6,5 Millionen Patienten könnten von Arzneimittel-Lieferengpässen betroffen sein. Die größte Versorgungslücke wird bei Antibiotika erwartet. Wie viel fehlt und woran es liegt, lest ihr hier.
Lieferengpässe von Arzneimitteln haben sich zu einem empfindlichen Dauerthema in der medizinischen Versorgung von Patienten in Deutschland entwickelt. Als Reaktion darauf hat der Deutsche Bundestag 2023 das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) verabschiedet.
Infolgedessen konnte in der aktuellen Wintersaison zumindest der Lieferengpass bei Schmerz- und Fiebermitteln mit Paracetamol und Ibuprofen für Kinder und Jugendliche behoben werden. Dennoch sind aktuell beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 470 Verfügbarkeitsprobleme gemeldet. Unter den betroffenen Wirkstoffen sind zahlreiche Antibiotika, Schmerzmittel sowie Arzneimittel zur Behandlung von Asthma, Diabetes und Krebs.
Wie viele Patienten potenziell von diesen Lieferengpässen betroffen sind, zeigt eine aktuelle Auswertung der vertragsärztlichen Arzneiverordnungsdaten für das Jahr 2022, die das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) veröffentlicht hat. Danach haben 2022 rund 6,5 Millionen gesetzlich Versicherte ein Arzneimittel erhalten, das aktuell auf der Lieferengpassliste des BfArM geführt wird.
Die am stärksten betroffene Arzneimittelgruppe sind Antibiotika, darunter viele Saftzubereitungen. Hier haben rund 2,2 Millionen gesetzlich Versicherte ein aktuell von Lieferengpässen betroffenes Antibiotika-Präparat bekommen. Unter den 980.000 Patienten, denen ein Penicillin verordnet worden ist, sind besonders häufig Kinder und Jugendliche. Das Durchschnittsalter der Betroffenen lag 2022 bei 15,6 Jahren (alle Antibiotika-Anwender zum Vergleich: 41,4 Jahre). Eine weitere stark betroffene Gruppe sind Bronchien-Erweiterer zur Inhalation mit dem Wirkstoff Salbutamol. Diese werden zur Behandlung von Asthma und chronischer Bronchitis bei knapp 1,2 Millionen Patienten eingesetzt.
Anzahl bzw. Anteil der in Deutschland gesetzlich Versicherten mit dokumentierten Arzneimittellieferengpässen 2022 (> ausgesuchte Wirkstoffgruppen nach BfArM-Lieferengpassliste) Credit: Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi).
„Nicht vergessen werden sollten auch jene Arzneimittel, bei denen zwar nicht so viele Patientinnen und Patienten betroffen sind, für die es aber innerhalb der Wirkstoffgruppe keine Alternativen gibt. Hier sind es besonders die GLP-1-Agonisten zur Behandlung von Diabetes. Diese sind nicht zuletzt wegen der medial stark angeheizten Nachfrage als Mittel zum Abnehmen regelmäßig ausverkauft. Das ist eine Entwicklung, die Anlass zu Besorgnis gibt“, sagt Zi-Vorstandsvorsitzender Dr. Dominik von Stillfried.
Auch bei einem Kombinationsmittel, das bei HIV-Infektionen und zur Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) eingesetzt wird, stehe kein geeignetes Ausweichpräparat zur Verfügung. Hier sei jeder Diabetiker, der einen der betroffenen Wirkstoffe benötigt und nahezu jeder (92 Prozent) der PrEP-Anwender vom Lieferengpass betroffen, so von Stillfried weiter.
„Durch den Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie ist in vielen Bereichen eines deutlich geworden: Unterbrochene Lieferketten sind das zentrale Problem, auch und gerade bei der Arzneimittelversorgung. Häufig wird nur bei einem Hersteller eingekauft, der möglichst preisgünstig anbietet. Wenn dann eine Lieferkette unterbrochen wird oder der Hersteller ausfällt, fehlt in der Konsequenz das Material. Manchmal liegt es gar nicht am Medikament selbst, sondern bloß an den Verpackungen. Das muss die Politik schleunigst ändern, indem mehrere Hersteller und Lieferanten, möglichst geographisch nah an Deutschland, vertraglich zur Belieferung verpflichtet werden“, fordert der Zi- Vorstandsvorsitzende.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung.
Bildquelle: Jakob Braun, Unsplash