Die Lebenserwartung steigt – doch diese positive Entwicklung führt auch dazu, dass sich altersbedingte Erkrankungen wie Demenz häufen. Forscher fanden nun heraus, dass eine Variante des Gens Klotho die Intelligenz erhöhen und den geistigen Verfall im Alter verlangsamen könnte.
Im Jahr 1997 hatten japanische Forscher bereits gezeigt, dass bei Mäusen mit einem Defekt im Klotho-Gen nur nach wenigen Lebenswochen typische Alterskrankheiten wie Arteriosklerose oder Osteoporose auftraten. Im Vergleich zu ihren Artgenossen starben diese Nagetiere auch deutlich früher. Veränderten die Forscher dagegen das Gen derart, dass es vermehrt Proteine ins Blut freigab, so verlangsamte sich der Alterungsprozess und die Lebensspanne der betroffenen Mäuse verlängerte sich um 20 bis 30 Prozent. Dennoch ist bezüglich der Wirkweise noch vieles unklar. Bekannt ist, dass das Klotho-Gen hauptsächlich in Organen vorkommt, die an der Calcium-Homöostase beteiligt sind, z.B. in Nieren oder Nebenschilddrüse. Aber auch in der Hypophyse, Plazenta, Rückenmark oder Skelettmuskulatur konnte man Klotho bereits nachweisen. Das Gen kodiert sowohl für ein membranständiges als auch für ein zirkulierendes Klotho-Protein. Ersteres kann seine extrazelluläre Domäne abtrennen, die so ins Blut und in die Hirnflüssigkeit gelangt. Die freigesetzten Proteine übernehmen unterschiedliche Funktionen. Sie beeinflussen zum Beispiel den Insulin-Signalweg sowie die Signalwege verschiedener Wachstumsfaktoren wie IGF-1 oder Wnt. Experten vermuten, dass das Protein für die Entwicklung und Reifung des Gehirns wichtig ist. Da mit dem Älterwerden die Klotho-Konzentration im Blut sinkt, und parallel auch die kognitiven Funktionen abnehmen, vermutete ein amerikanisches Forscherteam hier einen Zusammenhang.
Mit dem Ziel, den positiven Einfluss des Klotho-Proteins auf die kognitiven Fähigkeiten im Alter nachzuweisen, untersuchten die Forscher Dubal und Mucke eine Variante des Klotho-Gens namens KL-VS, das vermehrt Klotho-Proteine freisetzt. Etwa 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung besitzen neben der normalen Form diese Genvariante im Erbgut. Das genetische Merkmal verlängert die Lebensspanne, da beispielsweise altersbedingte Herzerkrankungen seltener auftreten. Um nun den Einfluss von KL-VS auf die Hirnleistung im Alter zu untersuchen, wertete das Forscherteam drei voneinander unabhängige Studien mit insgesamt mehr als 700 Beteiligten im Alter zwischen 52 und 85 Jahren aus. Keiner der Teilnehmer zeigte Anzeichen für eine Demenz. Die Forscher bewerteten die kognitiven Fähigkeiten der Leute nicht mit formellen Intelligenztests, sondern mithilfe von Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und Sprachtests sowie Versuchen zur räumlichen Orientierung. Das Ergebnis: In allen Gruppen schnitten die Menschen mit einem KL-VS-Gen unabhängig vom Alter, Geschlecht oder der Anwesenheit des Apolipoproteins E4, dem genetischen Hauptrisikofaktor für eine Alzheimer-Demenz, besser ab als ihre Mitstreiter mit normalem Klotho-Gen. Das KL-VS-Gen schützt jedoch nicht davor, dass Gedächtnis und andere Hirnleistungen im Alter nachlassen. Denn sowohl bei den Menschen mit zwei normalen Genformen als auch bei den Teilnehmern mit einem KL-VS-Gen verschlechterten sich mit zunehmendem Alter die Testergebnisse.
Ähnliche Ergebnisse erzielten Dubal und Mucke auch in Tierversuchen. Sie veränderten Mäuse genetisch so, dass auch sie Träger des KL-VS-Gens waren. In anschließenden Orientierungs- und Gedächtnistests schnitten die KL-VS-Mäuse unabhängig von ihrem Alter besser ab als ihre Artgenossen: So fanden sie sich in Labyrinthen besser zurecht oder erzielten doppelt so gute Ergebnisse in Tests zum räumlichen Lernen. Daraufhin untersuchten die Forscher das Hirngewebe der Nagetiere. Im Vergleich zu den Kontrollmäusen fanden sie im Hippocampus, dem Gedächtniszentrum des Gehirns, veränderte glutamatergen Synapsen. Über diese Verbindungsstellen kommunizieren Nervenzellen mit anderen Zellen, indem sie den Neurotransmitter Glutaminsäure ausschütten. Unter anderem bindet dieser an sogenannte NMDA-Rezeptoren der Nachbarzelle. Ein Bestandteil der NMDA-Rezeptoren ist die Untereinheit GluN2B, die an Lernvorgängen und der Gedächtnisbildung beteiligt ist. Im Vergleich zu den genetisch unveränderten Mäusen wiesen die Synapsen der KL-VS-Mäuse mehr GluN2B-Untereinheiten auf. Blockierten die Forscher in einem weiteren Tierversuch diese Untereinheit mit dem Antagonisten Ifenprodil, verschlechterte sich die Lernfähigkeit und Gedächtnisbildung der KL-VS-Tiere.
Noch ist unklar, ob die intelligenzerhöhende Wirkung der KL-VS-Genvariante nur auf einer verstärkten Proteinfreisetzung oder auch auf einer veränderten Aktivität beruht. Auch der Beweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen der verbesserten Gedächtnisleistung, der erhöhten Anzahl an GluN2B-Untereinheiten und der Anwesenheit der KL-VS-Genvariante steht noch aus. Daher ist es fraglich, ob diese Erkenntnisse therapeutisch umgesetzt werden können. Denkbar wäre ein Medikament, das einen Anstieg des Klotho-Proteinspiegels bewirkt, und somit den geistigen Verfall bei Demenzerkrankungen zumindest verlangsamen könnte.