sei. Und das hier, in Mitteleuropa, nicht Bangladesch. Bitte nicht falsch verstehen, alle Menschen auf der ganzen Welt sollten Zugang zu optimaler Versorgung im Krankheitsfall haben und wäre das der Gesellschaft wichtig, wäre das längst geschafft. Aber jetzt treibt die Ärztemangelversorgung hierzulande schon seltsame Blüten. Hier ein – hoffentlich Einzelfall – aus meinem Leben.
Kind wird Mittwochabend krank, klagt über Halsschmerzen, bekommt Fieber. Also Donnerstagfrüh zum Hausarzt. Er schaut in den Hals und verschreibt drei Tage Cefquinom. Auf Nachfrage, ob man da nicht erst einen Abstrich und ein Antibiogramm bräuchte oder vielleicht auch einen Virusnachweis versuchen könnte, verneint er und sagt, bei Mandelentzündung müsse immer eine Antibiose sein, das sei Standardvorgehen – und drei Tage reichen leicht, das wirkt insgesamt sechs Tage. Es gibt außerdem ein Attest für die Schule bis Freitag.
Na gut. Bin ja nur der Tierarzt. Was weiß ich schon. Ich kann gar kein Antibiotikum ohne Keimnachweis und Antibiogramm verordnen und muss immer das einfachste, wirksame nehmen. Standardvorgehen. Antibiotika-Leitlinien. Langzeitformulierungen gibts quasi bei mir nicht. Dafür dokumentieren ohne Ende. Ja, ich behandle lebensmittelliefernde Tiere.
Am Wochenende fühlt sich das Kind schlechter statt besser, fiebert wieder auf und sowohl Corona- als auch Influenzatest sind positiv. Die Antibiose hat vielleicht auch mit dem Durchfall zu tun, der sich zu Halsschmerzen, Bronchitis und Konjunktivitis gesellt. Husten und Durchfall – beste Kombination aller Zeiten, so nebenbei. Also am Montag wieder zum Hausarzt, so kann man ja nicht zur Schule.
Dort ist erwartungsgemäß die Bude voll. Folgendes Gespräch mit der freundlichen Vorzimmerdame:
„Guten Tag, mein Kind fühlt sich nicht besser. Wir waren ja letzte Woche schon hier.“
„Leider habe ich keinen Arzt im Haus, unsere Chefin ist in der anderen Filiale, die Aushilfe ist weg, der macht eine eigene Praxis auf, und die Neue, die Anfangsassistentin, der ist Arbeit gleich am Montagfrüh in der Einarbeitungszeit nicht zuzumuten.“
Ich reagiere geistig mit Unverständnis. So ab Montagnachmittag mal loslegen – das hätte mir als Assistenzärztin schon auch gepasst. Nett, heutzutage.
„Aber ich brauche ein Attest für die Schule, müssen wir dann nachmittags wiederkommen?“ Gedanklich bin ich bei meinem anderen Kind, das Geburtstag hat und um die Zeit sicher Kuchen essen will.
„Nein, das ist kein Problem, ich habe unterschriebene Blankoformulare hier und auch schon unterschriebene Rezepte. Sie bekommen das Attest und bestimmt wollen Sie das nächste Antibiotikum?“
„Wie, das nächste, könnte die Erkrankung nicht auch viral sein?“
„Alle wollen immer das nächste, bis es ihnen besser geht und ich weiß, was die Chefin als nächstes immer nimmt.“
„Oh. Ok. Dann danke, aber kein Rezept, nur das Attest, bitte.“
„Gleich bis Freitag, dann brauchen Sie nicht wiederkommen?“
„Jup, das ist eine sehr gute Idee.“
Antibiotika, verschrieben von der Vorzimmerdame? Ohne Untersuchung? Geschweige denn Abstrich, Antibiogramm, fünffache Dokumentation? Aber was weiß ich schon, bin ja nur der Tierarzt.
Erinnert mich an letzten Herbst, Anfang Oktober. Dasselbe Kind hat ausführlich an einem Mückenstich gekratzt und nun sieht das nach Pilz aus – nicht groß, aber typisch. Also zum Hautarzt.
Telefonat: „Blablabla ... bitte Termin für wahrscheinlich ansteckend infiziertes Kind?“
„In diesem Jahr nicht mehr, sind alle weg. Sie können am ersten Arbeitstag im neuen Jahr anrufen, um acht, da machen wir das nächste Quartal voll.“
„Das Kind ist aber jetzt krank und kratzt wahrscheinlich!“
„Sie können auf die Warteliste, falls einer absagt. Oder Moment – sind Sie privat versichert?“
Bin ich nicht. Daher schleppe ich das Kind mit, als ich sowieso zwei Tage später ein Folgerezept abholen muss und bitte um spontane Untersuchung. Müsste der Arzt auch nicht umsonst tun, das Kind war noch nicht bei ihm. Total entnervt von meiner Dreistigkeit steckt mich die Frau vom Empfangstresen samt Kind für 1,5 Stunden ins Wartezimmer. Nur, um dann aufzutauchen und zu sagen: „Der Chef ist drüben im Laserzentrum, der kann echt nicht. Sie sollen ins Krankenhaus in die Notaufnahme gehen.“
Wirklich? Die armen Leute in der Notaufnahme bemühen, wegen eines zwei Zentimeter großen Flecks am Fuß? Bestimmt haben die echte Arbeit, das kommt nicht in Frage. Schließlich sind wir offensichtlich nicht behandlungswürdiger als die Krähenfüße von irgendeiner reichen Privatzahlerin. Wo ist denn da die Logik? Aber was weiß ich schon, bin ja nur der Tierarzt.
Ach Moment, ich weiß ja doch was! Wie man ein Geschabsel macht und Pilzsalbe aus dem Kofferraum nimmt. Was soll ich sagen, drei Wochen später ist alles vergessen – was die Pilzinfektion angeht, zumindest.
Zurück zum aktuellen Fall: Das Kind wurde versorgt mit Ibu, literweise Salbeitee und Nasenspray, dazu Halstabletten. Die Küche wurde desinfiziert so gut wie möglich, um Geburtstag feiern zu können – man hat ja noch ein Kind, das auch drankommen will. Leider sowieso nur in kleinstem Kreis, mit Oma, wegen des kranken Geschwisterkindes.
Jetzt wird es erst lustig. Auftritt Oma, Beamtin in Rente, privatversichert, keine medizinische Bildung – obwohl ich seit Jahren mein Bestes gebe.
„Also, so geht das nicht, du musst sofort mit dem kranken Kind zum Facharzt! Das Kind muss ein stärkeres Antibiotika (sic!) bekommen! Was willst du nur immer beim Hausarzt, die können doch nur das schwache Zeug aufschreiben.“
„Oma, erstens glaube ich nicht, dass es sich um eine bakterielle Infektion handelt und zweitens können alle Ärzte alles aufschreiben, was sie für angebracht halten.“
„Das kann doch nicht stimmen, wofür wäre es dann ein Facharzt, wenn er nicht ein stärkeres Antibiotika (sic!) hätte. Das war bei mir auch mal so, da hat dann das dritte endlich geholfen, das muss man so machen, wenn man will, das das Kind gesund wird und gut dafür sorgt.“
Ich schlucke den Seitenhieb von wegen schlechte Mutter, ich will die Stimmung für das Geburtstagskind nicht zerstören. „Oma, ich sehe, du möchtest helfen, aber lass uns jetzt Geburtstag feiern.“
„Nimm doch mal einen Rat von mir an, du bist schließlich nur der Tierarzt, du kannst das nicht wissen.“
Dito. Ich bin nur der Tierarzt. Ich kann das offensichtlich alles nicht wissen.
Die Autorin dieses Textes ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.
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