In Deutschland sind vor allem die Onkopedia-Leitlinie „Invasive Pilzinfektionen“ und die S1-Leitlinie „Diagnose und Therapie invasiver Candida-Infektionen“ für Ärztinnen und Ärzte relevant.1,2 In der Erstlinie empfehlen beide den Einsatz von Echinocandinen.1,2 Diese Empfehlung treffen auch die der Studie zugrundeliegende europäische Leitlinie der ESCMID* und die amerikanische IDSA-Leitlinie*.3,4 Auf den ersten Blick sind sich die Fachgesellschaften also einig. Ob allerdings diese und weitere Empfehlungen in der Praxis umgesetzt werden und ob dies zu einer niedrigeren Mortalität führt, wurde bisher kaum untersucht.5
An der groß angelegten beobachtenden Kohortenstudie ECMM Candida III nahmen 64 Krankenhäuser in 20 europäischen Ländern teil.5 Insgesamt wurden 632 Patientinnen und Patienten mit einer invasiven Candida-Infektion im Durchschnittsalter von 65 Jahren eingeschlossen. 39 % der Personen hatten eine hämatologische oder onkologische Erkrankung, 37 % waren intensivpflichtig und 26 % der Patientinnen und Patienten hatten kürzlich eine große Operation.
Die 90-Tages-Mortalität betrug 43 %. Unabhängige Baseline-Prädiktoren waren zunehmendes Alter, Intensivpflichtigkeit, eine höhere Punktzahl im Charlson-Komorbiditätsindex sowie eine Infektion mit Candida tropicalis.5
Als Surrogatmarker für eine leitliniengerechte Therapie gemäß der europäischen ESCMID-Leitlinie wurde der EQUAL#-Candida Score genutzt.5,7 Je nachdem wie viele Empfehlungen der Leitlinie umgesetzt wurden, konnten insgesamt 22 (mit zentralem Venenkatheter [CVC]) oder 19 (ohne CVC) Punkte erreicht werden. Einige wichtige Parameter des Scores sind:7
ESCMID-/ISDA-Empfehlung
Punkte
Parameter
Stärke
Evidenzniveau
Mit CVC
Ohne CVC
Initiale Blutkultur (40 ml)4,8
Essentiell
n/a
3
Identifizierung der Art4,8
Empfindlichkeitstestung4,8
Empfohlen
I8/III4
2
Echokardiografie3,4
B
II
1
Ophthalmoskopie3,9
II3/III4
Echinocandin-Therapie3,4
A
I
Step-Down zu Fluconazol**3,4
Behandlung bis 14 Tage nach 1. negativer Kultur3,4
A4/B3
CVC entfernen3,4,10
-
≤ 24h nach Diagnose
> 24h < 72h nach Diagnose
Follow-up Blutkulturen##3,4
III
Punkte insgesamt
22
19
A = Starke Empfehlung, B = Moderate Empfehlung; I = Evidenz von mind. einer gut designten randomisierten und kontrollierten klinischen Studie; II = Evidenz von mind. einer gut designten klinischen Studie ohne Randomisierung, von Kohorten- oder Fallkontrollstudien, von mehreren Fallserien oder von dramatischen Ergebnissen unkontrollierter Experimente; III = Evidenz von Expertenmeinungen, basierend auf klinischen Erfahrungen, deskriptiven Kasuistiken oder Reports von Expertenkomitees; CVC = zentraler Venenkatheter; n/a = nicht angegeben; ** je nach Ergebnis der Empfindlichkeitstestung; ## mind. eine pro Tag bis negativ
Der EQUAL-Candida-Score war auch nach Adjustierung für die oben genannten Baseline-Prädiktoren ein unabhängiger Prädiktor der Mortalität.5 Pro Punkt Abnahme im Score stieg das Mortalitätsrisiko um 9 % (mit CVC, Abb. 1) bzw. um 8 % (ohne CVC). Um die Aussagekraft zu erhöhen, wurden nur Patientinnen und Patienten in diese Analyse eingeschlossen, die mindestens 7 Tage nach der Diagnose noch am Leben waren. So konnten auch zeitaufwändige Parameter des Scores in die Bewertung mit einfließen. Die Daten deuten darauf hin, dass ein hoher EQUAL Candida-Score und entsprechend eine hohe Adhärenz zur ESCMID-Leitlinie zu einem höheren Gesamtüberleben bei Personen mit invasiver Candida-Infektion führen könnten.5
Abb. 1: Mortalitätsrisiko pro Punkt Zunahme im EQUAL Candida-Score für Patientinnen und Patienten mit zentralem Venenkatheter (CVC). Je weniger Punkte erreicht wurden, desto größer war die adjustierte Hazard Ratio (95 %-Konfidenzintervalle in grau).Der Boxplot zeigt den Median (Mittelstrich) und den Interquartilsabstand (Bereich der Box, IQR) an. Whiskers erstrecken sich auf das 1,5-fache des IQR. Ausreißer sind mit einem Kreis gekennzeichnet. Modifiziert nach 5
Mit 3 Punkten Gewichtung ist die Echinocandin-Therapie ein wichtiger Parameter im EQUAL-Score.7 Die initiale Behandlung mit Antimykotika dieser Gruppe führte nach Adjustierung für Baseline-Risikofaktoren zu einem um 44 % niedrigeren Sterberisiko (HR 0,56 [95 %-KI: 0,44-0,72], p<0,0001].5
Im Schnitt blieben die Studienteilnehmenden bis 15 Tage (IQR 4-30) nach Diagnose der Candidämie im Krankenhaus. Bei 16 % der Personen (100 von 621) wurde der Krankenhausaufenthalt verlängert, um die parenterale Echinocandin-Therapie abzuschließen.5 Laut S1-Leitlinie „Diagnose und Therapie invasiver Candida-Infektionen“ kann bei klinischer Stabilisierung und nachgewiesener Empfindlichkeit des Isolates auf Fluconazol oralisiert werden (Sequenztherapie).2
Aus Sicht der Autorenschaft könnten neue Antimykotika mit oraler Bioverfügbarkeit oder einer längeren Halbwertzeit zu einer früheren Entlassung führen und zu einer Kostensenkung sowie zu einem geringeren Risiko durch nosokomiale Infektionen beitragen.5
Die Autorenschaft kommentiert nicht, inwiefern mangelndes Wissen hinsichtlich der ESCMID-Empfehlungen, suboptimal geschultes Personal, eine unzureichende diagnostische Ausstattung, die Verfügbarkeit bestimmter Antimykotika oder Kostengründe (Echinocandine sind teurer als Fluconazol) mögliche Faktoren für eine geringere Leitlinien-Adhärenz sein könnten.5 Mittlerweile ist der Patentschutz aller drei zugelassenen Echinocandine ausgelaufen und die Preise sind durch Generika gesunken.
Fußnoten:
* European Society for Clinical Microbiology and Infectious Diseases, Infectious Diseases Society of America (IDSA)
# ECMM Quality of Clinical Candidaemia Management
Referenzen:
Bildquelle: iStock.com via Getty Images / selvanegra