Jeden Tag ein Präbiotikum einnehmen, um im Alter geistig fit zu bleiben – klingt zu schön, um wahr zu sein? Eine aktuelle Studie legt das nahe, doch die Ergebnisse sind nicht frei von Kritik.
Die Zahl der Publikationen zum Mikrobiom und zur Bedeutung der Darmgesundheit nimmt Tag für Tag zu; kaum ein Aspekt ist bislang nicht untersucht worden. Nun haben britische Forscher Hinweise gefunden, dass es sich lohnen könnte, die Darmgesundheit älterer Menschen zu verbessern, um positive Effekte auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zu erzielen. Diese Fragestellung ist bislang nicht untersucht worden.
Neue Erkenntnisse kommen aus der PROMOTe-Studie (effect of PRebiotic and prOtein on Muscle in Older Twins), einer placebokontrollierten, doppelblinden, randomisierten, kontrollierten Studie. An PROMOTe nahmen 36 ein- oder zweieiige Zwillingspaare im Alter von mindestens 60 Jahren teil.
Die Wissenschaftler erfassten, wie sich über einen Zeitraum von zwölf Wochen Parameter wie die Aufstehzeit von einem Stuhl oder die Stärke des Händedrucks verändert haben. Beide Parameter dienen als Maß für die Muskelkraft. Weitere Daten sind über den CANTAB-Kognitionstest der Universität Cambridge in die Studie eingeflossen. Ein Zwilling erhielt täglich ein präbiotisches Präparat aus verzweigtkettigen Aminosäuren (BCAA) mit Inulin und Fructo-Oligosacchariden, der andere Zwilling ebenfalls BCAA, aber als Placebo mit Maltodextrin ergänzt. Zusätzlich wurden alle Teilnehmer motiviert, sich mehr zu bewegen.
Die Studie war als Remote-Untersuchung angelegt. Alle Probanden lieferten Messwerte wie die Zeit, um von einer Sitzgelegenheit aufzustehen, oder die Ergebnisse der CANTAB-Kognitionstests in digitaler Form. Nahrungsergänzungsmittel und Geräte zur Messung erhielten sie per Post. Teilnehmer wiederum schickten Stuhlproben postalisch an ein Labor. Video-Calls und Online-Fragebögen ergänzten die Studie.
Wenig überraschend war dieses Setting der Corona-Pandemie und ihren Restriktionen geschuldet. Doch die Forscher sehen darin noch einen weiteren Benefit. Remote-Studien hätten speziell bei älteren Menschen große Vorteile, da deren Möglichkeiten für weite Reisen oft eingeschränkt seien, schreiben sie im Artikel. Ihr Konzept könne „vielversprechend“ für künftige Studien in diesem Bereich sein, „um die Unterrepräsentation älterer Menschen in klinischen Studien zu verringern und die Forschungskosten zu senken“.
Ein Blick auf die Ergebnisse: Von allen untersuchten Parametern konnten die Wissenschaftler im Dreimonatszeitraum zeigen, dass sich – wenig überraschend – die Zusammensetzung des Darmmikrobioms bei den präbiotisch versorgten Zwillingen verändert hat. Sie fanden mehr Bifidobakterium-Keime als bei den Kontrollen. Das Präbiotikum selbst wurde gut vertragen. In dieser Gruppe verbesserten sich auch Ergebnisse im CANTAB-Kognitionstest. Keinen signifikanten Unterschied fanden die Autoren hingegen bei der Stuhlaufstehzeit. Auch Parameter wie die Stärke des Händedrucks oder der Appetit zeigten keine klaren Trends.
Der Zwölfwochen-Zeitrahmen könne schlichtweg „nicht ausgereicht haben, um einen Muskelumbau zu bewirken“, heißt es im Artikel. Möglicherweise sei ein längerer Interventionszeitraum erforderlich, um den Einfluss der Modulation des Darmmikrobioms auf die Muskelgesundheit zu erfassen. Eine große Stärke sehen die Autoren jedoch im Design ihrer Studie mit Zwillingspaaren, was das Risiko einer Verzerrung durch viele Einflussfaktoren verringere. Auch die Durchführbarkeit von Remote-Studien mit älteren Menschen sei eine praktikable Strategie.
„Unsere Ergebnisse zeigen jedenfalls, dass kostengünstige und leicht verfügbare Interventionen des Darmmikrobioms vielversprechend sind, um die kognitive Gebrechlichkeit in unserer alternden Bevölkerung zu verbessern“, schreiben sie als Fazit. Zu Recht?
„Ich glaube nicht, dass diese Studie Beweise dafür liefert, dass Nahrungsergänzungsmittel die Gehirnfunktion beeinflussen“, erklärt Prof. David Curtis, Honorarprofessor am University College London Genetics Institute. Er war am Forschungsprojekt nicht beteiligt. „Die Autoren konnten keine Auswirkungen auf das Hauptergebnis der Stärke feststellen und haben eine Reihe anderer Dinge getestet, einschließlich der kognitiven Funktion.“ Unterschiede, die sie zwischen der Behandlungs- und der Placebogruppe gefunden hätten, könnten leicht durch Zufall entstanden sein.
Curtis kreidet den Autoren zudem Berechnungsfehler hinsichtlich der Signifikanz der kognitiven Ergebnisse an. „Daher können sie nicht behaupten, dass es Beweise dafür gibt, dass dieses Nahrungsergänzungsmittel die kognitive Funktion beeinflusst“, lautet sein Fazit.
Bildquelle: Vlad Sargu, unsplash