Schizophrenie und der natürliche Alterungsprozess hinterlassen im Gehirn offenbar ähnliche Spuren. Diese Erkenntnis könnte zukünftig neue Behandlungsansätze ermöglichen.
Die Schizophrenie ist vor allem für Symptome wie Wahnvorstellungen und Stimmenhören bekannt. Die Patienten fühlen sich verfolgt und hören Stimmen, die teilweise ihr Verhalten kommentieren oder ihnen Befehle geben. Diese Symptome können oft gut mit antipsychotischen Medikamenten behandelt werden. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zudem oft zu einem zunehmenden kognitiven Abbau, welcher sich durch eine medikamentöse Therapie meist nicht beeinflussen lässt. Schizophrenie-Patienten haben ein deutlich erhöhtes Risiko, im Verlauf zusätzlich an einer Demenz zu erkranken. Früher wurde die Schizophrenie deshalb auch als Dementia praecox (vorzeitige Demenz) bezeichnet.
Auch mit zunehmendem Lebensalter lassen unabhängig von einer Demenz-Erkrankung bestimmte kognitive Fähigkeiten wie das Arbeitsgedächtnis oder das flexible Denken langsam nach. Forscher des MIT und der Harvard Medical School haben jetzt eine biologische Grundlage gefunden, die in beiden Situationen, also bei Schizophrenie und im Alter, für den kognitiven Abbau verantwortlich sein könnte. Dafür untersuchten sie postmortem die Genexpression verschiedener Zelltypen des Gehirns von Erwachsenen mit und ohne Schizophrenie. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Für die Studie untersuchten die Wissenschaftler über eine Million individueller Zellen aus der Gehirnrinde von 94 Menschen mit Schizophrenie und 97 Menschen ohne Schizophrenie. Das Alter der Gehirne variierte zudem stark und lag zwischen 22 und 97 Jahren, sodass auch Alterseffekte untersucht werden konnten. Die Forscher analysierten die RNA in einzelnen Zellen mit einer Methode namens single-nucleus RNA sequencing.
In den untersuchten Hirngeweben fand das Forscherteam große Unterschiede in der RNA zwischen den Gehirnen der Schizophrenie-Patienten und den gesunden Kontrollen. Bei den Gehirnen der an Schizophrenie Erkrankten zeigte sich eine deutlich verminderte Expression von verschiedenen Genen, die an der Bildung von Synapsen beteiligt sind. Die gleichen Unterschiede zeigten sich auch, wenn man alte und junge Gehirne verglich. Besonders interessant war dabei, dass verschiedene Zelltypen offensichtlich parallel die entsprechenden Gene herunterregulierten.
Das Gehirn enthält nicht nur Neuronen, sondern auch Gliazellen, die die Neuronen umgeben und verschiedene Funktionen erfüllen. Eine Unterform der Gliazellen sind die Astrozyten, die unter anderem eine Halte- und Stützfunktion für die Neuronen haben, aber auch an der Synapsenbildung beteiligt sind. In der Analyse der einzelnen Zellen zeigte sich, dass Neuronen und Astrozyten parallel ihre Genexpression veränderten. Waren in den Neuronen die Gene weniger aktiv, die zur Bildung von Synapsen benötigt werden, dann produzierten gleichzeitig die Astrozyten weniger RNA von Genen, die zur Unterstützung und Aufrechterhaltung der Synapsen nötig sind. Im Gegensatz dazu waren die entsprechenden Gene bei den gesunden und jungen Gehirnen aktiv, auch das wiederum parallel in beiden Zelltypen, den Neuronen und den Astrozyten. Dieses Zusammenspiel der verschiedenen Zellarten für die Bildung von neuen Synapsen nannten die Autoren das „synaptische Neuronen und Astrozyten Programm“ oder kurz SNAP.
Sowohl bei Gehirnen von Schizophrenie-Erkrankten als auch bei Gehirnen von älteren Menschen war dieses SNAP-Programm stark eingeschränkt. In beiden Situationen können also weniger neue Synapsen gebildet werden. Diese sind allerdings die Voraussetzung für neuronale Plastizität, also die Fähigkeit des Gehirns, sich entsprechend den äußeren Anforderungen flexibel in Funktion und Mikrostruktur anzupassen. Wenn in Zukunft durch weitere Forschung das SNAP-Programm noch besser verstanden wird, könnte dies für neue Therapieansätze verwendet werden. Mit dem besseren Verständnis könnte man im nächsten Schritt Verhaltensweisen oder Medikamente finden, die dem Gehirn helfen, neue Synapsen zu bilden und so flexibel zu bleiben. Dies könnte nicht nur in der Therapie der kognitiven Symptome bei der Schizophrenie Anwendung finden, sondern auch, um die altersbedingt abnehmende Plastizität des Gehirns zu erhalten.
Quelle:
Ling et al. A concerted neuron–astrocyte program declines in ageing and schizophrenia. Nature, 2024. doi: 10.1038/s41586-024-07109-5
Bildquelle: Milad Fakurian, Unsplash