In einer klinischen Studie konnte gezeigt werden, dass das Medikament N-Acetyl-L-Leucin die Symptome von Morbus Niemann-Pick Typ C deutlich verbessert. Mehr dazu hier.
Gangunsicherheit, verwaschene Sprache, Ungeschicklichkeit der Arme und Hände, Augenbewegungsstörungen, epileptische Anfälle, Einschränkung des Denkvermögens bis hin zu Psychosen – alles Symptome einer seltenen Stoffwechselerkrankung namens Niemann-Pick Typ C. Hier können Neurone und andere Zellen beispielsweise Cholesterin und andere Lipide nicht abbauen. Grund ist ein angeborener genetischer Defekt, durch den sich diese Fette in den Lysosomen von Zellen anreichern, was den Zellstoffwechsel fundamental beeinträchtigt. Nun könnte das Medikament N-Acetyl-L-Leucin (NALL), den Betroffenen helfen.
NALL ist Bestandteil eines Präparats (Racemat), das vor allem in Frankreich jahrzehntelang zur Therapie von Schwindel eingesetzt wurde. Prinzipiell sagt Prof. Michael Strupp, Oberarzt an der Neurologischen Klinik des LMU Klinikums und international ausgewiesener Schwindelexperte, „dass effektive Medikamente gegen Schwindel meist am Kleinhirn ansetzen“. Warum also, so Strupps Gedanke, „sollte man ein solches Medikament nicht therapeutisch für Erkrankungen testen, an denen das Kleinhirn primär beteiligt ist?“
Auch ein großer Teil der Symptome beim Morbus Niemann-Pick Typ C wird durch Störungen der Nervenzellen im Kleinhirn verursacht. Deshalb lag es nahe, in Studien den Patienten NALL zu geben – NALL deshalb, weil sich in Tiermodellen der Erkrankung herausgestellt hatte, dass diese spiegelbildliche Molekül-Variante die wirksame Komponente ist. So rekrutierten die Mediziner binnen drei Monaten 60 Niemann-Pick-Patienten im Alter von fünf bis 67 Jahren aus Australien, Europa und den USA. Strupp: „Das war bei einer derart seltenen Erkrankung eine große Herausforderung.“ Die Teilnehmer erhielten dann entweder zwölf Wochen lang NALL und anschließend zwölf Wochen lang Placebo oder umgekehrt.
Ergebnis: „Auf einer validierten Skala der Symptomatik verbesserten sich die Patienten unter der neuen Medikation um zwei Punkte, was funktionell sehr relevant ist“, wie Strupp betont. Nebenwirkungen: bislang keine. Sobald die Patienten, die das Medikament anfangs zwölf Wochen lang nahmen, NALL wieder absetzten und stattdessen das Placebo bekamen, verschlechterte sich ihr Zustand. „Außerdem haben wir Hinweise darauf, dass das Medikament das Fortschreiten der Erkrankung verzögert“, sagt der Neurologe. Das bedeutet: Je früher im Leben die Erkrankung erkannt wird und die Therapie beginnt, umso besser. Typischerweise beginnt das Leiden schon im frühen Kindesalter.
Mit ihren Kollegen der Universität Oxford haben die Wissenschaftler des LMU Klinikums auch den Grund für die deutliche Verbesserung der Symptomatik und den zellschützenden Effekt aufgeklärt. NALL – anders als die normale Aminosäure Leucin – wird über einen speziellen Transporter mit hoher Kapazität durch Zellmembranen geschleust und erreicht so hohe Konzentrationen in allen Zellen einschließlich Nervenzellen. In Zellen beeinflusst es den Glukose- und Energiestoffwechsel positiv. Resultat: Es wird mehr ATP aus jedem Glukosemolekül produziert. ATP ist der universelle Energielieferant unserer Zellen, sozusagen unser Benzin. Dieser Energieschub „bringt Nervenzellen und andere Zellen in eine deutlich robustere Verfassung und dann funktionieren die Lysosomen auch besser“, sagt Strupp. Überdies stellt NALL die normale Erregbarkeit der Nervenzellen wieder her, die ebenfalls gestört ist.
Auch bei anderen Erkrankungen ist diese Erregbarkeit von Nervenzellen nicht in Ordnung. Kleinere Studien der Münchner Mediziner deuten an, dass NALL auch hier einen positiven Effekt hat. Vielleicht kann NALL eines Tages auch bei weiteren Erkrankungen, vor allem solchen mit einem vorzeitigen Altern von Nervenzellen, wirksam sein.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Klinikums der Universität München. Die Originalpublikation haben wir euch hier verlinkt.
Bildquelle: Federico Beccari, Unsplash