Wie sieht das Medizinstudium von morgen aus? Zu diesem Thema hat der Wissenschaftsrat jetzt neue Empfehlungen veröffentlicht. Experten loben Modellstudiengänge – und fordern gleichzeitig mehr wissenschaftliche Kompetenzen.
Studierende, Hochschullehrer und Standesvertreter sind sich einig, die Ausbildung angehender Ärzte zu reformieren. Nur wie? Jetzt hat der Wissenschaftsrat Modellstudiengänge untersucht, universitätsmedizinische Standorte begutachtet und Erfahrungen aus anderen Ländern analysiert. In ihren Empfehlungen fordern die Experten zahlreiche Änderungen und rütteln an jahrhundertealten Traditionen.
Zuerst ein Blick auf humanmedizinische Modellstudiengänge gemäß Paragraph 41 der Approbationsordnung für Ärzte. Momentan gibt es Versuchsballons in Aachen, Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Köln, Mannheim, Oldenburg und Witten/Herdecke. Hochschullehrer setzen auf themen- und organzentrierte Module anstelle traditioneller Fächer. Gleichzeitig verzichten sie vielerorts auf M1-Prüfungen, wobei nach vier bis sechs Fachsemestern das entsprechende Äquivalent vergeben wird. „Aufbauend auf den Erfahrungen der bestehenden Modellstudiengänge halten wir eine konsequente Weiterentwicklung des Medizinstudiums in Richtung kompetenzorientierter, integrierter Curricula für erforderlich“, sagt der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Professor Dr. Manfred Prenzel. Sein Gremium kritisiert jedoch fehlende M1-Prüfungen. Dadurch würden Leistungen schwerer vergleichbar – ein Manko für die Mobilität von Studierenden. Um aus theoretischen Fächern mehr Nutzen zu ziehen, raten Fachleute, vorklinische und klinische Inhalte besser zu verzahnen, wie es bei einigen Modellstudiengängen bereits der Fall ist. Dies könnte über mehr frühe Kontakte zu Patienten und zu Ärzten aus der Praxis geschehen. Psychosoziale und kommunikative Kompetenzen sind hier ebenfalls wichtig. Und nicht zu vergessen: Da Versorgungsprozesse noch stärker arbeitsteilig organisiert werden, müssen Ärzte von morgen Kompetenzen erwerben, um mit anderen Heilberuflern optimal zu kooperieren. Prenzels Fazit: „Insgesamt leisten die Modellstudiengänge einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung des Medizinstudiums in Deutschland.“
Darauf basierend empfiehlt der Rat jetzt Maßnahmen gegen ausufernde Inhalte, und zwar ein Kerncurriculum mit 75 bis 80 Prozent des üblichen Pensums. Den Rest sollen Studierende selbst auswählen. Damit angehende Ärzte leichter zwischen Hochschulen wechseln können, spricht viel für deutschlandweit einheitliche Zwischenprüfungen nach dem sechsten Semester. Ein strukturierter klinisch-praktischer Prüfungsteil soll neu hinzukommen. Und für die mündlich-praktischen Examina sehen Gutachter „zwingend eine stärkere Standardisierung“. Sie wünschen sich beim praktischen Jahr mehr Flexibilität – durch Quartale statt Tertiale. Diese Struktur mit zwei Wahlquartalen soll Studierenden Freiräume geben, sich inhaltlich zu orientieren. Die Innere Medizin und die Chirurgie bleiben verpflichtend, im Gegensatz zur nach wie vor freiwilligen Allgemeinmedizin. Trotzdem befassten sich Gutachter mit dem heiß diskutierten Fach. Sie fordern einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an jeder medizinischen Fakultät.
Damit nicht genug: Ganz deutlich spricht sich der Wissenschaftsrat für mehr wissenschaftliche Kompetenzen bei Studierenden aus. Dies stehe „nicht im Widerspruch zu einer versorgungsorientierten Ausbildung“, heißt es im Dokument. Prenzel: „Ärztinnen und Ärzte müssen im Stande sein, von Patientenproblemen ausgehenden Fragestellungen nachzugehen und evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen. Der Erwerb wissenschaftlicher Kompetenzen im Studium ist daher notwendige Voraussetzung für die verantwortungsvolle ärztliche Berufsausübung.“ Um diese hehren Ziele zu erreichen, ist geplant, dass Studierende medizinische Probleme mit wissenschaftlichen Methoden selbständig lösen. Noch vor ihrer M1-Prüfung sollen sie ein sechswöchiges Projekt absolvieren. Nach dem Examen folgt eine zwölfwöchige Forschungsarbeit. Das Thema hat es in sich: Private Medical Schools seien nicht in der Lage, wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen, kritisiert der Wissenschaftsrat. Hochschullehrer kamen beim 75. Ordentlichen Medizinischen Fakultätentag zu einem ähnlich vernichtenden Urteil. Stein des Anstoßes war die neue Medical School in Nürnberg – ein Projekt des Nürnberger Klinikums und der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. Laut Professor Dr. Josef Pfeilschifter, Frankfurt am Main, werde weder eine forschungsbasierte Ausbildung noch eine Lehre durch ausreichend hauptberufliche Professoren angeboten.
Mit seiner Empfehlung, mehr Wissenschaftlichkeit zu integrieren, stößt der Wissenschaftsrat auf breite Zustimmung. Rückendeckung kommt von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd). In einem Konzeptpapier sehen Ärzte in spe ähnliche Notwendigkeiten. Auch die Bundesärztekammer steht hinter vielen Reformvorschlägen. An der sechsjährigen Studiendauer rüttelt momentan ohnehin niemand, und ein Kerncurriculum ist auch im Sinne von BÄK-Repräsentanten. Sie wollen das praktische Jahr aber nicht in Quartale einteilen. Ihre Kritik: verkürzte praktische Ausbildungszeiten inklusive eines höheren organisatorischen Aufwands.