Hängen „Wokeness“ und mentale Gesundheit zusammen? Eine Studie geht der Sache auf den Grund und findet Korrelationen zwischen woke sein und Ängstlichkeit, Depression und Glücksgefühlen. Doch was ist dran?
Finnland ist gerade wieder einmal zur glücklichsten Nation auf Erden ernannt worden – Deutschland belegte Platz 24 von 143 Ländern, unmittelbar hinter den USA. Während diese Umfrage der Universität Oxford auf circa 1.000 Telefoninterviews pro Nation beruhte, haben sich Forscher in Turku, Finnland in 2 großen Studien an über 5.000 Teilnehmern besonders intensiv mit der Frage beschäftigt, wie Glücksgefühle, Ängstlichkeit und politische „Wokeness“ zusammenhängen.
„Woke“ sein (engl. aufgewacht, wachsam) steht für die Aufmerksamkeit (Wachsamkeit) gegenüber Vorurteilen, Gleichberechtigung und Diskriminierung einschließlich der Täter oder Opfer von Unterdrückung. Im englischen Sprachraum wird der Begriff heutzutage oft im Zusammenhang mit politischen Diskussionen über Ungleichheit gegenüber Minderheiten verwendet und zum Teil mit der liberalen, oft „linken“ Seite des politischen Spektrums assoziiert.
Die Intention der finnischen Studie war es, eine Skala für die Beurteilung kritischer Einstellungen zur sozialen Gerechtigkeit zu entwickeln (critical social justice attitudes, CSJA), um die Prävalenz dieser sehr subjektiven und gegenüber Vorurteilen sehr empfänglichen Denkarten besser quantifizieren zu können. In einer Pilotstudie (n = 848) und einer Validierungsstudie (n = 5.030) wurden 26 Feststellungen aufgelistet, die von den Teilnehmern mit einer stufenweisen Skala von 1 bis 5 als widersprechend bis zustimmend beantwortet werden konnten. Hier drei Beispiele:
Gleichzeitig wurden Werte für Happiness und Quality of Life (Helliwell), Depression (Frage nach Depressionssymptomen) und Ängstlichkeit (GAD-7) erhoben und neben demografischen Daten auch die politische Einstellung – Wahlverhalten in 5 Stufen von „links“ bis „rechts“ – erfragt. Das mittlere Alter der Teilnehmer der Validierungsstudie war 41 Jahre (15–84), die Geschlechterverteilung wie folgt: 52,4 % Männer, 42 % Frauen, 2,4 % Menschen mit andrem Geschlecht und 3,3 % ohne geschlechtliche Zuordnung. Zudem hatten 59 % der Teilnehmer einen Hochschulabschluss.
Es ging dem Team in Finnland im Wesentlichen um die Erstellung und Validierung eines quantifizierbaren Fragebogens, einschließlich dessen Validierung, Reliabilität und Qualität. So korrelierte die Selbsteinschätzung als „woke“ sehr gut mit dem per Fragebogen ermittelten CSJA-Score (Korrelationskoeffizient (r) = 0,7).
Frauen hatten einen etwa zweimal so hohen CSJA-Score wie Männer (2,13 vs. 1,03). Außerdem fanden sich Korrelationen des CSJA-Score mit Ängstlichkeit (r = 0,17–0,28), Depression (r = 0,13–0,24), und mit fehlender Glücklichkeit („Happiness“) (r = 0,06–0,14). Diese Korrelationen waren ausgeprägter im politisch „linken“ Spektrum. Zudem gaben Personen in der oberen Hälfte der CSJA-Scores (>1,5; also mehr woke) eher an, in einer guten sozioökonomischen Lage zu sein.
Die Korrelationskoeffizienten waren nicht besonders hoch, und die untersuchte Population war möglicherweise wenig repräsentativ für die finnische Gesamtbevölkerung, setzte sie sich doch überwiegend aus Akademikern zusammen. Auch die Bereitschaft, an einer Untersuchung zu „woken“ Grundeinstellungen teilzunehmen könnte schon zu einer verzerrten Vorauswahl geführt haben. Insofern sind die absoluten Scores weniger aussagekräftig als die beobachteten Unterschiede und Korrelationen innerhalb dieser Population.
Es steht aber nunmehr ein quantifizierbarer Fragebogen (in finnisch und englisch) zur Verfügung, um das Thema Critical Social Justice Attitude (CSJA, vereinfacht „wokeness“) zu untersuchen. Es scheint so, als ob woke Personen eher depressiv, ängstlich und unglücklich seien, als Leute mit einer weniger woken Grundeinstellung. Gleichzeitig scheinen woke Personen finanziell gut ausgestattet zu sein, sodass sie sich Sorgen um das Wohl anderer, ggf. Benachteiligter, machen können.
Wie so oft bei einfachen Korrelationen, lässt einen das Ergebnis bezüglich der Kausalität im Dunkeln. Woke sein und deshalb ängstlich oder Angst oder Depression haben und infolgedessen woke werden – das bleibt weiterhin unbeantwortet. Ungeklärte Kausaliätsfragen beantwortet man gerne mit Interventionsstudien, was in diesem Fall kaum machbar wäre.
Bildquelle: engin akyurt, Unsplash