Die Elektrokonvulsionstherapie wird bei der Behandlung therapieresistenter Depression immer beliebter – trotz ihres schlechten Rufs. Wie läuft die Hirnstimulation ab und was sind weitere Indikationen?
Für die Behandlung schwerer therapieresistenter Depression wird die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) immer beliebter. Dr. Christine Eisenmann ist Oberärztin am Zentrum für Psychiatrie Emmendingen und hat langjährige Erfahrung in der Elektrokonvulsionstherapie. Im Interview mit ihr sprechen wir über den Ablauf der EKT, Indikationen und Nebenwirkungen und klären, warum es so große Unterschiede in der Anwendungshäufigkeit zwischen verschiedenen Ländern gibt.
DocCheck: Seit wann machen Sie EKT und wie sind Sie zum ersten Mal mit dieser Behandlungsmethode in Berührung gekommen?
Dr. Christine Eisenmann: In meiner Assistenzarztzeit im Klinikum Ludwigsburg habe ich ungefähr 2009 die EKT kennengelernt. Ich hatte Patienten, die erfolgreich mit der EKT behandelt wurden. Das hat mich dann interessiert – deshalb bin ich dort auch in das EKT-Team mit eingestiegen und habe dann auch die Durchführung der EKT gelernt und bin bis heute dabeigeblieben.
DocCheck: Wie ist der praktische Ablauf bei einer EKT? Was genau wird da eigentlich gemacht?
Eisenmann: Im Vorfeld wird die Indikation zur EKT gestellt, der Patient wird aufgeklärt. Dann müssen ein paar Voruntersuchungen gemacht werden – z. B. eine Bildgebung vom Kopf – und es muss geprüft werden, ob schwerere Herz-Kreislauferkrankungen vorliegen. Bei der Behandlung wird dann der Patient von der Station ins Behandlungszimmer gebracht. Er legt sich dort auf eine Untersuchungsliege und bekommt vom Anästhesie-Team eine Kurznarkose. Wenn der Patient schläft, bekommt er auch eine Muskelrelaxation, damit während des Krampfanfalls, der bei der EKT ausgelöst wird, keine sichtbare Krampfaktivität am Körper auftritt, was zu Verletzungen führen könnte. Wenn die Medikamente appliziert sind, wird am Kopf des Patienten ein kurzer Stromimpuls gesetzt, bei dem eine kleine Region im Gehirn stimuliert wird. Daraus entwickelt sich dann ein generalisierter epileptischer Anfall, der etwa 20 Sekunden bis zu einer Minute anhält. Danach wacht der Patient relativ schnell wieder auf. Im Überwachungsraum werden dann noch die Vitalparameter und die Orientierung überwacht. Und wenn dort alles stabil ist und der Patient wieder reorientiert ist, kann er wieder zurück auf die Station.
DocCheck: Die bekannteste Indikation für eine EKT ist wahrscheinlich eine therapieresistente schwere Depression. Gibt es weitere Indikationen, bei denen die EKT erfolgversprechend ist?
Eisenmann: Die klassische Indikation für die Therapie war lange Zeit die schwere therapieresistente Depression. Es gibt aber auch andere Indikationen, bei denen die EKT die Therapie der Wahl ist. Bei der perniziösen Katatonie z. B., die ein lebensbedrohlicher Notfall ist, hat die EKT einen sehr guten Effekt. Mittlerweile ist das Indikationsspektrum deutlich breiter geworden. Ich nenne jetzt nicht alle Indikationen – diese sind in einer Stellungnahme der DGPPN sehr gut aufgeführt. So können sämtliche manische und depressive Syndrome, die bei verschiedenen psychischen Erkrankungen auftreten, aber auch die Schizophrenie und schizoaffektive Syndrome bis hin zu Verhaltensstörungen bei organisch bedingten Erkrankungen mittels EKT behandelt werden.
DocCheck: Wird die EKT immer erst angewendet, wenn alle medikamentösen Therapien versagt haben?
Eisenmann: Nein, die EKT sollte nicht als ultima ratio angesehen werden. Bei schweren psychischen Erkrankungen mit entsprechender Indikation sollte man Patienten früh über diese Behandlungsoption aufklären. Sie wirkt häufig besser, schneller und oft auch nebenwirkungsärmer als die entsprechenden medikamentösen Alternativen. Man muss also nicht warten, bis überhaupt nichts anderes mehr möglich ist.
DocCheck: Wie sind die Nebenwirkungen der EKT im Vergleich zu Therapiealternativen zu bewerten? Drohen langfristige Schäden?
Eisenmann: Die wichtigsten Nebenwirkungen, die viele Patienten (ca. 40 %) betreffen, sind vorübergehende kognitive Einschränkungen. Dabei treten im Zeitraum um die Behandlung Gedächtnisstörungen auf. Häufig berichten die Patienten, dass es am Tag der EKT am schlimmsten ist, dass sie sich teilweise gar nichts mehr merken können. Dies ist oft sehr belastend. Deshalb ist es wichtig, darüber aufzuklären, dass diese kognitiven Beeinträchtigungen wieder weggehen, sobald die EKT-Behandlungen beendet werden. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass es durch die EKT zu langfristigen kognitiven Einbußen kommt. Auch gibt es keinen Anhalt, dass es zu Hirnschädigungen kommt. Man konnte im Rahmen von Forschungsarbeiten sogar nachweisen, dass es zu einem Zuwachs der grauen Substanz kommt.
Direkt nach der EKT können außerdem Kopf- oder Muskelschmerzen auftreten. Während der Behandlung kann es auch zu Herzrhythmusstörungen kommen, die aber in der Regel selbstlimitierend sind und durch das anwesende Anästhesie-Team gut behandelt werden können. Dies gilt ebenso für Blutdruckanstiege, verlängerte Apnoe, Aspiration und lange, nicht selbstlimitierende Anfälle.
DocCheck: Gibt es Patienten, für die z. B. aufgrund bestimmter Vorerkrankungen diese Behandlungsmethode nicht in Frage kommt?
Eisenmann: Es gibt keine absoluten Kontraindikationen. Bei schweren körperlichen Erkrankungen – wie einem kürzlich stattgefundenen Herzinfarkt oder Schlaganfall – ist es eine Abwägungssache, ob eine EKT stattfinden soll oder nicht. In so einem Fall wäre man eher zurückhaltend und es muss in jedem Fall eine gute Absprache mit Anästhesisten oder Internisten erfolgen.
DocCheck: Manchmal hört man die Bezeichnung „Elektrokrampftherapie“, einige (vorwiegend medizinische Laien) sprechen auch von „Elektroschocktherapie“. Stoßen Sie auf große Vorbehalte bei Patienten und Angehörigen, wenn Sie die Behandlungsmethode vorschlagen? Wie sieht es bei ärztlichen Kollegen aus, gibt es auch dort Vorbehalte?
Eisenmann: Viele Patienten denken tatsächlich erst einmal an eine Elektroschocktherapie, so dass im ersten Moment oft eine Ablehnung besteht. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass durch eine sorgfältige Aufklärung ein gutes Verständnis für die Behandlungsmethode erreicht werden kann und die meisten Patienten dann aufgeschlossen der Behandlung gegenüber sind. Auch in Psychiatriekreisen gibt es aber wahrscheinlich noch Vorbehalte gegenüber der Behandlungsmethode. Die EKT wird auch nicht in allen psychiatrischen Kliniken angeboten, was sicher auch mit diesen Vorbehalten zusammenhängt.
DocCheck: Die Häufigkeit der Anwendung der EKT variiert stark zwischen verschiedenen Ländern. Bei den letzten verfügbaren Zahlen wurden in Schweden 41 Patienten pro 100.000 Einwohner mit EKT behandelt, in Deutschland waren es nur 7. Zudem bieten in Deutschland nur knapp die Hälfte aller psychiatrischen Kliniken die EKT als Behandlungsmethode an. Machen wir zu wenig oder Schweden zu viel?
Eisenmann: Die EKT-Zahlen haben sich in Deutschland seit den 80er-Jahren kontinuierlich erhöht. Ich gehe auch davon aus, dass sich dies weiter erhöht, weil das Indikationsspektrum größer wird und wir auch immer mehr Patienten haben, die in einer Erhaltungs-EKT sind, d. h. die Behandlung regelmäßig über einen langen Zeitraum bekommen. Im Vergleich zu anderen Ländern hinkt Deutschland tatsächlich hinterher, während in den skandinavischen Ländern und in den USA die EKT deutlich häufiger angewendet wird. Die Unterschiede liegen zum Teil an der deutschen Geschichte. Die EKT wurde in der Antipsychiatrie-Bewegung der 80er-Jahre zum Teil als Nazi-Foltermethode verunglimpft und hatte dadurch auch in der Öffentlichkeit ein schlechtes Ansehen. In öffentlichen Berichten oder auch Filmen wurde häufig ein sehr negatives Bild der EKT gezeigt. Ich würde eher davon ausgehen, dass wir in Deutschland immer noch zu wenig EKT machen. Es bieten bei weitem nicht alle Kliniken die EKT an und so haben auch nicht alle Patienten, bei denen die Indikation besteht, eine Chance, die Behandlung auch zu bekommen.
DocCheck: Welche Entwicklungen in der Anwendung der EKT erwarten Sie für die Zukunft?
Eisenmann: Ich glaube, dass in Zukunft immer mehr Kliniken die EKT anbieten werden, da diese auch in den Leitlinien in der Therapie verschiedener Erkrankungen fest verankert ist und bei diesen Erkrankungen auch angeboten werden sollte. Dabei leistet auch das DGPPN-Referat „Klinisch angewandte Stimulationsverfahren in der Psychiatrie“ wichtige Arbeit, beispielsweise durch Fortbildungen auf den Psychiatrie-Kongressen und regelmäßig stattfindende Workshops. Mittlerweile ist die intensive Auseinandersetzung mit der Behandlungsmethode auch Bestandteil der Facharzt-Weiterbildung für Psychiatrie und Psychotherapie. Und auch die positiven Erfahrungen von Patienten und Behandlern mit der Behandlungsmethode sorgen sicher dafür, dass sich die EKT in immer mehr Kliniken als regelmäßig angebotene Behandlungsmethode etabliert.
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