Als Orthopäde fallen mir bei Radfahrern immer wieder die gleichen Fehler auf: Knieprobleme, Rückenschmerzen und Nervenirritationen sehe ich quasi schon in meiner Sprechstunde. Welche Tricks ich meinen Patienten verrate, lest ihr hier.
Nach der Winterpause werden die Fahrräder wieder präpariert oder neue Fahrräder gekauft, und viele Freizeitsportler genießen die Ausfahrt in die Frühlingssonne. Nicht selten beeinträchtigen anschließend Schmerzen am Bewegungsapparat die Freude über die eigene Aktivität. Aber das muss nicht sein – gegen den Schmerz hilft es oft schon, ein weit verbreitetes Missverständnis zu kennen und ein kurzes Setup am Rad vorzunehmen.
Die goldene Regel, so naheliegend wie oft vernachlässigt, ist die optimale Sitzposition: Die Rahmengröße muss zum Körperbau passen und Sattel sowie Lenker sollten individuell eingestellt werden. Die Rahmengröße hängt dabei von den Körperproportionen ab – und nicht wie häufig vermutet nur von der Körpergröße. So benötigen zwei Menschen gleicher Körperlänge, aber mit unterschiedlichen Längenverhältnissen zwischen Beinen und Oberkörper, in der Regel Räder verschiedener Rahmengrößen. Da Sicherheit das wichtigste Kriterium ist, muss man beim Anhalten schnell einen Fuß standfest auf den Boden setzen können, auch wenn man dabei noch auf dem Sattel sitzt. Es empfiehlt sich immer, das richtige Fahrrad individuell in einem Fachgeschäft mit geschultem Personal ermitteln zu lassen.
Dies gilt besonders für die schweren Fahrräder mit unterstützendem Elektromotor, die genau genommen Pedelecs sind, in Deutschland aber meistens E-Bikes genannt werden. Dabei unterstützt der Motor den Radler nur, wenn er in die Pedale tritt. Damit ein Zweirad mit elektrischem Hilfsmotor laut Straßenverkehrsordnung noch als Fahrrad eingestuft wird, ist die Geschwindigkeit des Motors auf 25 km/h begrenzt.
Bereits diese Geschwindigkeit kann ungeübte und besonders ältere Radfahrer überfordern, wodurch ihr Unfall- und Verletzungsrisiko steigt. Im Jahr 2022 ereigneten sich insgesamt 474 tödliche Unfälle mit Radfahrern, davon 208 mit Pedelecs. Dabei erhöhte sich die Unfallhäufigkeit ab einem Alter von 55 Jahren deutlich und erreichte in der Altersgruppe ab 75 Jahren ihr Maximum mit insgesamt 190 tödlich Verunfallten. Auch wenn keine Helmpflicht für Radfahrer besteht, ist das Tragen eines gut passenden Fahrradhelms immer zu empfehlen.
Bei einem Sturz versucht man sich reflexartig mit der Hand abzustützen. Die häufigsten Verletzungen sind neben Prellungen und Schürfungen deshalb Frakturen an Hand- und Schultergelenken sowie am Schlüsselbein und den Rippen. Geraten die Beine zwischen das Fahrradgestänge, kann es auch zu Knieverletzungen oder Unterschenkelfrakturen kommen.
Die meisten Fahrradkäufer bevorzugen ein Tourenrad. Bei der Justierung des Sattels ist zunächst darauf zu achten, dass er genau horizontal eingestellt ist. Die Pedale werden in ihre höchste bzw. niedrigste Position gebracht. Die richtige Sattelhöhe liegt vor, wenn die Ferse im aufrechten Sitz bei gestrecktem Bein auf dem unteren Pedal aufliegt. Getreten wird mit den Fußballen, so dass die Kniegelenke auch im tiefsten Punkt des Fußes noch eine leichte Beugestellung einnehmen. Ist der Sattel zu niedrig eingestellt, sind die Kniegelenke im höchsten Punkt so sehr gebeugt, dass sich der Druck in ihnen erhöht und Schmerzen auslösen kann. Außerdem ist die Kraftübertragung erschwert und die Oberschenkelmuskulatur ermüdet schneller.
Ist der Sattel zu hoch eingestellt, muss man auf ihm seitlich hin- und her rutschen, um in der tiefsten Pedalposition noch Kraft auf die Pedale bringen zu können bzw. den Druckpunkt vom Fußballen nach vorne zu den Zehen zu verlagern. Zudem werden die unteren Bandscheiben durch das seitliche Abkippen des Beckens unphysiologisch belastet und können Schaden erleiden. Sowohl ein zu hoch als auch ein zu niedrig eingestellter Sattel führt zu einer erhöhten Belastung des Gesäßes und zu einer Überlastung der Zehen, die Nervenirritationen auslösen kann.
Die Belastung der Wirbelsäule ist entscheidend von der Lenkerhöhe abhängig. Er sollte aus orthopädischer Sicht eher etwas höher eingestellt werden, besonders wenn längere Zeit nicht mehr Fahrrad gefahren wurde. Dabei ist der Lenker höher als der Sattel zu positionieren. Es entsteht etwa ein 90°-Winkel zwischen Armen und Schultern. Die Sitzposition sollte auf jeden Fall komfortabel sein. Wer verkürzte Rückenmuskeln hat, wird bei zu tiefem Lenker Rückenschmerzen bekommen und auf dem Sattel nach links und rechts rutschen. Erleichterung bringt eine Korrektur des Sattels nach unten und des Lenkers nach oben.
Generell gilt: Je tiefer die Lenkerposition ist, desto runder der Rücken und desto mehr werden BWS und LWS gedehnt. Gleichzeitig muss der Kopf weiter in den Nacken genommen werden, um nach vorne auf die Straße blicken zu können, was zu einer Überstreckung der HWS und Verspannung der Nacken- und Schultermuskulatur führt. Außerdem steigt der Druck auf die Handgelenke und Nervenirritationen mit Kribbelparästhesien können an Händen und Unterarmen ausgelöst werden. Bei derartigen Problemen ist eine höhere Lenkereinstellung vorzunehmen.
Wenn ein Patient mit dem Fahrrad zum Orthopäden in die Sprechstunde kommt und über entsprechende Beschwerden klagt, kann der Orthopäde die Sitzposition bei einer Besichtigung des Fahrrades beurteilen. Im günstigsten Fall wird eine belastende Sitzposition erkannt und korrigiert, indem der Sattel wenige Zentimeter tiefer eingestellt und/oder die Lenkerposition um einige Zentimeter erhöht wird, sodass der Patient wieder beschwerdefrei Rad fahren kann. Besonderheiten der Körperstatur des Patienten und Vorerkrankungen sind immer mit zu berücksichtigen. Je höher die Lenkerstellung, desto größer wird der axiale Druck auf die Bandscheiben, was bei Vorschädigungen beachtet werden sollte. Ungünstig ist das Fahren auf schlechten Wegen, da die Wirbelsäulenbelastung durch Erschütterungen zusätzlich größer wird.
Auch beim Training auf einem Hometrainer oder in einem Fitness-Studio sollten Sattel und Lenker immer optimal eingestellt werden, um Überlastungen zu vermeiden. Eine Unterlassung aus Bequemlichkeit ist nicht gesundheitsförderlich. Auch bei einer kurzfristigen Ausleihe eines Fahrrades sollten immer vor der Abfahrt ein Sicherheitscheck durchgeführt und Sattel- und Lenkerhöhe korrekt eingestellt werden. Für diesen Zweck gibt es kompakte Multifunktionstools, die man mit sich führen sollte, auch z.B. bei Stadtbesichtigungen mit einem Leihrad. Die wenigen Minuten, die eine Einstellung benötigt, können vor längeren gesundheitlichen Beeinträchtigungen schützen. Bei Beachtung vorgenannter Empfehlungen stehen die positiven Effekte für die Gesundheit im Vordergrund. Radfahren ist als Ausdauertraining für das Herz-Kreislauf-System gut geeignet, fördert die Atmung und hat einen günstigen Effekt auf Knie- und Hüftgelenke, die besonders bei Arthrose belastungsarm bewegt werden können.
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