Die Rezeptpflicht der Desogestrel-Pille bleibt bestehen. Als Gynäkologin finde ich: Dafür gibt es gute Gründe.
Gestagenmono-Pillen, auch als Minipillen bezeichnet, sind eine große Errungenschaft in der modernen Antikonzeptionsgeschichte. Von Experten hört man immer wieder: „Die geht fast immer.“ Gerade in Risikokollektiven etwa bei thromboembolischer oder thrombophiler Anamnese, Migräne mit Aura oder in der Stillzeit, ist sie eine gute Alternative zur klassischen Kombinationspille mit Östrogenen und Gestagenen.
Unter der eigentlichen Minipille versteht man das erste Gestagenmono-Präparat, das zur Antikonzeption zur Verfügung stand. Es besteht aus 0,03 mg Levonorgestrel und war das ersehnte Novum für Risikokollektive, außerdem die erste sogenannte Stillpille. Der Wirkmechanismus ist lokal über Verdickung des Zervikalsekrets und Atrophie des Endometriums. Spermien werden am Aufstieg gehindert bzw. eine befruchtete Eizelle kann sich nicht einnisten. Hierbei findet keine Ovulationshemmung statt. Levonorgestrelhaltige Minipillen müssen möglichst immer zur selben Tageszeit eingenommen werden (3-Stunden-Fenster) und sind insgesamt etwas unsicherer als andere orale Antikonzeptiva (Pearl-Index 4,14).
Mit den 75 µg Desogestrelpräparaten folgten reine Gestagenpillen, die zusätzlich über eine Ovulationshemmung verfügen. Dadurch fällt die Notwendigkeit der zeitlichen Einnahmegenauigkeit weg (12-Stunden-Fenster wie bei Kombinationspräparaten) und die Sicherheit erhöht sich (Pearl-Index 0,4). Beide Präparate werden ohne Einnahmepause verabreicht. Nachteilig sind häufig Blutungsanomalien und androgene Nebenwirkungen wie unreine Haut oder depressive Verstimmungen.
Hinzugekommen ist 2021 ein Gestagenmono-Präparat mit 4 mg Drospirenon, das antiandrogene und antimineralokortikoide Partialwirkungen besitzt. Das Blutungsmuster ist häufig besser, Akne und ein leichter Hypertonus werden günstig beeinflusst. Das Einnahmefenster von 24 Stunden sorgt für eine bessere Compliance und der Pearl-Index von 0,73 verspricht eine hohe Sicherheit.
In anderen Ländern, etwa Großbritannien, ist die Verschreibungspflicht für Minipillen gefallen. Befürworter argumentieren, dass dies gerade für junge Frauen wichtig sei: keine Arzttermine mehr, sondern ein niederschwelliger Zugang zu einem sicheren Verhütungsmittel in der Apotheke. Der Besuch bei der Gynäkologin sei mit Scham, Ängsten und langen Wartezeiten verbunden. Diese Hemmschwelle könne dazu führen, dass am Ende gar nicht oder mit unsichereren Methoden verhütet werde. Zudem wird auf die größere Unbedenklichkeit ausschließlicher Gestagenpräparate im Vergleich zu den kombinierten Pillen verwiesen. Warum also nicht, ähnlich wie die sogenannte Pille danach, Gestagenmono-Pillen aus der Verschreibungspflicht nehmen?
Antikonzeptionsberatung bedarf Gründlichkeit und Zeit. Ziel ist es, die beste Methode für die jeweilige Frau in ihrer ganz persönlichen Lebenssituation zu finden. Im Erstgespräch werden alle gängigen Methoden vorgestellt, Kontraindikationen abgefragt und auf die individuellen Vorstellungen der Patientin eingegangen. Eine gründliche Eigen- und Familienanamnese, Erhebung des Blutdrucks und Bestimmung des BMI werden zu Beginn und unter weiterer Therapie wiederholt vorgenommen. Wichtig ist auch eine Familienplanung auf längere Sicht. So wird sich eine junge Frau, die sich in der Ausbildung oder mitten im Studium befindet, anders entscheiden als eine Patientin, die postpartal einen sinnvollen Abstand zur nächsten Schwangerschaft wählt. Einnahmemodus, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Verhaltensregeln bei Durchfall und Erbrechen gehören ebenfalls dazu.
Einen hohen Stellenwert haben regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, Ausschluss von Infektionen und Evaluation von neu hinzugekommenen Risikofaktoren. Außerdem gilt es, dem aktuellen Hormon-Bashing eine wissenschaftlich fundierte Aufklärung entgegenzuhalten.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat durch seinen Sachverständigenausschuss die Entlassung von Desogestrelmono-Präparaten aus der Verschreibungspflicht am 23. Januar 2024 zurückgewiesen. Der Berufsverband für Frauenärzte (BVF) stellt sich in einer Pressemitteilung hinter diese Entscheidung.
Neben den bereits beschriebenen Inhalten, die eine ärztliche Antikonzeptionsberatung und Therapiebegleitung ausmachen, ergänzt der BVF: „Die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln schützt im Übrigen auch vor deren Missbrauch. Im Fall von Kontrazeptiva ist beispielsweise eine erzwungene und/oder verheimlichte Verabreichung des Medikaments gegen den Willen einer Frau oder eines Mädchens möglich, um deren Empfängnis zu verhindern. In Deutschland hat jede gesetzlich Krankenversicherte aus gutem Grund Anspruch auf eine ärztliche Verhütungsberatung, begleitende notwendige medizinische Untersuchungen und gegebenenfalls die Arzneimittel-Verschreibung. Derzeit übernimmt die gesetzliche Krankenkasse bis zum 22. Lebensjahr die Kosten eines verschreibungspflichtigen Verhütungsmittels. Somit ist eine Entlassung von Desogestrel aus der ärztlichen Verschreibungspflicht aus medizinischer Sicht nicht zu empfehlen und wäre für die Anwenderinnen mit einem vermeidbaren Risikopotenzial behaftet.“
Auch wenn Gestagenmono-Präparate in bestimmten Risikokollektiven im Gegensatz zu kombinierten Kontrazeptiva eingesetzt werden können, müssen auch hier medizinische Abwägungen getroffen werden. „Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Anwendung durch Risikopersonen (z. B. mit Grunderkrankungen wie Diabetes Mellitus, Hypertonie). Um mögliche Kontraindikationen zu erfassen (z. B. geschlechtshormonabhängige Tumoren, Leberfunktionsstörungen, ungeklärte vaginale Blutungen) ist eine sorgfältige Anamnese (ggf. einschließlich gynäkologischer Untersuchung) der Patientin erforderlich“, so der BVF.
Um Schwangerschaftskonflikte zu vermeiden, sind niederschwellige Verhütungsangebote wichtig. Dem würde eine Befreiung aus der Rezeptpflicht entgegenkommen. Desogestrelmono-Präparate sind im Gegensatz zu kombinierten Pillen aus Östrogenen und Gestagenen auch in bestimmten Risikokollektiven einsetzbar. Jedoch gibt es auch hier medizinische Gründe, die gegen eine Einnahme sprechen.
Verhütungsberatung ist eine intime Angelegenheit, die Zeit und Privatsphäre benötigt. Das frühzeitige Erkennen von Malignomen und sexuell übertragbaren Erkrankungen erfordert regelmäßige gynäkologische Untersuchungen. Hormonnebenwirkungen bedürfen einer Umstellung der Kontrazeptionsmethode.
Aufgabe verantwortungsvoller Mediziner ist es, genügend Zeit und Empathie für eine effektive Verhütungsberatung aufzubringen. Aufgabe einer verantwortungsvollen Gesundheitspolitik wäre es, dies zu ermöglichen.
Bildquelle: Reproductive Health Supplies Coalition, Unsplash