In Deutschland kommt es zu immer mehr Gonorrhö-Infektionen – nicht nur wegen der Aufhebung der Pandemie-Maßnahmen. Was Ärzte jetzt wissen müssen.
Gonokokken-Infektionen zählen laut WHO-Schätzungen zu den drei weltweit häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten (STD). Das European Center for Disease Control (ECDC) berichtet auch für Europa von steigenden Infektionszahlen und eine aktuelle Studie aus Dänemark warnt, dass Gonokokken-Fälle vermehrt außerhalb der bekannten Risikogruppe auftreten. Doch wie ist die Lage in Deutschland?
Laut dem ECDC sind in den Jahren 2021 und 2022 die Fälle an Gonokokken-Infektionen stark gestiegen. Das ist erstmal nicht sonderlich überraschend, schließlich haben die Kontaktbeschränkungen der Pandemie auch die Übertragung von STD beeinflusst und es war erwartbar, dass mit der Aufhebung der Maßnahmen die Inzidenzen von STD wieder zunehmen. Jedoch wurden im Jahr 2022 59 % mehr Gonokokken-Fälle verzeichnet als im Vor-Corona-Jahr 2018. Und auch die Infektiologin Dr. Nazifa Qurishi sagt im Gespräch mit DocCheck über die Aufhebung der Corona-Beschränkungen: „Das ist auf jeden Fall ein Grund für die steigenden Zahlen, aber ich denke, dass da noch etwas anderes eine Rolle spielt.“
Mit dem „anderen“ meint Dr. Qurishi die Einführung der HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) zum 1. September 2019. Die RKI PrEP-Surveillance zeigte, dass zwischen 2021 und 2022 69 % der HIV-Schwerpunktzentren eine steigende Inzidenz von Gonokokken-Infektionen verzeichneten. „Wir klären die Patienten mit PrEP immer darüber auf, dass es sich nur um einen Zusatzschutz handelt“, sagt Qurishi. „Aber es besteht die Gefahr, dass manche Menschen die PrEP als eine Art Kondomersatz sehen, weil sie denken, die anderen STD seien ja behandelbar.“ In der Tat konnte eine solche Verhaltensveränderung mancher PrEP-Nutzer in Studien beobachtet werden – in anderen Studien allerdings nicht. Es sind also noch mehr Untersuchungen nötig.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass Gonokokken erst seit Ende 2022 meldepflichtig sind, was einen direkten Vergleich mit den Zahlen aus 2023 mit den vorherigen Jahren schwierig macht. Als einziges Bundesland hat Sachsen eine allgemeine Meldepflicht bereits 2001 eingeführt und seitdem einen starken Anstieg an Infektionen verzeichnet.
Auch wenn die allgemeine Meldepflicht erst vor kurzem eingeführt wurde, sind Gonokokken-Infektionen mit verminderter Empfindlichkeit gegenüber den gängigen Behandlungen schon länger Pflicht. Und auch hier berichtet das RKI von einem deutlichen Zuwachs an resistenten Fällen. Auch Qurishi berichtet: „Früher haben wir noch Cefixim und Azithromycin als single shot verordnet und dann war alles gut. Das können wir jetzt nicht mehr machen.“ Denn gerade bei Cefixim gibt es erhebliche Resistenzen. Wenn jetzt jemand in ihre Praxis komme und positiv getestet wird, bekomme er ausschließlich 1g Ceftriaxon, i.v. als Kurzinfusion. Doch Qurishi merkt an: „Bei Ceftriaxon gibt es auch erste Resistenzfälle. Bei uns in der Praxis haben wir das zum Glück noch nicht gesehen, doch ich sage meinen Patienten, die Resistenzen werden wahrscheinlich kommen.“
Und dann gibt es noch einen weiteren beunruhigende Trend, der in Dänemark beobachtet wurde. Eine Auswertung nationaler Daten von 2018 bis 2023 ergab, dass es auch in diesem Land einen starken Anstieg (46 %) an Gonokokken-Infektionen zwischen 2021 und 2022 und nochmal einen leichteren Anstieg (7 %) von 2022 auf 2023 gab. Bemerkenswerterweise war gerade der Zuwachs unter jungen Frauen und Männern, die Sex mit Frauen haben, sehr hoch, also bei Menschen, die nicht zur klassischen Risikogruppe gehören. In genetischen Analysen konnten die Forscher bestimmte Gonokokken-Linien identifizieren, die sich hauptsächlich über heterosexuellen Sex übertragen und losgelöst von dem Infektionsgeschehen der Community der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), zirkulieren. Die gute Nachricht ist, dass diese Linien sehr wenige Resistenzen aufweisen, also gut behandelbar sind.
Inwieweit diese Linien nur auf Dänemark beschränkt sind oder möglicherweise auch in Deutschland zirkulieren, ist nicht klar. Qurishi berichtet, in den letzten Monaten keinen einzigen Patienten behandelt zu haben, der sich wahrscheinlich durch heterosexuellen Sex infiziert hat. Sie merkt aber auch an: „Ob diese Patienten den Weg zum Infektiologen finden, weiß ich nicht. Sie denken vermutlich bei den Beschwerden erstmal an eine Blasenentzündung, während Menschen der MSM-Community viel schneller an eine mögliche STD denken.“
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