Zu Beginn der COVID-19-Pandemie galt Hydroxychloroquin als großer Hoffnungsträger – mit fatalen Folgen. Jetzt gibt es konkrete Zahlen zu den weltweiten Todesfällen.
Ab Dezember 2019 sorgte SARS-CoV-2 als zuvor unbekanntes Virus für Angst und Schrecken. Während der ersten Welle der Pandemie haben Ärzte unter anderem vorgeschlagen, Hydroxychloroquin bei schwerem COVID-19 einzusetzen. Ihre Argumentation stützte sich vor allem auf In-Vitro-Studien mit Chloroquin und mit Hydroxychloroquin. Nur: Der Weg vom Labor zum Krankenbett ist bekanntlich nicht frei von Hürden.
Dazu ein Blick in die Literatur: Die RECOVERY-Studie, zu Pandemie-Zeiten eine der wichtigsten Projekte, um mögliche Therapien zu bewerten, fand bei Hydroxychloroquin keinen Nutzen. Forscher hatten randomisiert 1.561 stationäre COVID-19-Patienten mit Hydroxychloroquin und weitere 3.155 mit einer symptomorientierten Standardtherapie, aber ohne den Wirkstoff, behandelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten in der Hydroxychloroquin-Gruppe innerhalb von 28 Tagen lebend aus dem Krankenhaus entlassen wurden, war geringer als in der Kontrollgruppe (59,6 % versus 62,9 %). In der Hydroxychloroquin-Gruppe kam es häufiger zu invasiver mechanischer Beatmung oder zum Tod (30,7 % vs. 26,9 %).
Zahlreiche weitere Arbeiten folgten. Sie lieferten keine Hinweise auf den erhofften Nutzen, zeigten aber schwere Nebenwirkungen – teilweise kardiale Ereignisse mit Todesfolge. Auch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) sah sich veranlasst, zu warnen, Hydroxychloroquin jenseits seiner Indikationen zu verordnen, klinische Studien ausgenommen.
Der Popularität von Hydroxychloroquin hat das anfangs kaum geschadet – unter anderem, weil die US Food and Drug Administration eine Notfallzulassung erteilt hat. Auch Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro und Amerikas Ex-Präsident Donald Trump warfen sich das Präparat öffentlichkeitswirksam ein. „Was haben Sie zu verlieren? Nehmen Sie es“, sagte Trump, der Hydroxychloroquin als „Wundermittel“ bezeichnet hat. Auf Warnungen seiner Experten wollte er nicht hören. Sogar die Weltgesundheitsorganisation habe Hydroxychloroquin als potenzielle COVID-19-Therapie eingestuft, sagt die ehemalige Chefwissenschaftlerin der WHO, Soumya Swaminathan.
Trotz der fehlenden Evidenz wurde Hydroxychloroquin hospitalisierten Patienten mit COVID-19 weiterhin off label verabreicht. Im Jahr 2020 zeigte eine Analyse der Daten von mehr als 96.000 Patienten, dass Hydroxychloroquin mit mehr Herzrhythmusstörungen in Verbindung steht. Die Veröffentlichung der Ergebnisse stoppte weitere Studien zu Hydroxychloroquin gegen COVID-19. Doch die Studie wurde aufgrund inkonsistenter Daten zurückgezogen. Und 2021 warnten Forscher vor einer erhöhten Gesamtmortalität in Zusammenhang mit dem Wirkstoff. Sie sollten Recht behalten, wie eine kürzlich veröffentlichte Arbeit zeigt.
Dazu werteten die Forscher Studien aus, in denen stationäre Behandlungen, die Exposition gegenüber Hydroxychloroquin und das relative Sterberisiko durch das Medikament erfasst worden sind. Alle Daten wurden zwischen März und Juli 2020 erhoben. Bei ihrer Recherche fanden die Autoren 44 Kohortenstudien: eine aus Belgien, zwei aus Frankreich, zwölf aus Italien, sechs aus Spanien, drei aus der Türkei und 20 aus den USA. Ihre Analyse hat ergeben, dass schätzungsweise 16.990 zusätzliche Todesfälle in diesen sechs Ländern wohl auf Hydroxychloroquin zurückzuführen sind:
Weltweit sei die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Hydroxychloroquin „offensichtlich unterschätzt worden, da es aus Regionen wie Osteuropa, Großbritannien, Deutschland, Skandinavien, Afrika und Südamerika keine Daten gibt“, schreiben die Forscher. Angesichts des weit verbreiteten Einsatzes des Wirkstoffs in zahlreichen Ländern sei die Zahl an Todesfällen wohl deutlich höher.
„Obwohl unsere Schätzungen aufgrund ihrer Ungenauigkeit limitiert sind“, so die Autoren weiter, „veranschaulichen sie die Gefahr, bei geringem Evidenzniveau Medikamente jenseits ihrer Indikation einzusetzen.
Hydroxychloroquin sei genereell zwar sicher, kommentiert Swaminathan. Aber „wenn man es einer großen Anzahl gesunder Menschen präventiv verabreicht, müssen Risiken und Folgen anders bewertet werden.“ Doch was sollten Ärzte und Forscher daraus lernen? Gesundheitssysteme würden in Zukunft wahrscheinlich öfter mit neuen Situationen wie der COVID-Pandemie konfrontiert; darauf müssten sie sich vorbereiten, erklärt Swaminathan. „Wenn es nötig ist, sollten wir in der Lage sein, Medikamente schnell bei Menschen zu untersuchen“ – ohne Lieferengpässe oder Verzögerungen bei Genehmigungen.
Bildquelle: erstellt mit DALL-E