Die Gehirne von Frauen und Männern unterscheiden sich nicht nur in ihrer Struktur, sie funktionieren auch anders. Lest hier, warum das die Behandlung neurologischer und psychiatrischer Krankheiten beeinflussen sollte.
Eine Forschergruppe der Stanford Universität hat eine künstliche Intelligenz hunderte Schädel-MRTs von Männern und Frauen auf geschlechtsspezifische Unterschiede untersuchen lassen. Die KI konnte daraufhin mit großer Sicherheit zwischen einem weiblichen und einem männlichen Gehirn unterschieden. Die Ergebnisse der Studie könnten die Grundlage für eine differenziertere Therapie verschiedenster neuropsychiatrischer Krankheitsbilder bilden.
Männer und Frauen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. Im Kontext der Neurowissenschaften ist seit langem bekannt, dass sich Anatomie und Struktur des Gehirns je nach Geschlecht unterscheiden. So haben Männer ein insgesamt größeres Gehirnvolumen, der prozentuale Anteil an weißer Substanz ist bei Männern höher, bei Frauen der Anteil der grauen Substanz. Auch die Intensität der Verbindungen zwischen verschiedenen Gehirnregionen unterscheidet sich je nach Geschlecht. Bei Frauen sind beide Gehirnhälften stärker miteinander vernetzt, bei Männern sind die Regionen innerhalb einer Hemisphäre stärker miteinander verbunden.
Bisher war aber wenig darüber bekannt, inwiefern es neben den klar nachgewiesenen strukturellen Verschiedenheiten auch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Funktionsweise des Gehirns gibt. Diese Wissenslücke ist durch eine kürzlich veröffentlichte Studie kleiner geworden. Um der Frage nach möglichen Unterschieden in der funktionellen Organisationsstruktur des Gehirns nachzugehen, eignet sich die Methode des funktionellen MRTs (fMRT). Gehirnareale, die aktiv sind, benötigen mehr Sauerstoff und werden deshalb auch intensiver durchblutet als inaktive Bereiche. Diese Unterschiede können mittels fMRT dargestellt werden. Für die Studie wurden die fMRT-Bilder von hunderten gesunden Probanden im Alter zwischen 20 und 35 Jahren verwendet. Während die MRT-Bilder angefertigt wurden, bekamen die Probanden keine spezifischen Aufgaben, sie sollten einfach entspannt in der Röhre liegen. Die untersuchten Gehirne sollten sich also in einem entspannten Ruhezustand befinden.
Die Forscher verwendeten eine künstliche Intelligenz, um die fMRT-Bilder zu analysieren. Sie trainierten die KI darauf, Unterschiede in der funktionellen Gehirnorganisation zwischen Mann und Frau zu erkennen. Nach dem Training konnte die künstliche Intelligenz bei für sie unbekannten fMRT-Bildern mit hoher Sicherheit (> 90 %) feststellen, ob es sich um ein männliches oder weibliches Gehirn handelt. Bei bisherigen Versuchen gelang dies nur mit einer deutlich geringeren Sicherheit. Zudem wurde in der Studie zum ersten Mal nachgewiesen, dass dieses Ergebnis auch tatsächlich generalisierbar ist. So wurden der künstlichen Intelligenz ohne erneute Trainingseinheit fMRT-Bilder einer anderen Studienkohorte gezeigt. Und auch hier bewies die künstliche Intelligenz eine hohe Treffsicherheit, konnte also zwischen weiblichen und männlichen Gehirnen ohne Probleme unterscheiden.
In einem zweiten Schritt analysierten die Forscher, welche Bereiche des Gehirns sich je nach Geschlecht in ihrer Aktivität unterscheiden. Hier stachen drei verschiedenen Regionen des Gehirns bzw. Netzwerke verschiedener Hirnregionen heraus. Das wichtigste war dabei das Default Mode Network (Ruhezustands-Netzwerk), welches vor allem in Ruhe aktiv ist. Zu diesem Netzwerk gehören unter anderen der Präfrontale Kortex, der Precuneus und der Gyrus cinguli. Dieses Netzwerk wird vor allem mit introspektiven Gedankengängen in Verbindung gebracht, wie dem Nachdenken über die eigenen Charaktereigenschaften oder den eigenen emotionalen Zustand. Neben dem Default Mode Network gab es zudem Unterschiede im Striatum und limbischen System. Dabei handelt es sich um Hirnregionen, die wichtig für das Lernen und für die Art, wie wir auf Belohnungen reagieren, sind. Die Unterschiede in den genannten Regionen könnten kognitive Prozesse oder das soziale Verhalten beeinflussen.
Aufgrund der gefundenen Unterschiede schlussfolgern die Autoren, dass es je nach Geschlecht deutliche Unterschiede in der Funktionsweise des Gehirns gibt. Die Hypothese, es könnte sich bei den Unterschieden in der funktionellen Gehirnorganisation eher um ein Kontinuum handeln, bei dem zwar Frauen eher auf der einen und Männer eher auf der anderen Seite liegen, es aber viele Überschneidungen gibt, sehen sie durch ihre Studie widerlegt.
Von den Ergebnissen erhoffen sich die Forscher, dass zukünftig die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Funktionsweise des Gehirns auch in Bezug auf neuropsychiatrische Krankheiten stärker berücksichtig werden. Die Krankheiten der Neurologie und Psychiatrie unterscheiden sich in ihrer Häufigkeit, typischen Ausprägung und vorherrschender Verlaufsform teilweise deutlich zwischen Patientinnen und Patienten. Bisher wird aber in der Therapie meist nicht zwischen Frau und Mann differenziert. Da viele Therapiestudien (v. a. in den frühen Phasen) überwiegend Männer einschließen, führt dies mutmaßlich eher zu einem Nachteil in der Therapie für Frauen.
Die neuen Erkenntnisse zeigen aber deutlich, dass es zwischen Mann und Frau signifikante Unterschiede nicht nur in der Struktur, sondern auch in der Funktionsweise des menschlichen Gehirns gibt. Dies wurde an Gehirnen von gesunden Probanden nachgewiesen. Der nächste Schritt wäre nun, bei verschiedenen neuropsychiatrischen Krankheitsbildern ebenfalls nach geschlechtsspezifischen Unterschieden zu suchen, um so präzisere Therapien entwickeln zu können.
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