Krankfeiern ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, es gefährdet auch die Kollegen. Aber wie umgehen mit denen, die wirklich krank sind und denen, die nur gerne krank wären?
Der Wunsch nach einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dominiert nicht nur das Hauptgeschäft einer allgemeinmedizinischen Praxis, sondern stellt im Kontext des Fachkräftemangels auch ein wirtschaftliches Problem dar. Denn nicht jeder Patient, der um einen gelben Schein bittet, ist wirklich arbeitsunfähig. Aber wie groß ist das Problem des Krankmachens wirklich?
Es ist ein typischer Montagmorgen in der Grippesaison: Vor der allgemeinmedizinischen Praxis in einer norddeutschen Großstadt zieht sich kurz vor 8 Uhr eine lange Schlange von der Eingangstür bis in die nächste Seitenstraße. Man sieht junge Menschen, ältere Personen, Männer und Frauen. Einige ungeduldig, einige Nase putzend, viele offensichtlich krank und einige augenscheinlich im besten Gesundheitszustand. Denn nicht alle haben ein akutes medizinisches Problem und brauchen ärztliche Hilfe, sondern werden in wenigen Minuten um ein ganz besonderes Dokument bitten – den gelben Schein.
Eigentlich müsste man ja selber wissen, ob man arbeiten kann oder nicht. Aber in Deutschland ist eine selbstständige Krankmeldung meist nur bis zu drei Tagen möglich und im Anschluss verlangt der Arbeitgeber ein entsprechendes Attest vom Arzt. Und dieses befreit für eine bestimmte Zeit von der Arbeit und kann so, nicht nur im Krankheitsfall, dem einen oder anderen Zeit und Luft verschaffen. Obwohl die meisten Menschen, die ihren Hausarzt um eine Krankschreibung bitten, natürlich krank sind und offensichtliche Gründe haben, nicht arbeiten zu können, gibt es an dieser Stelle auch ein gewisses Missbrauchspotenzial.
Denn bestimmte Beschwerden und Krankheiten muss der Arzt glauben und kann sie weder feststellen oder beweisen. Berichtet beispielsweise ein Auszubildender nach einem Partywochenende von Durchfall, sieht aber bis auf ein paar Augenringe kerngesund aus, muss der Arzt ihm Glauben schenken und mehr oder weniger auf Verdacht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen – oder eben nicht. Aber was bedeutet Arbeitsunfähigkeit eigentlich?
Orientiert man sich an der Definition und Beschreibung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), handelt es sich bei der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit um eine Voraussetzung für den Anspruch auf Lohnfortzahlung und Krankengeld bei gesetzlich Krankenversicherten. So weit, so gut. Aber wie kann man im Einzelfall feststellen, ob jemand seiner Arbeit in seinem Gesundheitszustand nachgehen kann oder nicht? Der GBA nennt als wichtiges Kriterium die Gefahr der Verschlimmerung einer Erkrankung, wenn die berufliche Tätigkeit weiterhin ausgeführt wird. Aber das lässt sich natürlich in wenigen Minuten bei einem vollen Wartezimmer nicht immer stichfest prüfen. So kann sich ein Informatiker den Fuß verstauchen und trotzdem mit angemessener Schmerzmedikation im Homeoffice am Computer sitzen. Aber eine Krankenschwester mit Corona ohne Symptome ist natürlich für Ihren Arbeitgeber umgehend vom Tisch.
Dass die Häufigkeit von Krankschreibungen, auch aufgrund psychischer Erkrankungen, Jahr für Jahr ansteigt, ist längst kein Geheimnis mehr. So berichtet die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua) für das Jahr 2022 von einer durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeit von 21,3 Tagen je Arbeitnehmer und einem Gesamtvolumen von 888,9 Millionen Arbeitsunfähigkeitstagen. Blickt man dann auf die geschätzten Kosten für volkswirtschaftliche Produktionsausfälle von insgesamt 118 Milliarden Euro, bekommt der gelbe Schein auf einmal ein ganz anderes Gewicht. Und ganz nebenbei entsteht auch noch ein gewisser Teufelskreis.
Denn wenn in Zeiten des Fachkräftemangels viele Kollegen krankgeschrieben sind, müssen die verbliebenen Arbeitnehmer zusätzliche Aufgaben übernehmen, machen Überstunden, kommen an ihre Grenzen und werden krank. In diesem Fall wird der Wunsch nach einer Krankschreibung schnell zum Hilfeschrei. Überlastete Arbeitnehmer bitten mit leidenden Gesichtern um eine Auszeit von der Dauerbelastung oder befinden sich bereits im Burnout. Was aber kann man als Hausarzt tun, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken oder zumindest diese nicht weiter anzufeuern?
Sicherlich prüft jeder Kollege vor der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ob diese auch angemessen ist. Dennoch könnte man hier sicher an vielen Stellen etwas strenger sein. Der junge Auszubildende mit den vermeintlichen Magen-Darm-Beschwerden könnte eine Krankschreibung für zwei Tage erhalten und müsste sich dann bei anhaltenden Beschwerden am dritten Tag erneut vorstellen. Dies wäre eine bessere Alternative zu einer prophylaktischen Krankschreibung von zwei Wochen, die in seinem Handwerksbetrieb eventuell zu großen Problemen führen könnte.
Auf der anderen Seite sollten Arbeitnehmer natürlich Verantwortung übernehmen und nur dann ihrer Arbeit fernbleiben, wenn sie wirklich krank sind. Allein aus Fairness gegenüber ihren Kollegen. Und nicht zuletzt ist es eine Aufgabe der Arbeitgeber, vernünftigere Arbeitsbedingungen zu schaffen, die nicht krank machen und die Belegschaft folglich auch nicht zwingen, sich als Hilfeschrei einen gelben Schein zu besorgen. Keine Frage: Der gelbe Schein ist ein hervorragendes Diskussionsthema und macht in diesem Zuge deutlich, dass sich vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und bei dauerhaft überlasteten Hausarztpraxen einiges ändern muss.
Homepage des GBA zur Arbeitsunfähigkeit
Baua-Homepage zum Schaden durch Arbeitsunfähigkeit
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