Wenn man krank ist, soll man zu Hause bleiben, um sich und andere zu schützen. Ärzte wissen das – halten sich aber selbst oft nicht daran. Woher kommt dieser Impuls?
Die Stigmatisierung von Infektionskrankheiten wie HIV, Tuberkulose oder Lepra ist kein neues Problem. Doch stellt sich die Frage, ob Menschen, die unter anderen Infektionskrankheiten leiden, ihre Erkrankungen verheimlichen, um negativen Konsequenzen zu entgehen – und wenn ja, warum?
Ein Team der Abteilung für Psychiatrie an der University of Michigan hat sich dieser Frage gewidmet. Sie führten insgesamt 10 Studien durch, um herauszufinden, wann und warum Menschen ihre Infektionserkrankungen verbergen.
Zunächst wurde die Verbreitung der Verheimlichung von Infektionskrankheiten untersucht. Die Studienteilnehmer wurden aus Studenten und Mitarbeitern des Gesundheitssystems ausgewählt. In Universitäten, Krankenhäusern und Arztpraxen wird in der Regel das Melden von Infektionskrankheiten unterstützt, nicht zuletzt, weil damit das Risiko einer Ausbreitung der Krankheit verringert werden kann. Bei der Auswertung gaben aber 72,3 % der Studienteilnehmer an, dass sie bereits einmal ihre Infektionskrankheit verheimlicht haben. Von diesen waren 85 % Studenten und 61 % Mitarbeiter im Gesundheitssystem.
Als die Teilnehmer nach den Gründen dafür befragt wurden, gab es eine Vielzahl von Erklärungsmodellen. Unter den Studenten wurde häufig angegeben, dass die Erkrankung aufgrund anstehender sozialer Veranstaltungen verschwiegen wurde, während bei den Angestellten im Gesundheitssystem die Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber, der Kollegen und Patienten im Vordergrund stand. Weniger häufig wurde in beiden Gruppen z. B. fehlende Bezahlung durch den Arbeitgeber während einer Krankheitsabwesenheit genannt.
In einer weiteren Studie stellte das Team aus Michigan die Frage, welchen Einfluss die Schwere der Krankheit und das Übertragungsrisiko auf das Verbergen von Infektionserkrankungen haben. Zu diesem Zweck rekrutierten sie über eine Online-Plattform 947 gesunde Teilnehmer. Die Teilnehmer wurden einer von neun konstruierten Situationen zugewiesen, in denen sie sich vorstellen sollten, krank zu sein. Anschließend wurden den Teilnehmern Fragen zu dieser Situation gestellt. Die Auswertung der Fragebögen ergab, dass die Studienteilnehmer die Erkrankung seltener verschwiegen, je schwerwiegender die Symptome und je höher das Übertragungsrisiko waren.
Ob auch die Dauer der Erkrankung und möglichweise das Verpassen von wöchentlichen Veranstaltungen eine Rolle bei der Verheimlichung spielt, wurde in einer neuen Studienpopulation untersucht. Die 603 Studienteilnehmer wurden ebenfalls über eine Online-Plattform eingeschlossen und in zwei Gruppen geteilt: eine Gruppe mit einer kurzen Erkrankung von 3 bis 5 Tage und eine weitere Gruppe mit einer Erkrankungsdauer von 12 bis 14 Tagen. In den beiden Gruppe zeigte sich aber kein Unterscheid bezüglich der Häufigkeit der Verbergung einer Infektionserkrankung, somit scheint die Dauer der Erkrankung keine Rolle bei der Verheimlichung zu spielen.
Als letzte Überlegung stellten sich die Psychologen die Frage, ob es einen Unterschied macht, ob die Studienteilnehmer in einem gesunden oder kranken Zustand befragt werden. Zu diesem Zweck rekrutierten sie in zwei Studien insgesamt 900 Teilnehmer, die in zwei Gruppen aufgeteilt wurden – aktuell krank oder gesund. Die Auswertung der Ergebnisse der ausgefüllten Fragebögen ergab, dass diejenigen, die derzeit krank waren, eher dazu neigten, ihre Infektionserkrankung zu verbergen, im Vergleich zu den Studienteilnehmern, die sich nur vorstellten, krank zu sein.
Infektionserkrankungen sind insbesondere in den Wintermonaten, wenn virale Infekte der oberen Atemwege verbreitet sind, eine häufige Erscheinung. Diese Studie hat gezeigt, dass die Verheimlichung von Erkrankungen häufig vorkommt und potenziell zu einer Ansteckung von Freunden oder Kollegen führen kann. Insbesondere im Gesundheitswesen können die Konsequenzen schwerwiegend sein. Aber immerhin zeigte sich, dass die Häufigkeit des Verbergens der Erkrankung abnahm, wenn die Symptome schwerwiegender waren und das Übertragungsrisiko höher war.
Bevor wir jedoch über diejenigen urteilen, die ihre Krankheit verbergen, sollten wir bedenken: Auch wir handeln möglicherweise ähnlich. Wie sieht es aus, wenn wir selbst krank sind? Immerhin hat die Studie gezeigt, dass die Bewertung der Erkrankungen und die damit verbundenen Entscheidungen möglicherweise unterschiedlich ausfallen können, je nachdem, ob wir gerade gesund oder krank sind.
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