Bei Bluthochdruck denken Ärzte meist nur an alte Menschen. Doch es lohnt sich, auch Kinder und Jugendliche im Blick zu behalten.
Etwa jeder vierte Mensch in Deutschland leidet an arterieller Hypertonie. Die Diagnoseprävalenz steigt mit zunehmendem Alter – ab Mitte bis Ende 70 liegt der Wert bei 80 Prozent. Dagegen sind nur 3 Prozent aller Kinder betroffen. Beschwerden in jungen Jahren treten selten auf und lassen sich mitunter auf Grunderkrankungen (sekundäre Hypertonie) zurückführen.
Altersgruppen- und geschlechtsspezifische Diagnoseprävalenz der Hypertonie und Prävalenz-Ratio (PR, rote Linie) als Quotient aus der Prävalenz bei Männern und Frauen. Credit: Versorgungsatlas.
Primäre Hypertonie ist aber auch bei Kindern keineswegs harmlos. Mögliche Folgen lassen sich schon in jungen Jahren erkennen. „Man kann mit der Vorsorge nicht früh genug beginnen“, sagte Prof. Elke Wühl, Uniklinikum Heidelberg, beim vergangenen Hypertonie-Kongress.
Nicht alle Fachgesellschaften sind sich einig, welchen Nutzen Untersuchungen schon bei Kindern haben. Die American Academy of Paediatrics, die American Heart Association und die European Society of Hypertension befürworten ein pädiatrisches Blutdruck-Screening zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Doch die US Preventive Services Task Force ist anderer Meinung; sie verweist auf die schlechte Datenlage. Eine neue Studie hält dagegen und zeigt, warum frühe Diagnostik und frühe Interventionen so wichtig sind.
Daten stammen aus der randomisierten klinischen STRIP-Studie (Special Turku Coronary Risk Factor Intervention Project). Dazu haben Ärzte fünf Monate alte Säuglinge aus Kinderkliniken in Finnland rekrutiert und über lange Zeit nachbeobachtet.
Von 1.116 Personen nahmen 551 im Alter von 26 Jahren an der Nachuntersuchung teil. Die Analyse umfasste Daten von 534 Teilnehmern, bei denen der Blutdruck im Säuglings-, Vorschul-, Grundschul-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter gemessen wurde. Sie unterzogen sich im Alter von 26 Jahren eine Ultraschall-Untersuchung der Arteria carotis communis. Forscher erfassten dabei die Intima-Media-Dicke. Der Messwert liefert Hinweise auf Veränderungen der Gefäßwand und damit auf mögliche kardiovaskuläre Erkrankungen.
Tatsächlich fanden die Wissenschaftler Assoziationen zwischen einem systolisch erhöhten Blutdruck von Kindesbeinen an und einer größeren Intima-Media-Dicke im Erwachsenenalter. Unterschiedliche Zeiträume hatten, wie die Auswertung der Daten zeigt, dabei ein ähnliches Gewicht:
Ein um 1 Standardabweichung im jeweiligen Lebensstadium höherer systolischer Blutdruck war mit einer höheren Intima-Media-Dicke von 0,02 mm verbunden.
Letztlich ist die Intima-Media-Dicke eine Proxy-Variable für Schlaganfälle, Herzinfarkte oder sonstige Folgen der Atherosklerose. Solche Endpunkte erfassen die Autoren nicht; kardiovaskuläre Ereignisse treten meist im späteren Leben auf.
Für die Wissenschaftler sind ihre Ergebnisse Anlass genug, Hypertonie in Form eines Lebenszeit-Ansatzes zu bewerten. „Unsere Studie deutet auf einen kumulativen Einfluss des systolischen Blutdrucks auf die Intima-Media-Dicke im jungen Erwachsenenalter hin und zeigt einen ungefähr gleichwertigen Beitrag in jeder untersuchten Lebensphase“, schreiben sie. Somit würden „das Säuglingsalter, die Vorschulzeit, die Kindheit, die Jugend und das junge Erwachsenenalter gleichermaßen zur Gefäßverdickung beitragen, was die Notwendigkeit einer gezielten Prävention in allen diesen Lebensphasen unterstreicht.“
Sprich: Hypertonie trägt in frühen Lebensphasen nicht weniger zur Veränderung der Intima-Media-Dicke der Carotis bei als im jungen Erwachsenenalter. Möglicherweise sind Ansätze, bei Bluthochdruck erst später zu intervenieren, zu schwach. „Unsere Ergebnisse bekräftigen nicht nur die Notwendigkeit einer Prävention im Kindes- und Jugendalter, sondern dehnen diese Strategien auch auf das sehr frühe Leben aus“, konstatieren die Forscher. Dazu zählen routinemäßige Blutdruck-Screenings bereits vor dem dritten Lebensjahr, aber auch Interventionen bei Hypertonie.
Den Forschern geht es dabei nicht um frühe Pharmakotherapien, sondern um Lebensstil-Interventionen in jungen Jahren. Beispielsweise führte eine im Säuglingsalter begonnene Ernährungsberatung der Eltern, um den Konsum gesättigter Fettsäuren beim Nachwuchs zu verringern, zur Senkung des systolischen und diastolischen Blutdrucks um rund 1 mmHg. Ähnliche Vorteile hatte eine fettärmere und ballaststoffreichere Ernährung im Kindes- und Jugendalter – mit einem um 2,3 mmHg niedrigeren systolischen Blutdruck in der Interventionsgruppe. Auch gelang es, mit 30 Minuten aeroben Übungen an drei Tagen pro Woche, in nur acht Wochen den Wert um 3 mmHg nach unten zu bringen. Obwohl die Effekte gering erscheinen, könnten sie – falls Menschen ihren Lebensstil dauerhaft verändern – viel bewirken.
Bildquelle: Matt Bennett, Unsplash