Bei Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis bleibt Ärzten oft nur die Ersatztherapie mit Schilddrüsenhormonen. Doch seit Jahren ist auch Selen im Gespräch. Wie ist der aktuelle Stand?
Die Hashimoto-Thyreoiditis, neben Morbus Basedow auch eine Autoimmun-Erkrankung der Schilddrüse, gilt als häufigste Ursache für eine Hypothyreose bei Erwachsenen. Patienten erhalten dauerhaft Levothyroxin, sollte es nachweislich zum Hormonmangel kommen.
Doch das Interesse an präventiven Maßnahmen wächst. Forscher haben in Studien bereits zahlreiche Supplemente untersucht, allen voran Selen. Ähnlich wie bei Jod variiert die Selenzufuhr je nach Region stark. Fleisch und Meeresfrüchte sind häufige Selenquellen, gefolgt von Muskelfleisch und Getreide. Als Referenzwert nennt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) 70 µg pro Tag für Männer bzw. für Jungen ab 15 Jahren. Für Mädchen ab 15 Jahren bzw. für Frauen sind es 60 µg pro Tag. Solche Werte würden laut Valentina V. Huwiler vom Universitätsspital Bern und Kollegen in Europa nicht immer erreicht.
Viele Schilddrüsenenzyme sind Selenoproteine, die unter anderem oxidativen Stress in der Schilddrüse verringern. Und bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse haben Wissenschaftler schon vor einigen Jahren niedrige Selen-Spiegel gefunden. Daraus ist die Vermutung entstanden, dass Selen-Supplemente eine Hypothyreose bei Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis vermeiden oder zumindest abmildern könnten. Bisherige Veröffentlichungen seien nicht schlüssig gewesen, Selen werde daher in Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften bislang nicht berücksichtigt, schreiben die Autoren um Huwiler.
Ziel der neuen Review und Metaanalyse war, die Wirkung einer Selen-Supplementierung auf die Schilddrüsenfunktion zu untersuchen. Als Parameter wählten die Autoren Thyreotropin (TSH), freies und Gesamt-Thyroxin (fT4, tT4), freies und Gesamt-Triiodthyronin (fT3, tT3), Schilddrüsenperoxidase-Antikörper (TPOAb), Thyreoglobulin-Antikörper (TGAb) und Thyreotropin-Rezeptor-Antikörper (TRAb). Sie überprüften 687 Datensätze und schlossen 35 Studien ein.
Ihre Metaanalyse ergab, dass eine Selensupplementierung den TSH-Wert bei Patienten ohne bisherige Hormonsupplementation verringert. Darüber hinaus sanken TPOAb und Malondialdehyd bei Patienten mit und ohne Gabe von Schilddrüsenhormonen. Unerwünschte Effekte waren zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe vergleichbar. Bei fT4, T4, fT3, T3, TGAb, beim Schilddrüsenvolumen, bei Interleukin (IL)-2 und IL-10 fanden die Wissenschaftler keine Effekte des Selens. Ihr Fazit: „In der klinischen Praxis erwies sich eine Selensupplementierung als vielversprechend zur Senkung des TSH-Spiegels, insbesondere bei euthyreoten Patienten und bei subklinisch hypothyreoten Patienten ohne bisherige Hormonsupplementation.“ Darüber hinaus scheint eine Selensupplementierung eine positive Wirkung auf TPOAb-Spiegel zu haben, obwohl die klinische Relevanz in Folgestudien zu untersuchen sei.
Wie relevant sind die Ergebnisse für die Praxis? Prof. Helmut Schatz (Bochum), Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, auf Anfrage: „Seit 20 bis 30 Jahren werden Selen-Supplemente kontrovers diskutiert. Dass Selen eine Rolle im Schilddrüsenstoffwechsel spielt, ist ohne Zweifel und durch zahlreiche Arbeiten bewiesen.“ Auch die aktuelle Veröffentlichung zeige, dass Immunparameter verbessert würden. „Dass Selen aber klinisch einen Nutzen bringt, konnte nicht belegt werden.“
Als Schwäche erwähnen die Autoren, es gebe kaum verlässliche Angaben zum Selenspiegel der Studienteilnehmer zu Studienbeginn bzw. im Verlauf. Eine Supplementation könne bei nachweislichem Selenmangel sinnvoll sein, meint Schatz. „Mehr als die in Nahrungsergänzungsmitteln meist angebotenen 200 µg sollen pro Tag nicht überschritten werden, da Selen dann toxisch wirken kann.“ Offen bleibt, wie häufig ein Selenmangel in Deutschland auftritt. „Mir sind keine großen Bevölkerungsstudien über die Selenversorgung bei uns bekannt bzw. wo ein Selenmangel vorliegen könnte, wohl aber in südostasiatischen Regionen wie etwa in China“, sagt der Experte.
Bildquelle: processingly, Unsplash