Fettgewebe ist nicht gleich Fettgewebe: Weißes Fett speichert Energie – braunes Fett verbrennt sie. Was das mit Kälte zu tun hat und wie das bei der Bekämpfung der Adipositas-Epidemie genutzt werden kann, lest ihr hier.
Auf der Pressekonferenz zum diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) standen insbesondere Diabetes und Adipositas im Vordergrund. Diese Erkrankungen kommen oft nicht allein und auch „viele chronische Erkrankungen sind mit Adipositas schlechter zu behandeln“, merkt Dr. Tim Hollstein an. Er ist Clinician Scientist am Institut für Diabetologie und klinische Stoffwechselforschung des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein am Campus Kiel. Während aktuelle Behandlungen der Adipositas sich oft auf eine Reduktion der Energieaufnahme konzentrieren, befasst Hollstein sich mit einer Therapieoption, die die Erhöhung des Energieverbrauchs begünstigt – die Aktivierung des braunen Fettgewebes.
Während weißes Fettgewebe für die Energiespeicherung relevant ist, spielt braunes Fett oder BAT (brown adipose tissue) bei der Energieverbrennung eine wichtige Rolle. Hier ist es vor allem in der Thermogenese aktiv. „Das braune Fettgewebe kann man sich wie eine Art Heizung für unseren Körper vorstellen. Diese springt an, wenn uns kalt wird.“ Besonders Nagetiere und Babys nutzen den Effekt – letztere besitzen nämlich nicht genug Muskelmasse, um durch Muskelzittern Wärme zu erzeugen. Bei Nagetieren ist die Thermogenese besonders beim Winterschlaf von Bedeutung.
Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass Erwachsene kein BAT besitzen. Laut Hollstein wisse man seit etwa 15 Jahren, dass das nicht stimmt. In einem Experiment eines amerikanischen Forscherteams konnte mittels PET-Scan die Energieverbrennung im Fettgewebe nachgewiesen werden. „Man hat gesehen, dass es braunes Fettgewebe [auch bei Erwachsenen] gibt und dass es nicht viel ist. Im Durchschnitt haben Menschen 50 bis 300 g braunes Fett. Diese Durchschnittswerte sind dazu sehr variabel“, so Hollstein. BAT werde vor allem durch Kälteexposition aktiviert, aber auch bei der Nahrungsaufnahme. Man finde es vor allem im Bereich des Schlüsselbeins – im Halsbereich und auch unter dem Schlüsselbein – und entlang der Wirbelsäule, erklärt der Wissenschaftler.
„Es gibt Menschen die scheinbar so viel essen können wie sie wollen und nicht übergewichtig werden. Diese Menschen scheinen geschützt vor Adipositas. In dem Kontext ist es besonders interessant, auf das braune Fettgewebe zu schauen, als möglichen Erklär-Faktor“, so Hollstein. Im braunen Fettgewebe könne eine Erklärung dafür liegen, „denn Menschen, die vor Übergewicht geschützt sind, haben tendenziell mehr aktives braunes Fett. Auch können sie dieses besser aktiveren, wenn sie Kälte ausgesetzt sind oder wenn sie Nahrung zu sich nehmen.“ 50 g aktives BAT könnten pro Tag 300 kcal verbrennen. Mit diesem Wissen könne man die Adipositastherapie individualisieren, meint Hollstein. Er stellt die Frage wie das Potential des braunen Fettgewebes in der Behandlung von Übergewicht nutzbar gemacht werden kann – wie die Aktivierung von wenig, zu der Aktivierung von mehr braunem Fett beitragen kann.
Tatsächlich konnten Studien zeigen, dass man die Aktivierung des Fettgewebes trainieren kann. Ein Training durch Kälteexposition zeigte, laut Hollstein, die besten Erfolge. Dabei muss man nicht direkt ins Eisbad eintauchen. Es reicht bereits eine milde Kälte mit Temperaturen von 16 – 19 °C. Wichtig sei laut Hollstein, dass der Körper nicht zu zittern beginnt und man sich wohl fühle. Das Training „führt zur Verbesserung des Stoffwechsels und zu einem leichten Verlust der Fettmasse.“ Der letztere Effekt sei aber sehr gering. Es überwiegen tatsächlich die Stoffwechseländerungen, so der Forscher. Die Blutfettwerte würden sich verbessern, die Insulinsensitivität steige und auch die Entzündungen im Körper gingen zurück. Laut Hollstein hat das zum Teil mit der Aktivierung des braunen Fetts zutun.
In diesem Kontext werden auch Medikamente erforscht, die eine Therapie erleichtern. Ein Medikament (Mirabegron), das ursprünglich gegen eine überaktive Blase eingesetzt wurde, könnte laut Hollstein auch das braune Fettgewebe aktivieren. In Deutschland wurde das Medikament aufgrund der Nebenwirkungen anfangs wieder vom Markt genommen, denn es erhöht gleichzeitig Herzschlag und Blutdruck. Der Effekt, der diese Nebenwirkungen verursacht, führt in der Regel aber auch zur Aktivierung des braunen Fetts, denn hier sind laut Hollstein Katecholamine wie Adrenalin und Noradrenalin im Spiel.
Im Mausmodell wurde zudem eine Transplantation von BAT versucht. Braunes Fettgewebe ist allerdings plastisch flexibel und wird, wenn nicht genutzt, wieder in weißes Fett umgewandelt. Bisher ist noch keine erfolgreiche Transplantation gelungen. Eine Transplantation als Behandlungsoption von Adipositas ist also noch Zukunftsmusik.
BAT hat neben seiner Thermogenese-Funktion auch endokrine Funktionen. Es Produziert „Batokine“ – Hormone des braunen Fettgewebes – die den Stoffwechsel und Organe wie das Herz und die Leber positiv beeinflussen. Durch seine Aktivierung kann BAT interessanterweise auch ein Sättigungsgefühl an das Gehirn vermitteln. „Batokine haben wahrscheinlich vielfältige Effekte und wirken sich nicht nur auf unser Sättigungsverhalten und Entzündungen aus, sondern auch auf viele Volkskrankheiten wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Fettlebern“, so Hollstein. Weiter sagt er: „Fast alle meine Patienten in der endokrinologischen Sprechstunde mit Übergewicht haben eine Fettleber. Das ist ein Risikofaktor für Leberzirrhose oder Leberkrebs. Doch das braune Fettgewebe scheint diese Fettleber zu verbessern.“
Seine Forschung konzentriere sich darauf die Menschen mit viel BAT von denen mit wenig BAT zu unterscheiden. Besonders der Energieverbrach, die Hormonproduktion und die Nutzbarkeit des braunen Fettgewebes stehen dabei im Vordergrund. „Braunes Fett wird uns in Zukunft noch weiter beschäftigen. Bisher gibt es die Abnehmspritzen – der neuste Hype auf dem Markt – die das Sättigungsgefühl dämpfen und die Energiebilanz verändern. Dadurch nehmen wir weniger Nahrung auf und verbrauchen mehr. […] Es wäre spannend ein Medikament oder eine Möglichkeit zu entwickeln, braunes Fett zu aktivieren, um dann gleichzeitig mehr zu verbrauchen. Beides würde synergistisch wirken: Wir nehmen einerseits weniger Energie auf und andererseits verbrauchen wir mehr. Dadurch könnten die Effekte der Gewichtsreduktion maximiert werden“, so Hollstein.
In Deutschland leiden mehr als 20 % der Bevölkerung an Adipositas. BAT-Aktivierung hat, laut Hollstein, ein enormes Potential bei der Therapie gegen Übergewicht und den damit verbundenen Stoffwechselerkrankungen. Mittel wie Mirabegron oder Salbutamol bieten dabei interessante Ansätze für eine medikamentöse Therapie. Medikamente, die gezielt und ohne Nebenwirkungen das braune Fettgewebe aktivieren gibt es bisher aber noch nicht. Das Forschungsfeld scheint jedoch vielversprechend für die Behandlung von Adipositas.
Bildquelle: Dan Cristian Pădureț, Unsplash