Die negativen Effekte übermäßigen Fleischkonsums werden aktuell viel diskutiert – und auch bei Alzheimer-Demenz soll er ein führender Treiber sein. Aber stimmt das wirklich?
Die Menschen werden immer älter. Das ist neben Hygiene und Medizin auch eine Folge verbesserter Ernährungsbedingen. Die Kehrseite: Mehr alte Menschen bedeuten auch vermehrte Demenzentwicklung. Spielen für diese Zunahme womöglich nicht nur die veränderte Altersdemografie, sondern auch moderne Ernährungsgewohnheiten eine Rolle?
Gerade bei Demenzerkrankungen gibt es in der Forschung die Hoffnung, modifizierbare Risikofaktoren des Lebensstils zu identifizieren, mit denen es gelingt, den Krankheitsfortschritt zu bremsen oder die Krankheit gänzlich zu verhindern. Es gibt beispielsweise Studien über eine mögliche Risikominimierung für Demenzerkrankungen durch Vitamin-D-Supplementierung (DocCheck berichtete). Gerade Ernährungsfaktoren – denn essen und trinken muss jeder – rücken zuerst in den Fokus. Innerhalb der letzten Dekade haben sich Forschungsteams weltweit verstärkt mit den Möglichkeiten befasst, über Veränderung von Essverhalten und (alkoholischen) Trinkgewohnheiten die Risken für die Demenzentwicklung – besonders der am häufigsten auftretenden Alzheimer-Demenz (AD) – zu senken bzw. im Erkrankungsfall weniger schwere Verläufe zu erreichen. Eine ohnehin in nahezu jeder Diskussion um gesunde Ernährung thematisierte Lebensmittelkategorie hat sich dabei als möglicherweise sensibler Faktor für die Alzheimer-Pathogenese herauskristallisiert. Es geht um den gehäuften Verzehr von Fleisch, besonders in hoch verarbeiteten Varianten – etwa von der Wursttheke.
Die Ätiologie der AD ist noch weitgehend ungeklärt. Eng daran gebunden sind Fragen, welche Faktoren der persönlichen Lebensführung von Bedeutung sind. In Bezug auf den Einfluss der Ernährung liefert eine Reihe vorwiegend epidemiologischer Studien (hier, hier und hier) Hinweise, dass langfristige Ernährungsgewohnheiten, aber auch spezielle Nahrungskomponenten die AD-Entwicklung in beide Richtungen – protektiv wie progredient – beeinflussen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Pathogenese bis zum Auftreten merklicher Symptome ein sich über Jahrzehnte entwickelnder Prozess ist. Das macht prospektive Interventionsstudien, die gezielt die Wirkung definierter Nahrungsmittel oder Ernährungsregimes auf zerebrale Degenerationsprozesse untersuchen, schwierig. Eine Reihe von Übersichtsarbeiten und Metaanalysen hat dennoch innerhalb der letzten Dekade Hinweise geliefert, dass die gleichen Nahrungskomponenten und Gewichtungen, die nach heutigem Kenntnistand der kardiovaskulären und viszeralen Gesundheit zugutekommen oder schaden, auch präventive bzw. progrediente Wirkungen gegenüber der Entwicklung von Demenzerkrankungen entfalten. Doch viele Fragen bleiben offen.
Der bislang umfassendste Überblick, basierend auf einem systematischen Review zur aktuellen Studienlage und einer ökologischen Studie zur AD-Prävalenz in 10 Ländern mit Abgleich der dort verfügbarer Langzeit-Ernährungsdaten, ergab eine starke Evidenz für eine Korrelation zwischen AD-Prävalenz und langjährig hohem Konsum von Fleisch. Weniger deutlich war die Verbindung zum hohen Verzehr von Eiern und fettreichen Milchprodukten. Demgegenüber waren von Vollkornprodukten, Gemüse, Hülsenfrüchten Obst, Fisch und fettarmen Milchprodukten dominierte Ernährungsweisen mit niedrigeren AD-Prävalenzen assoziiert. Allerdings war diese Risikominimierung nicht stark genug, um die ungünstigen Wirkungen hohen Fleischverzehrs auszugleichen. Die Studienautoren halten daher überbordenden Fleischkonsum für den bedeutsamsten alimentären Risikofaktor. Als ursächlich wird oxidativer Stress (Bildung hochreaktiver freier Radikale) angesehen, der als Folge gehäuften (Rot-)Fleischverzehrs durch überhöhte Metallionenaufnahme (Kupfer, Eisen, Zink), forcierte Glykationsprozesse, hohe Homocystein- und Cholesterinspiegel ausgelöst wird. Er steht auch in enger Beziehung zu den AD-charakteristischen Ablagerungen von Beta-Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen zwischen Gehirnneuronen. Die Hypothese, dass freie Radikale Schäden an Membranen und DNA verursachen, die im Gehirn zur Neuronenzerstörung führen, die neurodegenerativen Erkrankungen wie der AD Vorschub leisten, wurde bereits mehrfach formuliert.
Die von den Autoren konstatierte signifikante Korrelation zwischen hohem Fleischverzehr und AD-Risiko wurde in einem neueren Review plus Metaanalyse nicht bestätigt. In 21 der insgesamt 29 eingeflossenen Arbeiten (12 Kohorten-, 3 Fall-Kontroll-, 13 Querschnitts-Prävalenz- und 1 Interventionsstudie) ließ sich kein signifikanter Zusammenhang von einem höheren Fleischverzehr von AD-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen nachweisen. Eine 5 Studien umfassende Metanalyse ergab sogar eine 23-prozentige Risikominimierung durch einmal wöchentlichen oder häufigeren Fleischverzehr, doch sei dieses Ergebnis wegen des vermuteten Publikationsbias nicht belastbar.
Schieres Fleisch ist das eine, doch unsere Fleischtheken bersten vor hoch verarbeiteten (ultra-prozessierten) Produkten. Das sind all jene Fleisch- und Wurstwaren, die durch Räuchern, Pökeln oder Verwursten unter Zusatz von chemischen Konservierungsstoffen haltbar gemacht werden. Dazu gehören neben vergleichsweise fettarmen Schinkensorten besonders die vor gesättigten Fettsäuren strotzenden Salamis, Schmier- (Leber-, Teewurst), Brüh- und Bratwürste, die auch im Hinblick auf kardiovaskuläre Gefahren und kolorektale Karzinome kritisch bewertet sind.
Um den möglichen Einfluss der Fleischverarbeitung auf das Risiko einer demenziellen Pathogenese zu untersuchen, rekrutierte ein Forschungsteam aus Leeds im Jahr 2009 fast 500.000 Personen, die in der UK-Biobank erfasst sind. Diese Datensammlung umfasst Gesundheits-, genetische und Lebensstildaten sowie biologisches Probenmaterial. Per Online-Fragebogen übermittelten die Probanden dezidierte Informationen zu ihrem Ernährungsverhalten. Hinsichtlich des Fleischverzehrs wurde zwischen verarbeitetem Fleisch (wie Schinken, Wurst, Burger, Kebab etc.), unverarbeitetem roten Fleisch (Rind, Schwein, Lamm/Hammel) und unverarbeitetem Geflügelfleisch differenziert. Über ein fünfgliedriges Punktesystem wurden wöchentliche Verzehrhäufigkeit und -menge kategorisiert.
Von den fast 500.000 Probanden entwickelten im Laufe der durchschnittlich 8-jährigen Nachbeobachtungsdauer 2.896 eine Demenz, darunter 1.006 vom Alzheimer-Typ. Die Betroffenen wiesen überdurchschnittlich hohe dementielle Risikofaktoren wie höheres Alter, wirtschaftliche Schlechterstellung, niedrigeres Bildungsniveau, höhere Raucherquote, Bewegungsmangel, höhere Schlaganfallhäufigkeit und familiäre Demenzerkrankungen in der Anamnese auf. Männer offenbarten in allen beeinflussbaren Risikofaktoren – einschließlich des Verzehrs hoch verarbeiteter Fleischwaren – höhere Werte, was mit einer höheren Demenz-Inzidenz (0,72 % versus 0,47 % bei den Frauen) einherging. Eine durchgeführte Genotypisierung zeigte, dass etwa 41 % der Neuerkrankten Träger des ApoE4-Allels waren, gegenüber 23 % bei den nicht Erkrankten. Dieses Allel gilt als größter genetischer Risikofaktor für die AD. Das vom ApoE-Gen codierte Apolipoprotein E ist für die Beseitigung der oben genannten Amyloid Beta-Proteine bedeutsam. Das vom mutierten ApoE4-Allel codierte Protein kann diese Funktion offenbar nur unzureichend erfüllen, was die Amyloid Beta-Ablagerungen begünstigt.
Hinsichtlich des Fleischwarenkonsums zeigte sich eine signifikante Linearassoziation zwischen Verzehrmenge an prozessierten Fleischprodukten und Demenzinzidenz. Statistisch steigerte sich das allgemeine Demenzrisiko mit jeder 25g-Erhöhung der täglichen Verzehrmenge um 44 % – für die AD sogar um 52 %. Erfreulich für Connaisseurs des unverfälschten Genusses war das Ergebnis für unprozessiertes rotes Fleisch: Mit jeder Steigerung der Tagesration um 50g zeigte sich ein vermeintlich protektiver Effekt in Form einer statistisch signifikanten Abnahme der allgemeinen Demenzinzidenz um 19 % und für die AD sogar um 30 %. Für den Verzehr unverarbeiteten Geflügelfleischs ergab sich ebenfalls eine reziproke Assoziation zwischen Verzehrmenge und Demenz-/AD-Inzidenz, doch verfehlte hier der protektive Effekt das statistische Signifikanzniveau.
Bezüglich der ApoE4-Mutation offenbarten Träger dieses Allels zwar ein 3-fach höheres Risiko an irgendeiner Form der Demenz und ein 6-fach höheres Risiko an AD zu erkranken, doch erwies sich diese Risikosteigerung als unabhängig vom Fleischwarenverzehr. Denn die mit dem Mehrverzehr von 25g prozessiertem Fleisch einhergehende Risikosteigerung betraf Träger und Nicht-Träger des ApoE4-Allels in gleicher Wiese.
Die neueste Untersuchung zum fraglichen Beitrag eines hohen Konsums von Fleisch sowie diversen (auch nicht-fleischigen) hochverarbeiteten Lebensmitteln zum Alzheimergeschehen kommt nicht von Medizinern oder Biowissenschaftlern, sondern von Datenanalysten der Bond Universität in Gold Coast/Australien. In ihrer 2023 im Journal of Alzheimer’s Disease publizierten Analyse galt das Hauptinteresse der Frage, ob eine Kohorte von AD-Patienten in der langfristigen Retrospektive signifikant andere Ernährungsmuster in Bezug auf Fleischwaren, verschiedene hochverarbeitete Lebensmittel sowie den Obst und Gemüseverzehr aufweist als eine nicht von Demenz betroffenen Vergleichskohorte. Die Statistiker nutzten die Daten der Australian Imaging, Biomarkers and Lifestyle study of aging (AIBL). Diese multizentrische, longitudinale Kohortenstudie sammelt seit 2006 an einer anfangs rund 1.100 Personen starken, im Verlauf aufgestockten Personengruppe (Alter: 60+) verschiedene Biomarker, genetische, kognitive, Gesundheits- und Lebensstildaten im Kontext mit der AD-Pathogenese. Vorrangiges Ziel von AIBL ist die Identifizierung von Lebensstilfaktoren, die der AD-Entwicklung entgegenwirken bzw. die Progression einer bereits manifestierten Erkrankung verzögern.
Bei der jetzt veröffentlichten Datenanalyse handelt es sich um eine Fall-Kontroll-Studie, in der die Fallkohorte von 108 AIBL-Probanden mit neurophysiologisch valide diagnostizierter AD und die Kontrollkohorte von 330 kognitiv gesunden Teilnehmern gebildet wurde. Nach Abgleich von Gesundheitsdaten/Vorerkrankungen wurden die verfügbaren AIBL-Informationen zu AD-relevanten Lebensstilfaktoren (Alkoholkonsum, Rauchen, körperliche Aktivität etc.), die Daten zum täglichen Konsum von unprozessiertem Fleisch, von hoch verarbeiteten Lebensmitteln (neben Fleisch/Wurstwaren auch Kuchen, Pizza, Fertigprodukte) sowie von Obst und Gemüse einer KI-gestützten Multiplen-Faktorenanalyse zugeführt, um den Einfluss der einzelnen Lebensmittelkategorien auf das AD-Geschehen zu ermitteln.
Als markanten Unterschied zwischen AD- und Kontrollkohorte lieferte die aufwendige Datenanalyse für die Kohorte der AD-Patienten einen signifikant überdurchschnittlich gesteigerten täglichen Verzehr von hoch verarbeiteten Produkten wie Kuchen, Pizza, Pasteten sowie prozessierten Fleischwaren wie Hamburger, Speck, Schinken, Salami und Würstchen. Gleichzeitig waren pflanzliche Produkte in der AD-Kohorte deutlich unterrepräsentiert. Konkrete Dosis-Wirkungsbeziehungen zwischen Verzehrmenge und Outcome liefert die Arbeit aber ebenso wenig wie Informationen zu möglichen pathogenen Mechanismen.
Wie es für das Gros von Ernährungsstudien und erst recht für statistische Rechenmodelle typisch ist, lassen sich kausale Zusammenhänge nicht belegen. Dazu bedürfte es prospektiver Interventions-RCTs über lange Studienzeiträume, die gerade im Hinblick auf potentiell schädigende Nahrungsbestandteile nicht vertretbar sind. Nichtsdestoweniger zeichnen die vorliegenden Beobachtungstudien das Bild einer deutlichen Korrelation zwischen dem regelmäßigen Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel – keineswegs nur aus dem Bereich der Fleischwaren – und der Entwicklung von Demenzerkrankungen. Dieser Risikofaktor zeigt sich in der Klinik zwar oft in Kombination mit weiteren, sich womöglich gegenseitig verstärkenden Negativeinflüssen der individuellen Lebensführung (Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel), doch lässt sich über die Studiendesigns ein unabhängiger Einfluss der Ernährungsmuster festmachen.
Die Diskussion um den Fleischkonsum wird gegenwärtig auf vielen Ebenen geführt. Im gesundheitlichen Kontext liefert die aktuelle Studienlage keine signifikanten Hinweise, dass der Verzehr von Fleisch per se einen Risikofaktor für die Demenzentwicklung darstellt. Erst die prozessierungsbedingten Veränderungen scheinen risikobehaftet zu sein. Dass die moderne Essenskultur mit weltweitem Anstieg des Verzehrs von Fastfood und Fertigprodukten nicht allein mit wachsenden Demenzinzidenzen, sondern auch mit steigenden kardiovaskulären und neoplastischen Erkrankungszahlen einhergeht, sollte Anlass genug sein, frühzeitig mit der Aufklärung über den Wert möglichst naturbelassener Lebensmittel und geeigneter Zubereitungsarten in Theorie und Praxis zu beginnen.
Bildquelle: Yasin Arıbuğa, Unsplash