Lungenkrebs ist noch immer eine der tödlichsten Krebsarten: In Deutschland leben fünf Jahre nach der Diagnose nur noch rund ein Viertel der betroffenen Frauen und ein Fünftel der betroffenen Männer, wie Daten des Robert Koch-Instituts zeigen. Ein Grund für die hohe Sterblichkeit ist, dass Lungenkrebs erst spät Beschwerden verursacht und daher in der großen Mehrheit der Fälle erst in fortgeschrittenen Stadien (UICC 3 oder 4) diagnostiziert und behandelt wird. Wird die Erkrankung jedoch früh erkannt, steigen die Überlebens- und Heilungschancen deutlich.1
Kennen Sie schon unsere Reihe „Mehr als…“? Darin berichten Patient:innen ganz persönlich von ihren Erfahrungen mit Lungenkrebs. Einige leben bereits seit mehreren Jahren mit der Krankheit und teilen gern ihr Wissen:
Bislang wurden noch keine Screening-Programme zur Früherkennung in Deutschland implementiert. Da in den letzten Jahren intensiv zu Nutzen und Risiken von Lungenkrebsscreening bei bestimmten Subgruppen geforscht wurde und wird, könnte sich dies in Zukunft ändern. Sind also die Tage des Lungenkarzinoms als eine der tödlichsten Krebsarten angezählt?
Die Hoffnung ist, dass bei einem Früherkennungsprogramm für Gruppen mit besonders hohem Risiko der Nutzen durch die frühe Diagnose den potenziellen Schaden durch die Screening-Methode überwiegt. Zur Anwendung kommt beim Screening eine Niedrigdosiscomputertomografie (Low-Dose-CT, LDCT). Und die Daten dazu sind vielversprechend: Bereits im Jahr 2020 attestierte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) dem LDCT-Screening einen Zusatznutzen gegenüber keinem Screening und empfahl, dass Hochrisikopopulationen definiert werden sollten, die besonders von einem Screening profitieren.2,3 Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) kam 2021 zu einer ähnlichen Einschätzung.4
In den Analysen der beiden Institute überwog der Nutzen der LDCT ein mögliches Risiko durch Überdiagnosen, falsch-positive Diagnosen, Strahlenschäden oder psychische Belastungen durch die Untersuchung.2-4 Auf Basis der Empfehlungen des BfS hat das Bundesministerium für Umweltschutz, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) bislang einen Referentenentwurf für eine entsprechende Verordnung vorgelegt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat daraufhin im Dezember 2023 Beratungen eingeleitet. Nach Inkrafttreten der Verordnung hat der G-BA 18 Monate Zeit, um einen Beschluss zur Aufnahme der Leistung in die Regelversorgung zu fassen.5 Parallel zu den G-BA-Beratungen laufen noch wichtige Studien in Deutschland oder mit deutscher Beteiligung, die Nutzen und Risiken des Screenings bewerten und/oder zur Definition der Hochrisikogruppen beitragen. Beispiele dafür sind die HANSE-Studie und die Studie 4-IN-The-Lung-RUN.6
Ziel der HANSE-Studie ist die Implementierung eines interdisziplinär vernetzten Vorsorgeprogramms an drei norddeutschen Lungenkrebszentren. Dazu werden zwei Definitionen von Risikopopulationen (5.000 Hochrisiko- und 7.100 Niedrigrisiko-Teilnehmer:innen) verglichen. Erste Ergebnisse werden in Kürze erwartet.
4-IN-The-Lung-RUN ist ein europäisches Gemeinschaftsprojekt mit deutscher Beteiligung, in dem untersucht wird, wie die Lungenkrebsfrüherkennung durch ein individualisiertes Screening optimiert werden kann. Dabei wird mit 26.000 randomisierten Hochrisiko-Proband:innen (davon 5.000 aus Deutschland) zum Beispiel ein jährliches mit einem individuellen risikoadaptierten, zweijährlichen Screening verglichen.6
In der aktuellen Leitlinie der American Cancer Society (ACS) ist ein Lungenkrebsscreening bereits seit einigen Jahren ein fester Bestandteil. Auf Basis eines systematischen Literaturreviews wurde vor Kurzem die Risikogruppe neu definiert. Ab sofort wird allen Raucher:innen und Exraucher:innen im Alter zwischen 50 und 80 Jahren ab 20 Packungsjahren zur Früherkennung geraten, unabhängig davon, wie lange die letzte Zigarette zurückliegt.7,8
Aktuelle Daten untermauern den Wert des Screenings. Auf Basis der internationalen I-ELCAP-Kohorte unter amerikanischer Leitung mit fast 90.000 Teilnehmenden wurde bereits 2006 eine 10-Jahresüberlebensrate von rund 80 % bei Patient:innen mit primärem Lungenkarzinom ermittelt, wenn diese jährlich ein LDCT-Screening durchführen ließen. In einer Publikation im Jahr 2023 bestätigte sich die Wirksamkeit der Früherkennung: Auch nach 20-jähriger Beobachtung der Kohorte wurden Überlebensraten von über 80 % ermittelt. Wurde die Diagnose im frühesten Stadium I (T1aN0M0), gestellt, lag die 20-Jahres-Überlebensrate sogar bei 95 %! In die Kohorte aufgenommen wurden Proband:innen ab 40 Jahren, die entweder zum Zeitpunkt der Aufnahme bzw. früher Tabak geraucht hatten oder aber nie aktiv geraucht hatten, jedoch passiv Tabakrauch ausgesetzt waren.9
Die Kombination aus früher Diagnose mit modernen Resektionsmethoden und wirksamen (neo)adjuvanten Maßnahmen in operablen Stadien könnte deutlich mehr Lungenkrebspatient:innen eine Chance auf ein längeres Überleben und sogar Heilung ermöglichen. Bis zur Implementierung des Screenings in Deutschland wird es aber noch dauern – zunächst sind Gesetzgeber, Kostenträger, Forschende, Fachgesellschaften, Ärzteschaft, Patientenvertreter:innen und weitere Beteiligte im Rahmen der G-BA-Beratungen aufgerufen, ein entsprechendes Programm zu gestalten.
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Referenzen:
M-DE-00020253