Neues aus Schwurbelhausen: Die Mikroimmuntherapie ist der jüngste Auswuchs der Homöopathie. Was sie verspricht und warum sie gefährlich werden kann, lest ihr in unserem Faktencheck.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine Kurzzusammenfassung.
Ziel der sogenannten Mikroimmuntherapie ist, das Immunsystem zu modulieren und zu unterstützen. Patienten erhalten bei dieser Variante der Homöopathie extrem niedrig dosierte immunregulatorische Substanzen als Globuli. Dazu zählen unter anderem Zytokine, Interferone und Wachstumsfaktoren. Sie sollen, so die Theorie, dem Immunsystem Signale geben, um sich zu normalisieren. Der Ansatz geht auf den belgischen Arzt Dr. Maurice Jenaer zurück.
Ein Blick auf mögliche Indikationen: Die Medizinische Gesellschaft für Mikroimmuntherapie nennt Allergien, diverse Entzündungen, Hauterkrankungen, Infektionen, gastrointestinale Erkrankungen, Post-/Long-Covid und sogar Krebs. Doch lässt sich das auch belegen?
Präklinische Modelle, Erfahrungsberichte von Therapeuten und Patienten, Fallberichte oder einarmige Studien reichen nicht aus, um die Evidenz zu bewerten. Wirkliche Aussagekraft haben bekanntlich nur randomisierte kontrollierte Studien (RCT). Recherchen in den üblichen Datenbanken fördern zwei dieser RCTs bei Patienten mit Allergien zu Tage.
Für eine Studie haben Forscher 44 Patienten im Alter von sechs bis 41 Jahren rekrutiert und 1:1 randomisiert. Hier ging es um die Wirkung von 2LALERG® (Labo Life) bei Pollenallergie. Das sublingual anzuwendende Präparat enthält Zytokine und Nukleinsäuren. Die Studie wurde während der stärksten Belastung mit Gräserpollen im Süden Belgiens durchgeführt. Daten von 41 Patienten ließen sich auswerten. Dabei zeigte sich keine signifikante Verbesserung der Beschwerden anhand des Total 5 Symptom Scores (T5SS). Allerdings fanden die Wissenschaftler einen signifikanten Rückgang des Verbrauchs an Medikamenten um 48 % sowie eine Verbesserung des Symptom- und Medikamenten-Scores. Die Anzahl der Tage, an denen keine Antiallergika eingenommen wurden, war unter Verum um 20 % niedriger. Nebenwirkungen sind nicht aufgetreten.
Das deutet auf eine Wirksamkeit hin. Anzumerken ist, dass die Studie nur 41 Personen umfasst. Warum Forscher ihre Datenanalyse auf elf Tage – bei einer mehrmonatigen Pollensaison – eingeschränkt haben, bleibt unklar. Außerdem durften Patienten Antiallergika weiter nehmen. Und laut Tabelle 1 der Veröffentlichung gab es in beiden Studienarmen Unterschiede hinsichtlich des Alters und des Geschlechts der Probanden, was zu Verzerrungen führen kann.
Ergebnisse einer weiteren RCT zum Thema Pollenallergie sind bei Clinical Trials zu finden; sie wurden aber nicht in einer wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert. Forscher haben 102 Probanden 1:1 auf 2LALERG® bzw. Placebo randomisiert. Das Präparat enthält Interleukine, den Tumornekrosefaktor Alpha, den Transforming Growth Factor Beta und Histamin in starker Verdünnung. Hinweise auf einen signifikanten Effekt der Mikroimmuntherapie fanden sie nicht. Auch hier sind demographische Daten der Probanden in beiden Studienarmen unterschiedlich.
Die dritte RCT umfasst 37 Patienten mit Lebermetastasen aufgrund von Primärtumoren unterschiedlicher Lokalisation. Hier untersuchten Ärzte die Wirksamkeit von Zytokinen als Mikroimmuntherapie in Kombination mit dem Salz Kaliumascorbat.
37 Patienten wurden in die Studie aufgenommen. 5 von ihnen lehnten eine Chemotherapie bzw. eine Mikroimmuntherapie ab. Sie kamen in eine Kontrollgruppe mit symptomorientierter Behandlung. Nach einem Jahr lebten noch 33,3 % von ihnen. Die übrigen 32 Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Von allen Teilnehmern der ersten Gruppe (17 Patienten), die sich einer leitliniengerechten Chemotherapie unterzogen, lebten nach einem Jahr noch 35,3 %. In der zweiten Gruppe (15 Patienten) setzten die Forscher auf eine kombinierte Behandlung mit Chemotherapie plus Mikroimmuntherapie. Als Überlebensrate nach einjähriger Therapie geben sie 62,8 % an.
Das klingt zwar gut. Aber auch hier zeigen sich bei genauerer Betrachtung einige Schwächen. Die Kohorte ist vergleichsweise klein. Und Patienten in den Studienarmen hatten laut Tabelle 1 unterschiedliche Primärtumoren; weitere Informationen zum Stadium der Erkrankung, etwa anhand der TNM-Klassifikation bzw. der UICC-Klassifikation, fehlen. Und einen statistischen Beleg, dass es sich nicht um zufällige Effekte gehandelt hat, bleiben die Autoren ebenfalls schuldig.
Es sind noch weitere Studien zu finden, die Mikroimmuntherapien in verschiedenem Kontext untersuchen, etwa bei viralen Infektionen oder bei Warzen:
Ergebnisse wurden bislang nicht publiziert.
Damit bleibt als Fazit: Methodisch hochwertige Studien unterstützen den Einsatz der Mikroimmuntherapie bei unterschiedlichen Erkrankungen derzeit nicht – auch nicht, wie manche Behandler argumentieren, als „Ergänzung zur herkömmlichen Medizin“. Da es sich bei der Mikroimmuntherapie um eine Methode der Homöopathie handelt, gilt auch hier: Es fehlen Belege, die eine Wirksamkeit über den Placeboeffekt hinaus zeigen.
Das Wording suggeriert aber eine vorhandene Evidenz. Patienten könnten die Mikroimmuntherapie mit Immuntherapien verwechseln – nachgewiesene, hochwirksame Behandlungsverfahren, etwa bei Krebs. Gefährlich wird es, wenn Krebs-Patienten auf diese Behandlungen verzichten und stattdessen nur der Mikroimmuntherapie vertrauen – ein bekanntes und ernstzunehmendes Problem der Homöopathie.
Kurzgefasst für Eilige:
Die Mikroimmuntherapie, eine Form der Homöopathie, verwendet sehr niedrig dosierte immunregulatorische Substanzen, um das Immunsystem zu beeinflussen. Obwohl sie bei einer Reihe von Erkrankungen eingesetzt wird, ist die wissenschaftliche Evidenz für ihre Wirksamkeit begrenzt. Einige Studien deuten auf mögliche positive Effekte hin, etwa bei Allergien und in Kombination mit Chemotherapie bei Krebs, doch methodische Mängel und kleine Studiengrößen schränken die Aussagekraft der Ergebnisse ein. Es fehlt an robusten Beweisen, die eine Effektivität über Placeboeffekte hinaus belegen. Kritisch ist die potenzielle Verwechslung mit konventionellen und bewiesenen Therapien wie der Immuntherapie, insbesondere bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs, was zu risikoreichen Entscheidungen von Patienten führen kann.
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