Migräne könnte ein bislang unterschätzter Risikofaktor für einen Schlaganfall sein. Wie hoch das Risiko tatsächlich ist und welche Patienten besonders betroffen sind, lest ihr hier.
Die Schlaganfall-Inzidenz bei Menschen unter 55 Jahren hat in wohlhabenden Ländern über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich zugenommen. Das wurde mit einer Zunahme der traditionellen kardiovaskulären Risikofaktoren in Verbindung gebracht. Bluthochdruck, Rauchen, Übergewicht – diese Zivilisationskrankheiten führen zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Und da diese Risikofaktoren weit verbreitet sind, nahm man an, dass sie für die steigende Schlaganfallrate bei jüngeren Menschen verantwortlich sind. Im Widerspruch dazu wurde jedoch beobachtet, dass auch bei Menschen, bei denen keiner dieser klassischen Risikofaktoren vorliegt, die Schlaganfallrate gestiegen ist. Bei Frauen unter 45 Jahren ist die Schlaganfallrate höher als bei Männern dieser Altersgruppe – obwohl kardiovaskuläre Risikofaktoren bei jüngeren Frauen deutlich seltener sind als bei jüngeren Männern. Es muss also einen anderen Grund für die steigende Zahl an Schlaganfällen geben.
Um bei dieser Frage Licht ins Dunkel zu bringen, haben Wissenschaftler der Universitätsklinik in Colorado, USA, jetzt die Ergebnisse einer Studie in der Fachzeitschrift Circulation: Cardiovascular Quality and Outcomes veröffentlicht. Eingeschlossen wurden dabei mehr als 10.000 Menschen aus einer Datenbank des Bundesstaats Colorado. Es wurden 2.618 Menschen unter 55 Jahren, die einen Schlaganfall erlitten hatten, mit 7.827 Menschen ohne Schlaganfallereignis in einer Fall-Kontroll-Studie verglichen. Die Schlaganfall-Patienten wurden im Verhältnis 1:3 Kontroll-Personen zugeordnet, die bezüglich Alter, Geschlecht und Versicherungsstatus vergleichbar waren. Daraufhin wurden beide Gruppen in Bezug auf das Vorliegen von verschiedenen Schlaganfall-Risikofaktoren verglichen. Die Risikofaktoren wurden dabei in zwei Gruppen eingeteilt: traditionelle und nicht-traditionelle Risikofaktoren. Zu den traditionellen Risikofaktoren wurden unter anderem Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes, Hyperlipidämie und Übergewicht gezählt. Nicht-traditionelle Risikofaktoren waren unter anderem Migräne, Krebserkrankungen, Thrombophilie, Autoimmun- und Herzklappenerkrankungen.
Wenig überraschend waren alle Risikofaktoren bei den Schlaganfall-Patienten häufiger anzutreffen als bei den Kontrollpersonen. Bei den jüngsten der untersuchten Personen (Altersgruppe 18 bis 35 Jahre) waren die nicht-traditionellen Risikofaktoren allerdings häufiger mit einem Schlaganfall assoziiert als die traditionellen Risikofaktoren. Die Bedeutung der nicht-traditionellen Risikofaktoren war in der Altersgruppe von 18 bis 35 Jahren am größten und nahm über die älteren Kohorten schrittweise ab. Insgesamt hielten sich im gesamten Studienkollektiv (Alter 18 bis 55 Jahre) traditionelle und nicht-traditionelle Risikofaktoren die Waage. Der wichtigste traditionelle Risikofaktor war Bluthochdruck. Das überraschendste Ergebnis war, dass sich als wichtigster nicht-traditioneller Risikofaktor die Migräne herausstellte.
In der Altersgruppe von 18 bis 35 Jahren betrug die sogenannte Odds Ratio für Migräne bei Männern 3,9 und bei Frauen 3,3. Das bedeutet, dass Männer mit Migräne ein fast vier Mal so hohes Risiko für einen Schlaganfall haben, als Männer ohne Migräne. Bei den Frauen mit Migräne war die Wahrscheinlichkeit, einen Schlaganfall zu erleiden, gut dreimal so hoch. Die Migräne war damit für 20 % der Schlaganfälle bei Männern und für 35 % der Schlaganfälle bei Frauen verantwortlich. Damit war sie der mit Abstand wichtigste Risikofaktor in dieser Altersgruppe.
Der Zusammenhang zwischen einer Migräne und dem Auftreten von Schlaganfällen in jungem Alter wurde somit erneut nachgewiesen. Auch vor Veröffentlichung der Studie war bekannt, dass eine Migräne mit Aura das Schlaganfallrisiko erhöht, die Stärke des gezeigten Zusammenhangs war jedoch überraschend. In der Studie wurde nicht zwischen Migräne mit und ohne Aura unterschieden, sodass zu vermuten ist, dass auch hier das erhöhte Risiko zum Großteil auf die Migräne mit Aura zurückzuführen ist. Die Migräne mit Aura betrifft zwischen 20 % und 30 % der Migräne-Patienten. Die Symptome einer Aura sind teilweise schwer von Schlaganfall-Symptomen zu unterscheiden. Das ist aufgrund des Zusammenhangs zwischen den beiden Erkrankungen besonders relevant – hier ist eine sorgfältige Untersuchung und diagnostische Aufarbeitung gefragt.
Wie der nachgewiesene Zusammenhang zustande kommt, bleibt auch mit den neuen Ergebnissen unklar. Es gibt verschiedene Hypothesen, wie eine Migräne das Schlaganfallrisiko erhöhen könnte:
Um herauszufinden, welche dieser Hypothesen den Zusammenhang zwischen Migräne und Schlaganfall am besten erklären kann, bedarf es weiterer Forschung. Bis diese Frage geklärt ist, bleibt es schwierig, das Schlaganfallrisiko von an Migräne leidenden Menschen zu senken. Patientinnen, die an einer Migräne mit Aura leiden, sollte von kombinierten hormonellen Kontrazeptiva abgeraten werden. Bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren sollten diese entsprechend konsequent behandelt werden.
Auch wenn die Ergebnisse auf ein bislang unterschätztes Schlaganfallrisiko bei Migräne-Betroffenen hindeuten, bleiben Schlaganfälle in jungem Alter sehr selten – und das auch bei Vorliegen einer Migräne. Das deutlich erhöhte relative Risiko führt aufgrund der niedrigen Grund-Inzidenz nur zu einer geringen zusätzlichen absoluten Zahl an Schlaganfällen. Auch dieser Fakt sollte Betroffenen mitgegeben werden, um nicht unnötig Sorgen und Ängste zu verursachen.
Bildquelle: Elyas Pasaban, Unsplash