„Mach doch einfach mal mehr Sport, dann wird’s schon wieder!“ Am gut gemeinten Ratschlag für Menschen mit Depression könnte tatsächlich was dran sein. Aber hilft regelmäßiges Bewegungstraining auch bei schweren depressiven Störungen?
Obgleich heute zur Behandlung depressiver Störungen eine große Vielzahl an Medikamenten mit antidepressiver Wirkung zur Verfügung steht, wächst bei einer ebenfalls großen Anzahl an Nonrespondern der Wunsch nach gut verträglichen Alternativen zur Psycho- und Pharmakotherapie. Da vor diesem Hintergrund verschiedene Formen der Bewegungstherapie eine zunehmend wichtige Rolle spielen, haben Erstautor Michael Noetel und seine Arbeitsgruppe nun eine systematische Übersichtsarbeit einschließlich Netzwerkmetaanalyse randomisierter und kontrollierter Studien initiiert.
Die übergeordnete Zielsetzung lag dabei in der Ermittlung der optimalen Dosis und der Modalität von Bewegungsformen zur Behandlung schwerer depressiver Störungen im direkten Vergleich mit Psychotherapie, klassischer Pharmakotherapie und/oder mit Kontrollbedingungen. Die Grundlage bildete eine systematische Literaturrecherche in gängigen internationalen Datenbanken, wie u. a. die Cochrane Library, Medline und Embase. Geeignete Studien waren randomisiert und kontrolliert und verglichen verschiedene Formen der Bewegungstherapie als Intervention mit Kontrollbedingungen oder alternativen Behandlungsformen bei Patienten mit diagnostizierter schwerer Depression.
Die Literaturrecherche resultierte zunächst in 1.738 geeigneten Publikationen. Nach Ausschluss von Duplikaten und von Studien, die nicht alle Kriterien voll erfüllten, verblieben 218 Studien aus 246 Publikationen für die Übersichtsarbeit und Metaanalyse. Als Endpunkt bestimmte das Forschungsteam die Auswirkungen der jeweiligen Intervention auf die Schwere der depressiven Symptomatik und bezog auch verschiedene methodische Kriterien – wie Publikationsbias und Heterogenität – nach aktuellen Kriterien bei der Auswertung mit ein.
Insgesamt nahmen 14.170 Personen in 495 Behandlungsarmen an den eingeschlossenen Studien teil. Die häufigsten Formen der Bewegungstherapie umfassten Krafttraining, Walking oder Jogging, Tai-Chi oder Qigong, Yoga, Aerobic, sowie eine Mischung aus Aerobic und Krafttraining.
Im Vergleich zur jeweiligen Kontrollgruppe, z. B. der Standardbetreuung oder der Verabreichung von Placebo, zeigte eine Bewegungstherapie mit Walking oder Jogging die stärksten Effekte mit einer moderaten Verringerung der depressiven Symptomatik. Darüber hinaus konnten in schwächerer Form als beim Jogging ebenfalls Krafttraining, gemischte Aerobic-Übungen, sowie Tai-Chi oder Qigong die Beschwerden der Betroffenen messbar verringern.
In Hinblick auf die Intensität des jeweiligen Trainings beobachtete das Forschungsteam zudem eine positive Korrelation zwischen den Effekten und der Trainingshäufigkeit und -intensität. Obgleich die meisten Studien relativ robust gegenüber Publikationsbias waren, erfüllte nur eine einzige Studie die strengen methodischen Cochrane-Kriterien.
Auf Basis dieser Ergebnisse, und trotz einiger Limitierungen durch die methodische Qualität der eingeschlossenen Studien, zieht die Forschungsgruppe insgesamt ein positives Fazit und attestiert regelmäßigem Walking oder Jogging, Krafttraining, Aerobic und Tai-Chi oder Qigong eine positive Wirkung auf die Symptomatik schwerer Depression. Da Sport auch beim Vergleich von Subgruppen für ganz unterschiedliche Menschen mit und ohne Begleiterkrankungen und mit unterschiedlichem Ausprägungsgrad ihrer Depression eine vergleichbare Wirksamkeit unter Beweis stellte, könnten entsprechende Behandlungsformen bisherige Standardverfahren wie die Psychotherapie oder die Pharmakotherapie mit Antidepressiva sinnvoll ergänzen.
In verschiedenen Kommentaren zu dieser Übersichtsarbeit verweisen hochrangige Professoren aus aller Welt schließlich auf einige interessante Details. So konnten besonders Patienten mit einem stärkeren Maß an Autonomie über eine individuelle Wahl von Häufigkeit, Intensität, Art und Zeit mehr von dem Sportprogramm profitieren, als Patienten mit entsprechend geringerer Autonomie-Ausprägung. Der Kommentator hält daher eine gezielte Verschreibung von Übungen für wichtig, um langfristig bessere Ergebnisse erreichen zu können.
Ein weiterer Professor betont ferner die ähnlichen Ergebnisse beim Vergleich der Gesamteffekte durch individuelles versus gruppenbasiertes Training und geht folglich davon aus, dass die Effekte durch das Training selbst und nicht durch die sozialen Kontakte eintraten. Nicht zuletzt aufgrund der großen Heterogenität sollten also genug Fragen zum Thema für weitere Studien übrigbleiben.
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