Was bedeutet es, mit einem angeborenen Herzfehler alt zu werden? Wie lässt sich bestmöglich medizinisch unterstützen? Diesen und weiteren Fragen gingen Forscher im Rahmen eines interdisziplinären Projekts nach – und fanden erste Antworten.
Es zählt zu den großen Fortschritten der Forschung in der Herzmedizin, dass es sich mit einem angeborenen Herzfehler heute gut alt werden lässt. Nur: Wie gut? „Eins von 100 Kindern kommt mit dieser häufigsten Organfehlbildung zur Welt. Lange hat sich die medizinische Forschung darauf konzentriert, das Überleben der jungen Patientinnen und Patienten zu sichern. Das ist gelungen. Selbst bei schweren angeborenen Herzfehlern erreichen heute weit über 90 % der Kinder das Erwachsenenalter. Gemeinsam mit Partnern untersuchte das Kompetenznetz Angeboren Herzfehler im Projekt OptAHF mögliche Behandlungen bei angeborenen Herzfehlern, die bis ins hohe Alter nützlich sind. Die Ergebnisse sollen jetzt bei der Weiterentwicklung von Leitlinien behilflich sein. Gleichzeitig tauchen mit der gestiegenen Lebenserwartung neue Herausforderungen für Patienten und Gesundheitswesen auf“, sagt Prof. Gerhard-Paul Diller, leitender Oberarzt am EMAH-Zentrum des Universitätsklinikum Münster (UKM).
Es stellen sich Fragen wie: Welche Risiken und Komplikationen können im Langzeitverlauf auftreten? Wie werden Erwachsene mit angeborenem Herzfehler in Deutschland versorgt? Wie wirken sich angeborene Herzfehler etwa auf eine Schwangerschaft oder bei typischen Alterserkrankungen aus?
Auf verlässliche wissenschaftliche Antworten hoffen allein in Deutschland mehr als 300.000 Betroffene. Solche lieferte ein interdisziplinäres Team von Forschern im Rahmen von OptAHF, dem unter Dillners Leitung auch Kliniker des UKM und Biometriker der Westfälischen Wilhelms Universität Münster angehörten.
Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hat die Forschungsergebnisse des 2018 gestarteten Projekts nun an verschiedene fachärztliche Verbände und auch an die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) sowie an die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie übermittelt. Bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung von Leitlinien zur Behandlung angeborener Herzfehler könnten sie eine entscheidende Rolle spielen. Ziel ist es, Lebenserwartung und Lebensqualität bei angeborenen Herzfehlern deutlich zu erhöhen.
Für ihre Studien konnten die Wissenschaftler auf die anonymisierten Daten von Versicherten der Barmer zurückgreifen, die im Zeitraum von 2005 bis 2019 im Wissenschafts-Data-Warehouse bereitgestellt wurden. Für den Datenabgleich und die Datentiefe sorgte das Nationale Register am Kompetenznetz Angeborene Herzfehler mit seinem weltweit einzigartigen Bestand an Krankheits- und Behandlungsdaten von über 60.000 freiwilligen Daten- und Probenspendern.
Nicht nur wurde durch OptAHF deutlich, dass die Hälfte der betroffenen Erwachsenen ausschließlich hausärztlich versorgt wird. „Die Forschungsergebnisse belegen auch, dass eine fehlende fachärztliche Anbindung das Risiko erhöht, an Komplikationen zu erkranken und zu versterben“, sagt Ursula Marschall, Leiterin des Bereichs Medizin und Versorgungsforschung und OptAHF-Projektverantwortliche am Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung (bifg). „Eine qualifizierte, zentralisierte Behandlung trägt dazu bei, die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten deutlich zu verbessern und Gesundheits- und Sozialausgaben zu minimieren, die durch Fehleinschätzungen, Fehlbehandlungen und Doppeluntersuchungen entstehen“, so die Gesundheitsökonomin. Hier seien auch die Krankenkassen gefordert, durch gezielte Informationen zu unterstützen.
Die Empfehlung des Innovationsausschuss beim G-BA zum Wissenstransfer in die Versorgung ist aus Sicht des Kompetenznetz Angeborene Herzfehler ein wichtiger Schritt: „Die Forschungsergebnisse helfen uns schon jetzt, etwa die Risiken einer Schwangerschaft oder von verschiedenen häufig verordneten Medikamenten besser einschätzen zu können und so gering wie möglich zu halten. Die fachübergreifende, interdisziplinäre Zusammenarbeit ist ein wesentlicher Faktor dabei“, sagt Kompetenznetz-Vorstand Prof. Anselm Uebing.
Zugleich weist er auf die nach wie vor unbefriedigende Erkenntnislage hin: „Die Forschung auf dem Gebiet der Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler ist noch jung. Im Hinblick auf die langfristige Lebensqualität der Patientinnen und Patienten sind noch viele drängende Fragen offen.“ Entscheidend sei, die Voraussetzungen für eine solche patientenorientierte Forschung auch langfristig zu erhalten.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Kompetenznetz Angeborene Herzfehler.
Bildquelle: Christopher Beloch, Unsplash