Zu Statinen gibt es besonders oft neues Studienfutter. Ist zum Beispiel die Entstehung eines Katarakts der Preis einer intensiven LDL-Senkung? Lest hier meine Einschätzung als Kardiologin.
Die Thematik der Statine wird nicht nur immer wieder zwischen Kollegen und im ärztlichen Patientengespräch thematisiert, sondern ist auch wiederkehrend Gegenstand von wissenschaftlichen Studien. In der Fülle an neu erscheinenden Daten stellt sich gelegentlich die Frage, wie hoch der wirkliche Neugewinn von Informationen ist. Dass eine intensive Senkung des LDL-Cholesterinspiegels mittels hochdosierter Statine für die Therapie der koronaren Herzkrankheit von entscheidender Bedeutung ist, ist mittlerweile gut bekannt. Obwohl Statine in der Regel gut verträglich sind, können sie Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen, Leberfunktionsstörungen und in seltenen Fällen Muskelschwäche verursachen. Derzeit ist jedoch nicht klar, ob die unerwünschte Wirkung auf das jeweilige Medikament selbst oder auf die Wirkung der Medikamentenklasse zurückzuführen ist.
Genau diese Fragestellung ist jedoch für den klinischen Alltag relevant, denn ist die Entscheidung für den Beginn einer Statin-Therapie gefallen, steht die Wahl des Medikaments an. Wünschenswert wäre eine günstiges Nebenwirkungsprofil bei einer bestmöglichen Wirksamkeit. Das Forscherteam um Yong-Joon Lee verglich zwei gängige Statine miteinander.
Um die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlung von Rosuvastatin und Atorvastatin zu vergleichen, haben die Wissenschaftler eine Sekundäranalyse der LODESTAR-Studie (Low-Density Lipoprotein Cholesterol-Targeting Statin Therapy Versus Intensity-Based Statin Therapy in Patients With Coronary Artery Disease) durchgeführt. Es handelte sich um eine randomisierte, offene und multizentrische Studie in 12 Krankenhäusern in Südkorea im Zeitraum von ca. 3 Jahren. An der Studie nahmen 4.400 Probanden mit einer koronaren Herzkrankheit teil, die mittels einer Randomisierung entweder der Rosuvastatin- (n = 2.204) oder der Atorvastatin-Gruppe (n = 2.196) zugeteilt wurden. Die mittlere Tagesdosis betrug nach drei Jahren 17,1 mg in der Rosuvastatin-Gruppe und 36 mg in der Atorvastatin-Gruppe. Von den 4.400 Teilnehmern schlossen 98,7 % die Studie vollständig ab.
Als primärer Endpunkt der Studie wurde ein Drei-Jahres-Kompositum aus allen Todesursachen, dem Vorkommen eines Myokardinfarkts, dem Auftreten eines Schlaganfalls oder der Notwendigkeit einer Koronarrevaskularisation definiert. Bei den sekundären Endpunkten handelte es sich um Sicherheitsendpunkte. Zu nennen sind hier das Neuauftreten von einem Diabetes mellitus, einer Hospitalisierung aufgrund von einer Herzinsuffizienz, das Vorkommen einer tiefen Venenthrombose oder einer pulmonalen Thromboembolie. Dazu kommen notwendige Interventionen, wie endovaskuläre Revaskularisationen bei peripheren Arterienerkrankungen, Eingriffe an der Aorta oder andere Operationen. Außerdem zählten Nierenerkrankungen im Endstadium, das Terminieren der Studienmedikation aufgrund von Unverträglichkeiten, Kataraktoperationen und eine Zusammenstellung von im Labor festgestellten Anomalien zu den sekundären Endpunkten.
Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der primären Endpunkte lag bei 8,7 % in der Rosuvastatin-Gruppe und 8,2 % in der Atorvastatin-Gruppe. Im Zeitraum der Studie verstarben 57 Teilnehmer der Rosuvastatin-Gruppe sowie 51 Teilnehmer der Atorvastatin-Gruppe. Ein Myokardinfarkt wurde bei 1,5 % bzw. 1,2 % der Teilnehmer beobachtet. Das Vorkommen von Schlaganfällen unterschied sich nicht zwischen den beiden Gruppen. Eine koronare Revaskularisation war bei 5,3 % bzw. 5,2 % der Teilnehmer notwendig. Die Daten zeigten eine vergleichbare Wirksamkeit von Rosuvastatin und Atorvastatin in Bezug auf die Gesamtheit der Todesursachen, Myokardinfarkte, Schlaganfälle und Koronarrevaskularisationen nach 3 Jahren. Rosuvastatin war mit geringeren LDL-Werten während des gesamten Studienzeitraums vergesellschaftet, hatte jedoch im Vergleich zu Atorvastatin ein höheres Risiko für einen neu auftretenden Diabetes mellitus sowie für die Notwendigkeit einer Kataraktoperation. Die zusätzliche Verwendung von Ezetimib war in der Rosuvastatin-Gruppe ab dem dritten Monat niedriger als in der Atorvastatin-Gruppe.
Dass Statine einen Einfluss auf das Auftreten von einem neuen Diabetes mellitus oder einem Katarakt haben könnten, wird schon länger diskutiert. Die Datenlage ist kontrovers. In der australischen BME-Studie (Blue Mountains Eye Study), in der 2007 die Daten von mehr als 2.300 älteren Patienten ausgewertet wurden, wurde von einer Reduktion der Kataraktentstehung um 50 % berichtet. In der Studie wurden die verschiedenen Statine nicht unterschieden. In einer Studie aus dem Jahr 2010 wurden die Ergebnisse einer englischen Kohortenstudie mit mehr als zwei Millionen Patienten veröffentlicht. Danach gab es ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Katarakten unter Statinen, welches sich innerhalb eines Jahres sowohl bei Männern als auch bei Frauen nach Beendigung der Therapie normalisiert hatte. Jedes Statin (Simvastatin, Atorvastatin, Fluvastatin, Pravastatin und Rosuvastatin) war mit einem erhöhten Kataraktrisiko sowohl bei Männern als auch bei Frauen verbunden, mit Ausnahme von Fluvastatin bei Männern. Der direkte Vergleichstest zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen den Wirkungen einzelner Statine bei Männern (P = 0,32) oder bei Frauen (P = 0,82).
Eine Studie aus dem Jahr 2022 zeigte, dass Genvarianten, die mit einem niedrigen Cholesterinwert im Blut einhergehen, das Risiko auf die Entwicklung eines Katarakt erhöhten. Dies kam bei einer Analyse der UK-Biobank-Studie im Journal of the American Heart Association heraus. Die Ergebnisse bestätigten den Verdacht, dass Statine – übrigens die am häufigsten verordneten Cholesterinsenker – langfristig die Trübung der Augenlinsen fördern könnten und stehen auch im Einklang mit dem Ergebnis von Lee et al., dass das Statin mit den geringeren LDL-Werten (Rosuvastatin) im Studienzeitraum mit einer höheren Anzahl an Katarakt-Operationen assoziiert war.
Studien zeigen seit mehr als einem Jahrzehnt Zusammenhänge zwischen der Einnahme von Statinen und einem Typ-2-Diabetes. Im Jahr 2012 warnte die US-amerikanische FDA auf dem Etikett der Medikamente, dass es Berichte über ein erhöhtes Risiko für hohe Blutzucker- und glykosylierte Hämoglobinwerte gebe. In der gleichen Warnung erklärte die FDA jedoch, sie sei weiterhin der Ansicht, dass der kardiovaskuläre Nutzen von Statinen überwiege. Obwohl die Warnung damals viele Diskussionen auslöste und in den letzten Jahren eine Reihe von Meta-Analysen und anderen Beobachtungsstudien durchgeführt wurden, hat dieses Fazit in den Leitlinien der Fachgesellschaften weiterhin Gültigkeit. Auch das BfArM nahm im Jahr 2012 Stellung und ordnete an, dass die Produktinformationen mit Hinweisen zum Risiko eines erhöhten Blutzuckerspiegels und zur Entstehung einer Blutzuckererkrankung als möglicher Klasseneffekt der Statine ergänzt wurden.
Die Studie von Lee et al. wird trotz des randomisierten multizentrischen Designs von einigen Experten kritisch bewertet. Dr. Seth Shay Martin, Direktor des Programms für fortgeschrittene Lipidstörungen und des Digital Health Lab am Ciccarone Center for the Prevention of Cardiovascular Disease, Johns Hopkins Medicine, kommentierte: „Die Ergebnisse stehen im Einklang mit dem vorhandenen Wissen und den aktuellen Richtlinien. Daher sollte die Studie keinen Einfluss auf die Verschreibung von Medikamenten haben. Obwohl die Studie darauf hindeutet, dass Rosuvastatin im Vergleich zu Atorvastatin mit einem höheren Risiko für neu auftretenden behandlungspflichtigen Diabetes mellitus und Kataraktoperationen verbunden war, sollten diese Ergebnisse angesichts des offenen Charakters der Studie mit Vorsicht interpretiert werden und erfordern weitere Untersuchungen.“
Dr. Steven Nissen, wissenschaftlicher Leiter des Herz- und Gefäßinstituts der Cleveland Clinic, war ebenfalls nicht überzeugt von den Daten und sagte, die Studie liefere „keine nützlichen Erkenntnisse über den Einsatz dieser Medikamente“. Er wies zudem daraufhin, dass die Studienärzte eine beliebige von ihnen gewählte Dosis verwendeten und die Autoren nur die mediane Dosis nach drei Jahren nannten.
Auch wenn schon viel über Statine bekannt ist: Um festzustellen, ob die Zunahme eines neu auftretenden Diabetes oder Katarakts in direktem Zusammenhang mit der Therapie oder sogar einem bestimmten Medikament steht, werden weiteren Studien benötigt. In diesen sollten die zugrundeliegenden Mechanismen für diese Zusammenhänge und der mögliche Mechanismus für eine Arzneimittelwirkung weiter untersucht werden.
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