Mädchen und Jungen kommen immer früher in die Pubertät. Was sind die Ursachen – und wann muss man therapieren?
Schon seit Jahrzehnten berichten Mediziner über eine immer früher einsetzende Pubertät. Nun wurde mit der Coronapandemie eine deutliche Zunahme dieses Phänomens registriert. „Es wurden 20 bis 30 % mehr Fälle verfrühter Pubertät erfasst“, meint Prof. Bettina Gohlke von der Universitätskinderklinik Bonn. Der Anstieg sei weltweit aufgefallen, entsprechende Daten gebe es aus Europa, den USA und China.
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Gohlke hat festgestellt, dass das durchschnittliche Alter der Mädchen beim Pubertätsbeginn seit den 1970er-Jahren um etwa drei Monate pro Jahrzehnt gesunken ist. Bei Jungen ist eine ähnliche Entwicklung zu verzeichnen. Das Lebensalter, mit dem die Pubertät zu Ende ging, verschob sich in den vergangenen 50 Jahren nicht. Damit dauert die Pubertät also im Mittel länger als früher. Wenig verändert hat sich das durchschnittliche Alter bei der Menarche.
Die Chronologie der normalen weiblichen Pubertät beginnt mit der Schambehaarung (Pubarche) ab 8–13 Jahren. Die Entwicklung der Brust (Thelarche) setzt zwischen 9 und 14 Jahren ein. Etwa zwei Jahre nach der Thelarche kommt es zur ersten Menstruation (Menarche), die gewöhnlich zwischen 11,5 und 15 Jahren auftritt. Der Pubertätswachstumsschub beginnt vor der Menarche mit ca. 11 bis 14,5 Jahren.
Bei Jungen vergrößern sich zunächst Hoden und Hodensack, gefolgt von einer Verlängerung des Penis. Scham- und Achselhaare wachsen, begleitet von Stimmbruch und Wachstumsschub. Unterteilt werden die verschiedenen Pubertätsstadien-Stadien nach der Tanner-Klassifikation.
Endokrinologen sehen prinzipiell eine genetische Komponente, die den entsprechenden Startschuss für die Hormonausschüttung gibt. Oftmals wird ein familiär gehäuftes Auftreten für eine frühe Pubertät beobachtet.
Eine entscheidende Rolle für eine immer früher startende Pubertät scheinen Ernährungsfaktoren zu spielen. Der Hamburger Endokrinologe Prof. Stephan Petersenn sieht das zunehmende Übergewicht in der Adoleszenz als Ursache an. Im Fettgewebe wird vermehrt der Botenstoff Leptin gebildet, der die Pubertät beschleunigt. Je adipöser ein Kind, desto früher setzen Pubertätsmerkmale ein. Der gestiegene Lebensstandard begünstigt dieses Phänomen. Auch treffe eine verfrühte Pubertät Kinder aus sozial schwächeren Familien anteilig häufiger, denn falsche Ernährungsgewohnheiten verursachen Übergewicht. „Gesundheit hängt von sozialem Status und Bildung ab, das zeigt sich auch hier“, meint Prof. Günter Stalla, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Experten sehen neben Ernährungsgewohnheiten und Adipositas auch die Zunahme hormonell wirkender Substanzen in der Umwelt, denen Kinder zunehmend ausgesetzt sind.
Weiterhin könnte die Coronapandemie aus zweierlei Gründen für einen immer früheren Pubertätsbeginn gesorgt haben: Viele Kinder haben sich während der Pandemie weniger bewegt bei gleicher oder höherer Nahrungsmittelaufnahme. Aus früheren Studien ist zudem bekannt, dass eine höhere psychosoziale Belastungen Kinder in jüngeren Jahren körperlich reifen lässt. „Aber auch, wenn das Gewicht herausgerechnet wurde, blieb ein Plus an Fällen von Pubertas praecox“, so Gohlke. „Vermutlich handelt es sich um einen multifaktoriellen Effekt.“ Unklar sei bisher, ob sich das mit dem Ende der Pandemie wieder verflüchtige.
Eine deutlich verfrühte Pubertät wird als Pubertas praecox bezeichnet. Dies ist der Fall, wenn die äußeren Sexualmerkmale bei Mädchen vor dem vollendeten 8. Lebensjahr auftreten, bei Jungen vor dem vollendeten 9. Lebensjahr. Man unterscheidet eine zentrale Pubertas praecox vera (GnRH-abhängige Form), von einer Pseudopubertas praecox (GnRH-unabhängige Form).
Die Pubertas praecox vera wird durch eine vorzeitige Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse ausgelöst und hat eine geschätzte Häufigkeit von 1:5.000 bis zu 1:10.000. Bei Mädchen kommt sie 5- bis 10-mal häufiger vor als bei Jungen. Bei 80 % der Mädchen und bei 40 % der Jungen finden sich keine organischen Ursachen (idiopathische Pubertas praecox vera). Bei Jungen sind hirnorganische Gründe, etwa ein Tumor der Hypophyse, häufiger. Auslöser für eine Pseudopubertas praecox können u. a. ein adrenogenitales Syndrom oder hormonbildende Tumore sein. Diagnostisch werden Laborbestimmungen und bildgebende Verfahren angewandt.
Die Therapie der Puertas praecox vera erfolgt mit GnRH-Agonisten. Ist die Knochenreife sehr weit fortgeschritten, ist der Einfluss auf eine normale Körpergröße gering. Bei gegebener Indikation ist daher ein rechtzeitiger Therapiebeginn wichtig. Die Therapie der Pseudopubertas praecox ist ursachenabhängig und kann je nachdem medikamentös oder chirurgisch erfolgen. Therapieziel ist eine normale Körpergröße und psychosexuelle Entwicklung, aber und die Vermeidung von sozialer Stigmatisierung.
Kinder, die vorzeitig in die Pubertät kommen, schießen zunächst rascher in die Höhe. Danach gibt es einen gegenläufigen Prozess und sie bleiben letztendlich kleiner als Kinder, die später in die Pubertät gestartet sind. Sexualhormone, die das Wachstum zunächst beschleunigen, bewirken anschließend eine vorzeitige Schließung der Wachstumsfugen. Neben den körperlichen Folgen können psychische Beeinträchtigungen hinzukommen. Die vorzeitige Pubertät macht die Betroffenen zu Außenseitern. Der Leidensdruck ist oftmals hoch.
Diskutiert werden unter Experten eventuelle Langzeitfolgen, wie ein höheres Risiko für bestimmte Erkrankungen. Gesicherte Erkenntnisse fehlen aber. „Richtig gute Daten zu Langzeitfolgen gibt es nicht“, so Gohlke.
Das Krankheitsbild der Pubertas praecox ist schon lange bekannt. Eine bildgebende und laboranalytische Diagnostik sowie eine frühzeitige Therapie werden empfohlen, um eine normale körperliche und psychosoziale Entwicklung zu ermöglichen.
Neben dieser Störung im frühen Kindesalter ist in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Zunahme im Grenzbereich zur frühnormalen Pubertät zu verzeichnen. Experten machen hierfür, neben genetischen und umweltbedingten Faktoren, insbesondere falsche Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmangel verantwortlich. Auch die Coronapandemie scheint hierbei eine Rolle zu spielen. Präventionsstrategien sind auf gesellschaftlicher und politischer Ebene nötig. Ärztlicherseits können fundierte Aufklärungs- und Vorsorgestrategien, wie etwa in gynäkologische Mädchensprechstunden und jugendmedizinischen Untersuchungen, hilfreich sein.
Quellen:
Gohlke et al. Time trends towards earlier puberty in boys and girls with type 1 diabetes: Insights from the German Diabetes Prospective Follow-up (DPV) registry, 2000 to 2021. Diabetes, Obesity and Metabolism, 2023. doi: 10.1111/dom.15315
Nitsche. Pubertät – Normalität, Normvarianten und Abweichungen. Die Gynäkologie, 2021. https://www.springermedizin.de/der-gynaekologe-9-2021/19639834
S1-Leitlinie Pubertas praecox
Brämswig, Dübbers. Disorders of pubertal development. Deutsches Ärzteblatt International, 2009. doi: 10.3238/arztebl.2009.0295
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