Antiretrovirale Medikamente haben das Leben von Patienten mit HIV-Infektion deutlich verbessert. Eine Heilung ist noch Zukunftsmusik. Latente, „schlummernde“ HI-Viren gelten als Hauptgrund für gescheiterte Versuche zur Eradikation, wie kürzlich beim „Mississippi-Baby“. Das könnte sich mit neuen Wirkstoffen ändern.
Optimistische Töne vom Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (UNAIDS): Im kürzlich vorgestellten Gap-Report präsentieren Experten neue Zahlen. So haben sich laut Angaben von UNAIDS in 2013 schätzungsweise 2,1 Millionen Menschen neu mit dem HI-Virus angesteckt. Das entspricht einem Rückgang von 38 Prozent, gemessen am Vergleichsjahr 2001. Speziell bei Kindern sanken entsprechende Zahlen um 58 Prozent. Aus Ländern mit verlässlicher Datenlage werden teilweise um 50 bis 75 Prozent niedrigere Infektionsraten gemeldet.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Menschen wissen, ob sie HIV-positiv sind. UNAIDS Executive Director Michael Sidibé spricht von Fortschritten in afrikanischen Ländern südlich der Sahara. Dort kennen mittlerweile 86 Prozent aller Infizierten ihren Status, und 76 Prozent erhalten antiretrovirale Medikamente. Christopher J.L. Murray, Seattle, veröffentlichte im Rahmen der Global Burden of Disease Study 2013 sogar um 18 Prozent niedrigere Zahlen als die Organisation UNAIDS. Unterschiede liegen Wissenschaftlern zufolge einerseits in weiteren Datenbeständen und andererseits in der Adjustierung verschiedener Hochrisikogebiete. Bei Anhalten dieser Tendenz erwartet Sidibé, dass die Epidemie bis 2030 von selbst ein Ende nimmt. Vertreter von „Ärzte ohne Grenzen“ äußern sich wesentlich kritischer. Vielerorts blieben Präparate der zweiten beziehungsweise dritten Generation unerschwinglich. Darüber hinaus sei es in Indien, Kenia, Malawi, Südafrika und Simbabwe bislang nicht gelungen, eine routinemäßige Viruslastdiagnostik flächendeckend anzubieten, um die Behandlung gegebenenfalls anzupassen.
Das wäre in doppelter Hinsicht erforderlich: Von einer optimalen Therapie profitieren nicht nur Patienten selbst, sondern auch deren Lebensgefährten, berichtet Alison Rodger, London. Sie wertete Daten der PARTNER-Studie (HIV transmission risk through condomless sex if the HIV postivie partner is on suppressive ART) aus. Im Mittelpunkt standen 1.145 serodiskordante Paare. Davon waren ein Drittel homosexuelle Männer mit einer HIV-positiven beziehungsweise HIV-negativen Person. Hinzu kamen ein Drittel HIV-positive Frauen mit HIV-negativem Partner und ein Drittel infizierte Männer mit HIV-negativer Partnerin. Die Viruslast lag jeweils unter 200 RNA-Kopien pro Milliliter Plasma. Zwischen 84 und 94 Prozent aller Infizierten nahmen antiretrovirale Präparate so ein, dass ihre Adhärenz mehr als 90 Prozent betrug. Bei rund einem ungeschützten Geschlechtsverkehr pro Woche und Paar kam es innerhalb von zwei Jahren zu keiner Übertragung des Virus zwischen Partnern. Solange es bei HIV-Infektionen keine Heilung gibt, lässt sich zumindest das Risiko von Neuinfektionen pharmakologisch minimieren – etwa bei Paaren mit Kinderwunsch. HIV-negative Teilnehmer der PARTNER-Studie infizierten sich jedoch über sexuelle Kontakte außerhalb ihrer Beziehung, was die Forscher molekularbiologisch nachwiesen.
In diesem Fall kann selbst eine frühe Pharmatherapie Virämien nicht verhindern, wie sich beim „Mississippi-Baby“ jetzt gezeigt hat. Die Mutter war HIV-infiziert, was Ärzte aber erst kurz vor ihrer Niederkunft herausfanden – zu spät, um antiretrovirale Medikamente zu geben. Grund genug für Deborah Persaud vom Johns-Hopkins-Krankenhaus in Baltimore, einen Versuch zu wagen. Sie verabreichte dem Neugeborenen bereits im Alter von 30 Stunden geeignete Präparate und führte ihre Behandlung fort, als labordiagnostische Indizien für eine Infektion vorlagen. Etwa 18 Monate später setzte die Mutter weitere Behandlungen gegen den Rat von Ärzten aus. Später lag die Zahl an Viren unterhalb der Nachweisgrenze von 20 Kopien pro Milliliter. Das „Mississippi-Baby“ galt als funktionell geheilt. Kurz vor seinem vierten Geburtstag waren es plötzlich 16.750 Kopien pro Milliliter – und alle Hoffnungen schwanden. Als mögliches Reservoir sehen Wissenschaftler ruhende T-Gedächtniszellen in Lymphgewebe an. Dort integriert sich virales Erbgut nach seiner reversen Transkription in zelluläre DNA. Diese Vermutung stützt sich auf kürzlich veröffentlichte Experimente mit Rhesusaffen. Auch hier gelang es nicht, durch Pharmaka zu verhindern, dass Simian Immunodeficiency-Viren (SIV) Viren ihr Erbgut in Lymphknoten sowie in der gastrointestinalen Mukosa deponieren.
An dieser Stelle setzt Robert F. Siliciano vom Howard Hughes Medical Institute, Baltimore, Maryland, an. Er sucht nach pharmakologischen Optionen, um HIV-Reservoire zu aktivieren. Das könnte mit Wirkstoffen zur Latenzremission gelingen. Entsprechende Moleküle aktivieren latente Erreger in CD4-Zellen, indem sie Histon-Deacetylasen (HDAC) hemmen. Danach schreiten antiretrovirale Medikamenten zur Tat. Jetzt ist dänischen Forschern um Ole S. Søgaard zumindest ein Teilschritt gelungen. Sie haben sechs Patienten mit dem HDAC-Inhibitor Romidepsin behandelt. Tatsächlich kam es zur verstärkten Histon-Acetylierung – und schließlich zur Erhöhung des HIV-Titers. Søgaard konnte nicht klären, ob tatsächlich alle Reservoire „angezapft“ worden sind, hat jedoch einen neuen Schritt in Richtung HIV-Remission aufgezeigt.