Die flächendeckende Versorgung in Deutschland steht kurz vor dem Kollaps. Jetzt geht’s im Petitionsausschuss des Bundestags ums Ganze. Aber ist die Lage wirklich so schlecht – oder wird mal wieder überreagiert?
Viele gesundheitspolitische Themen seien in den vergangenen vier Legislaturperioden liegengeblieben. „Da komme es auch nicht auf 4 Wochen an“, so Gesundheitsminister Lauterbach. Man stehe zwar im Austausch und rede miteinander, doch das seien alles nur „Beruhigungspillen und es passiert nichts“, resümiert KBV-Chef Gassen.
Was bereits nach einer verfahrenen Situation und Stillstand klingt, wurde in der Anhörung des Petitionsausschusses des Bundestages in dieser Woche deutlich: Bei der Frage nach Ambulantisierung, Entbürokratisierung und Entbudgetierung sind Ärzte und Politik noch ein gutes Stück voneinander entfernt.
Die im vergangenen Jahr gestartete Petition firmierte unter dem Titel „Vergütung für medizinische Leistungen – Verbesserung der Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung“ und war als Teil der Protestaktion „Praxenkollaps“ (DocCheck berichtete) initiiert. Die direkte Eingebung an die politische Seite sollte dabei unter anderem die Dringlichkeit des strukturellen Umbaus aufzeigen.
„Die wohnortnahe, flächendeckende und qualitativ hochwertige ambulante Versorgung rund um die Uhr war ein Wert, der unser Land ausgezeichnet hat und den die Bürgerinnen und Bürger schätzten. Jetzt aber stehen die Praxen vor dem Kollaps, sie arbeiten bis zum Anschlag und ihre Kräfte gehen zur Neige“, so der Wortlaut der Petition. Insbesondere der bürokratische Druck und Überlastung seien es, die bei politischer Aussichtslosigkeit dazu führen, dass „immer mehr Ärzte, Psychotherapeuten und Praxisangestellte resignieren“ und aus der vertragsärztlichen Versorgung flüchten.
Auf der anderen Seite legte die Petition selbst auch dar, dass die Problematik in der Bevölkerung wahrgenommen wird. „Ist mein Arzt, meine Ärztin noch da in Zukunft? Wie wird meine Versorgung künftig sein?“, beschreibt Stephan Hofmeister, stellvertretender KBV-Vorstandsvorsitzender die Sorgen der Bevölkerung. So sei es nicht verwunderlich, dass die Petition auf mittlerweile insgesamt mehr als 550.000 Unterschriften anwuchs – schließlich wurde sie auch in den Praxen ausgelegt.
„Die Menschen im Land schätzen ihre niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Sie wollen ihre Praxis vor Ort behalten und spüren, dass dies längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Ich hatte den Eindruck, dass das heute bei den Politikerinnen und Politikern im Ausschuss auch angekommen ist“, so Gassen.
Doch es gibt auch Stimmen, die ein weniger drastisches Bild zeichnen. Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Dr. Carola Reimann, erklärt: „Wir sollten aufhören, ständig das Bild eines nicht mehr funktionierenden Gesundheitswesens zu zeichnen. Noch nie wurde so viel Geld für die ambulante Versorgung aufgewendet wie aktuell, allein 2022 waren es 46 Milliarden Euro. Und die Zahl der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, die in der Versorgung tätig sind, ist in den letzten Jahren auf einen Spitzenwert von 185.000 gestiegen. Daher werden die alarmistischen Warnungen der KBV vor einem angeblichen Praxenkollaps der Realität nicht gerecht. Unser Gesundheitssystem funktioniert, aber es braucht zweifellos eine strukturelle Weiterentwicklung.“
Das Ziel der Petition ist die Entlastung der Ärzteschaft auf der einen und eine aktualisierte Vergütungsstruktur auf der anderen Seite – beides verbunden mit einer Strukturreform, in der eine Ambulantisierung in größtmöglichem Maß an Leistungen umgesetzt wird. Konkrete Punkte waren:
Ambulantisierung: Trotz Verankerung im Koalitionsvertrag ist insbesondere mit Blick auf die sektorengleiche Vergütung noch viel Luft nach oben. Bereits vor der Ausschusstagung hatte Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg von der Universität Hamburg ein Einsparungspotenzial von bis zu 26 Millionen Tagen ausgemacht. In der dazu notwendigen Hybrid-DRG würde dann ein Mittel-Satz greifen, der am Beispiel von Hernieneingriffen bei einer Vergütung von rund 1.600–2.000 Euro läge – gegenüber etwa 1.000 Euro im EBM und rund 3.500 Euro DRG-Bereich.
Bürokratieabbau: Hierunter fassten die Ärztevertreter unter anderem das Ende der Wirtschaftlicheitsprüfungen und Regresse und den perspektivisch zunehmenden Personalmangel. Mit Blick auf das Ende der Regresse sei laut Bundesministerium geplant, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das als Gesamtgrundlage dienen kann anstatt einzelne Schnellschuss-Regelungen herauszugeben. Was die Zahl der Studienplätze betrifft, läge der Fehler in der Vergangenheit und man erwarte, dass es in naher Zukunft erst einmal schwieriger wird, bevor sich die Situation bessert.
Entbudgetierung: Während Lauterbach im Ausschuss einräumt, dass zumindest mit Blick auf die Hausärzteschaft bereits eine schnellere Lösung hätte gefunden werden können, ließ er durchblicken, dass dies für Fachärzte auch nicht in Planung sei. In Absprache mit dem Hausärzteverband (HÄV) sei aber eine Honorarreform geplant, die unter anderem die Abschaffung von Quartalspauschalen mit sich brächte.
„Ich hatte den Eindruck, dass [die Dringlichkeit der Sache] heute bei den Politikerinnen und Politikern im Ausschuss auch angekommen ist. Enttäuscht bin ich allerdings über den Bundesgesundheitsminister, der einer notwendigen Entbudgetierung für alle Praxen erneut eine Abfuhr erteilte“, fasst Gassen das Vorsprechen beim Petitionsausschuss zusammen. Mit Blick auf einen genaueren Fahrplan ist man auch nach dem Gespräch so klug als wie zuvor, denn Daten gab es keine – „man sei ja an allem dran.“
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