Anti-Amyloid-Antikörper gelten bei Alzheimer als Mittel der Wahl. Eine Metaanalyse zeigt jetzt: Patienten erwarten hohe Kosten, keine relevanten Verbesserungen und dafür Nebenwirkungen en masse.
Eine aktuelle Metaanalyse hat die Ergebnisse aller bisheriger Studien zu Anti-Amyloid-Antikörpern in der Alzheimer-Behandlung untersucht – und kommt dabei zu einem vernichtenden Urteil. Auch wenn es zu signifikanten Verbesserungen in verschiedenen kognitiven und funktionellen Test-Skalen kam, wurden diese Verbesserungen als klinisch nicht relevant eingeschätzt. Zu Nebenwirkungen kam es hingegen häufig.
Seit der Zulassung von Aducanumab und Lecanemab in den USA im letzten Jahr sind die Anti-Amyloid-Antikörper das zentrale Thema im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen. Besonders die Zulassung von Aducanumab wurde sehr kontrovers diskutiert, da ein klinischer Benefit nur in einer der beiden Zulassungsstudien nachgewiesen werden konnte. Die Zulassung wurde dann hauptsächlich mit der Wirkung auf Surrogat-Parameter (Abnahme der zerebralen Amyloid-Last) begründet. Mittlerweile hat der Hersteller die Vermarktung von Aducanumab eingestellt. Lecanemab hat hingegen eine reguläre Zulassung durch die FDA erhalten. Auch in Europa rechnet man noch in diesem Jahr mit einer Zulassung durch die EMA. Ein weiterer Anti-Amyloid-Antikörper, Donanemab, steht nach positiven Studiendaten in der Warteschlange für eine Zulassung.
Die neuen Antikörper werden also bald verfügbar sein. Wie bei anderen neuen Medikamenten-Klassen sind die Therapiekosten sehr hoch. Lecanemab kostet in den USA ca. 27.000 Dollar im Jahr – auch in Europa wird es wohl nicht viel weniger kosten. Noch dazu treten bei den Amyloid-Antikörpern regelmäßig Nebenwirkungen auf. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind spezifisch für diese Medikamenten-Klasse und werden ARIA genannt, das steht für Amyloid-related Imaging Abnormalities.
Dabei handelt es sich um zerebrale Ödeme oder Blutungen, die nach Behandlungsbeginn im MRT zu sehen sind. Diese führen zwar häufig nicht direkt zu Symptomen, wie es aber mit langfristig negativen Auswirkungen aussieht, ist aufgrund fehlender Langzeit-Daten nicht bekannt. In jedem Fall muss nach diesen Veränderungen gesucht werden und die Therapie im Falle ausgeprägter Veränderungen gestoppt werden. Durch die notwendigen Verlaufsuntersuchungen entsteht zusätzlicher logistischer Aufwand und die wirtschaftlichen Kosten steigen noch weiter.
Die hohen Kosten und die Gefahr schwerwiegender Nebenwirkungen lassen sich nur rechtfertigen, wenn die behandelten Patienten im Gegenzug eine deutliche Besserung von für sie relevanten Krankheitssymptomen erfahren. Dass dies der Fall ist, zieht eine kürzlich veröffentlichte Meta-Analyse in Zweifel. In die Analyse, die in Annals of Family Medicine erschien, wurden 19 Studien eingeschlossen, in denen ein Anti-Amyloid-Antikörper gegen Placebo verglichen wurde und die Teilnehmer mittels einer Bewertung der kognitiven oder funktionalen Fähigkeiten verglichen wurden. Für viele dieser Skalen – wie dem Alzheimer’s Disease Assessment Scale (ADAS), dem Mini Mental State Examination (MMSE) oder dem Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes (CDR-SB) – zeigte sich eine statistisch signifikante Verbesserung unter der Antikörpertherapie im Vergleich zur Behandlung mit Placebo.
Zusätzlich wurde bewertet, ob es sich bei dem statistisch signifikanten Unterschied auch um einen klinisch relevanten Effekt handelt. Hierfür wurde das Konzept der minimalen klinisch relevanten Differenz (minimal clinically important difference, MCID) verwendet. Im MMSE beispielsweise, welcher die kognitiven Fähigkeiten auf eine Skala von 0 bis 30 Punkten bewertet, wurde ein Unterschied von wenigstens einem Punkt als Minimum gefordert, um tatsächlich eine bemerkbare Verbesserung nachzuweisen. Bei diesem Konzept versagten die Antikörper-Therapien auf ganzer Linie. In keiner der verwendeten Skalen konnte eine minimale relevante klinische Verbesserung erreicht werden. Dies galt nicht nur für die Meta-Analyse, in der alle Studien der verschiedenen Antikörper zusammengefasst wurden. Auch keiner der zugelassenen oder kurz vor Zulassung stehenden Antikörper allein konnte eine klinisch relevante Verbesserung erreichen.
Während der Nachweis eines relevanten Nutzens nicht gelang, sah es bei den Nebenwirkungen anders aus. Die zuvor beschriebenen zerebralen Ödeme und Blutungen traten bei jedem zehnten Patienten auf. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es bisher keinen Nachweis gibt, dass irgendein Anti-Amyloid-Antikörper tatsächlich einen die Nebenwirkungen überwiegenden klinisch relevanten Nutzen hätte.
Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass einige Patienten tatsächlich in einem relevanten Ausmaß von der Therapie profitieren könnten. In den eingeschlossenen Studien wurden die Ergebnisse stets als Durchschnittswerte der verwendeten Skalen angegeben. Es wurde hingegen nicht angegeben, welcher Prozentsatz der Patienten eine klinisch relevante Verbesserung unter der Therapie erreichte. Die Angabe solcher Daten würde besser helfen, den möglichen Nutzen für den einzelnen Patienten einschätzen zu können.
Die bislang entwickelten Amyloid-Antikörper haben bislang jedenfalls nicht zum erhofften Durchbruch in der Behandlung der Alzheimer-Erkrankung geführt. Dennoch hat die Entwicklung der Forschung neuen Auftrieb verschafft, so dass für die Zukunft auf weitere Medikamente gehofft werden darf, die dann auch einen klinisch relevanten Nutzen haben.
Bildquelle: Le Tan, Unsplash