Als Rindertierärztin werde ich öfter mal auf die Massentierhaltung angesprochen. Warum ich sie in Deutschland für sinnvoll halte und warum es mancher Kuh besser geht als manchen Menschen, lest ihr hier.
Ich arbeite als Rindertierärztin in der Milchviehhaltung in Norddeutschland. Letzte Woche schrieb ich bereits über die Gründe, warum ich meinen Beruf so liebe. Heute möchte ich noch ein bisschen genauer auf einige Aspekte eingehen, die oft von Kritikern zur Rinderhaltung in Deutschland vorgebracht werden.
Ich kenne es gar nicht anders als dass die Flächen, auf denen für den menschlichen Verzehr nichts Sinnvolles wächst (ich persönlich tue mich mit der Verdauung von Gras deutlich schwerer als ein Wiederkäuer), für die Haltung von Rindern genutzt wird. Gras wächst auch auf solchem Boden, der sich wirklich nicht dazu überreden lässt, Getreide in Brot-Qualität zu produzieren, quasi von alleine. Dazu kommt, dass der Dung von Tieren in einer gesunden Kreislaufwirtschaft einfach das Beste für den Boden ist. Auch der veganste Kürbis wächst nicht „einfach so“ – im Garten kann ich mit Kompost was erreichen, effizienter wird’s aber auf großen Flächen mit Mist!
Warum muss es denn immer noch effizienter werden?
Erstens: Wir werden immer mehr Menschen auf der Welt. Und in vielen Regionen, in denen die Bevölkerung besonders stark wächst, wachsen Lebensmittel nicht besonders gut. Ja, es ist diskutabel, ob „wir“ „die“ denn miternähren müssen. Fakt ist aber, wir könnten. Wir haben alles: den Boden, das Wasser, das Know-How. Ich habe keine Lösung dafür ... Ich sag ja nur.
Zweitens: effizienter heißt weniger CO2-Fußabdruck. Und Methan. Auch wenn Methan nicht so schlimm ist, wie alle sagen. Denn es wird als Kreislauf wieder in pflanzlichen Aufwuchs eingebaut. Bekanntermaßen ist CO2 das Problem, denn es ist eine Einbahnstraße. Einmal bei der Verbrennung fossiler Antriebsstoffe verbraten, ist es in der Atmosphäre und bleibt auch da. Es ist nicht abbaubar, und das ist dumm. Zwei Gedanken zu Methan: Methan war, solange es Rinder gab, schon immer da. Der Bestand an Rindern ist ziemlich konstant, damit auch die Methanmenge. Und eine Kuh, die 50 Liter Milch gibt, produziert viel weniger Methan als zwei Kühe, die jeweils 25 Liter Milch produzieren.
Kleiner Exkurs: Die Kuh gibt keine Milch. Vor einiger Zeit habe ich eine Geschichte gelesen, in der es um einen Landwirt und seine Kinder ging. Sobald sie 12 Jahre alt wurden, sollten sie das Geheimnis des Lebens erfahren. Als der Älteste 12 war, erzählte ihm der Vater das Geheimnis: Eine Kuh gibt keine Milch. Du musst sie dir erarbeiten. Du musst deine Kuh füttern, du musst das Land pflegen, auf dem ihr Futter wächst, es ernten und einlagern, ihr täglich frisch anbieten. Wasser und ein sauberes Lager aus Stroh bereitstellen und dich gut um sie kümmern. Den Stall ausmisten. Du musst jeden Tag früh aufstehen und die Kuh melken. Denn von sich aus gibt die Kuh keine Milch.
Quelle unbekannt. Mich hat an dieser Geschichte bewegt, dass damit die alte Bauernweisheit „von nichts kommt nichts“ und ihr Bezug auf das Tier und die Arbeit in der Landwirtschaft plastisch wird. Diese Geschichte wird in der Landwirtschaft nicht erklärt, sondern vorgelebt.
Der Erhaltungsbedarf für eine durchschnittliche Milchkuh von 680 Kilogramm Lebendgewicht ist derselbe, egal welches Produktionslevel. Da Leistung (ob Tageszunahmen für die Fleischproduktion oder tägliche Milchleistung) ein Produkt von Gesundheit ist, ist eine hohe Leistung auch in dem Bereich ein gutes Zeichen.
Die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch braucht 150 Liter Wasser. Das ist krass. Schön ist, dass es in Norddeutschland viel regnet und das meiste Produktionswasser für das Wachstum der Pflanzen benötigt wird. Also „grünes Wasser”. Die Situation sähe und sieht in anderen Regionen der Welt ganz anders aus.
Und was ist mit Profit? Die Landwirte haben immer größere Traktoren und jammern noch? Da stimmt doch was nicht?! Tatsächlich stimmt hier was nicht, denn es ist ein einfaches Rechenbeispiel. Es geht um die Gewinnmargen. Die Erzeugerpreise für Milch sind in den letzten 40 Jahren fast unverändert geblieben. Das bedeutet, der landwirtschaftliche Betrieb bekommt trotz Inflation, gestiegener Löhne und steigender Preise für Diesel genau die 40 Cent für einen Liter Milch, die er 1980 als 75 Pfennig bekommen hat. Da auch Landwirte berechtigterweise nicht 62 % schlechter als 1980 leben wollen – das ist der Kaufkraftverlust seitdem – bleibt nur eins: effizienter produzieren.
Aus dem, was man hat, mehr erwirtschaften. Das bedeutet, nicht wie 1980 mit dem Standardtraktor der damaligen Zeit mehrere Tage lang das Gras der Wiesen mähen, mehrere Tage brauchen, um es einzusilieren und damit zu konservieren. Die langen Liegezeiten führen zu Schimmel und anderen Verlusten, die die Produktion vermindern. Es braucht einen größeren Traktor, mit dem das alles schneller geht: mehr PS, breiteres Mähwerk, usw. Mehr Gewicht auf dem Silo beim Verdichten des Ernteguts bedeutet weniger Sauerstoff und das bedeutet weniger Verluste. Wachsen oder weichen. Die Zahl der Betriebe sinkt kontinuierlich, die Zahl der Kühe fast nicht. Auf Deutsch: Die kleinen hören auf, weil es nicht zum Überleben reicht.
Stichwort Verluste: Wie lässt sich der Luxus messen? Natürlich geht es nicht nur um die Abwesenheit von Krankheiten oder pathologischen körperlichen Veränderungen wie Scheuerstellen. Sowas wäre ja ein sehr eindeutiges Zeichen für eine Minderleistung, die sich aufgrund der o.g. Margensituation niemand mehr leisten kann. Und ja: Natürlich gibt es schwarze Schafe, wie in jedem Beruf. Es gibt auch Lehrer oder Polizisten, die für den Beruf gänzlich ungeeignet sind.
Bezüglich der Verluste liegt es also im eigenen Interesse des Milchviehbetriebes, das Wohlbefinden messbar zu machen. Dazu kann man beispielsweise Cortisolspiegel im Blut oder Kot bestimmen. Durch den im vorigen Satz genannten Zwang ist die Datengrundlage nicht auf Cortisol beschränkt und belastbar.
So ist bekannt, wie viele Artgenossen Rinder erkennen und sich merken können. Oder welchen Einfluss Musik oder das Temperament des Melkers auf die Tiere hat, oder die Außentemperaturen, das Platz- und Wasserangebot oder die Kuhbürste. In Norddeutschland leben die meisten Kühe in einem Boxenlaufstall, sie können den ganzen Tag ihre Aktivitäten selbst wählen und bekommen zu jeder Tages- und Nachtzeit dasselbe gute Futter. Sensoren messen die Qualität der Verdauung und Kühe werden zu dem Glück gezwungen, das Menschen, die abends auf der Couch Cola trinken und Chips essen, verwehrt bleibt.
Es gibt etliche große Studien und einzelbetriebliche Daten, um auch den besten Betrieb noch besser machen zu können. Die Tierärzteschaft ist inhomogen und unterschiedlich spezialisiert, sodass die Beratungsangebote für Herdengesundheit dünn sind. Es gibt sie aber, ebenso wie das schon vorhandene Wissen auf den Betrieben (notgedrungen) immer mehr wird.
Dennoch denke ich, dass bei einer Diskussion auf Augenhöhe jede Praxis ihren Beitrag leisten kann. Menschen haben Gründe für ihr Verhalten und mögen Wertschätzung in der Kommunikation. Es geht nicht um bio vs. konventionell oder vegan vs. omnivor. Die Welt ist nicht schwarz-weiß, sondern eine Skala! Wir können alle nur voneinander lernen.
Quellen:
Prof. Mitlöhner University of California, Davis: 5 Minuten über Methan
Grünes, graues und blaues Wasser
Zahlen Milchkuhhaltender Betriebe
Kaufkraftverlust
Tierwohl messen
Bildquelle: Oriol Pascual, Unsplash