Ob Schüßler-Salze, Bach-Blüten oder Basenpulver; es gibt nichts, was die Kundin nicht regelmäßig kauft. Doch irgendwann erzählt sie mir, sie hätte sich aus Versehen vergiftet. Da muss ich ihr erstmal etwas vorrechnen.
Eine Kundin, die sich von homöopathischen Globuli zu ernähren scheint und sich sogar extra Hochpotenzen herstellen lässt, meinte im Gespräch zu mir, sie habe ein Problem.
Dass sie grundsätzlich ein Problem hat, kam jetzt nicht überraschend. Schließlich verschwendet sie Unmengen an Geld für Unmengen an Mittelchen, welche allesamt keine Wirkung aufweisen können, die über den Placeboeffekt hinausgeht. Ob Homöopathie, Schüssler-Salze, Bach-Blüten, anthroposophische Medizin, Basenpulver; es gibt nichts, was sie nicht regelmäßig kauft.
Dennoch war ich gespannt, worauf ihre Aussage hinauslaufen würde.
„Ich habe mich vergiftet!”
Mein erster Gedanke war, dass sie doch jetzt nicht etwa ausgerechnet von mir etwas zum Entgiften haben möchte. Denn dass sie sich nicht ernsthaft vergiftet hatte, war mir eigentlich sofort klar.
„Ich habe einen Teelöffel Aconit Schmerzöl eingenommen und habe davon Bauchschmerzen bekommen.”
Aconit Schmerzöl ist ein anthroposophisches Präparat und wie erwähnt, haben diese in der Regel keine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht. Allerdings wird dieses Öl nicht eingenommen, sondern dazu verwendet, um schmerzende Stellen einzureiben. So soll es Muskel- und Gelenkbeschwerden lindern und Verspannungen lösen. Es enthält Eisenhut und Quarz, jeweils in einer D9-Potenz. Zudem ist Kampfer, Lavendelöl und Erdnussöl enthalten.
Laut dem Hersteller wird „für diese vielschichtige Komposition ganz bewusst ein pflanzliches Öl als Grundlage [gewählt]. Denn Öle sind konzentrierte Sonnenkraft. Sie können Wärme besonders gut vermitteln und zeigen durch die flüssige Konsistenz ihre natürliche Beweglichkeit. Im Zusammenspiel mit den Bewegungen, die Sie beim Auftragen ausführen, regen sie den Körper an, selbst Wärme zu bilden, zu verteilen und Erstarrungen zu lösen. So umgibt Sie das […] Aconit Schmerzöl mit einer herrlich wärmenden Schutzhülle.”
Bitte jetzt zum Weiterlesen die verdrehten Augen wieder zurückdrehen. Danke.
Da das Öl Kampfer enthält und somit eine durchblutungsfördernde Wirkung aufweist, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass es bei einer schmerzenden Schulter angenehm wirken könnte. Allerdings leistet der giftige Eisenhut in einer D9-Potenz dazu keinen Beitrag, ebenso wenig der Quarz.
Ich erklärte ihr also, dass die Bauchschmerzen sehr wahrscheinlich vom Kampfer kommen. Ich rechnete ihr sogar vor, dass der Eisenhut darin praktisch nicht existent ist:
In 10 Gramm (11 Milliliter) des Öls befindet sich ein Gramm des Eisenhuts in einer D9 Potenz – eine Verdünnung im Verhältnis 1:1.000.000.000. Das heißt, ein Gramm Eisenhut D9 entspricht 0,000000001 Gramm reinen Eisenhuts, die sich in den 11 Millilitern des Öls befinden. Das Volumen eines Teelöffels entspricht ca. 5 Milliliter. Der Einfachheit gehen wir mal von 5,5 Millilitern aus. Sie nahm also 0,0000000005 Gramm Eisenhut zu sich.
Giftig im Eisenhut sind die Diterpen-Alkaloide, wie zum Beispiel das Aconitin. Pflanzliche Chemie. Wie hoch davon die Konzentration in der geringen Menge Eisenhut ist, die sie zu sich genommen hat, ist natürlich unbekannt. Die letale Dosis von Aconitin wird bei Mäusen (LD50 Maus) mit 0,166 mg/kg angegeben. Die LD50 gibt die Menge eines Schadstoffes an, bei der innerhalb einer bestimmten Zeit im Tierversuch die Hälfte der Versuchstiere (50 Prozent) stirbt. Je niedriger der LD50-Wert, desto giftiger ist ein Stoff.
Würde man die LD50 auf den Menschen übertragen, dann wären das auf ein Körpergewicht von 60 Kilogramm bezogen rund 10 Milligramm Aconitin, die sie zu sich nehmen müsste, um die LD50 zu erreichen. Da sie aber nur 0,0000005 Milligramm Eisenhut zu sich nahm, in dem dann noch viel weniger Aconitin enthalten war, ist deshalb alles nur halb so schlimm.
Ich hatte gehofft, dass meine kleine Rechnung — nicht so ausführlich wie hier — ihr mal etwas die Augen in Bezug auf die Homöopathie öffnen würde. Aber ein paar Tage später war sie wieder in der Apotheke und kaufte ihre Globuli in einer C30 Potenz. Was soll ich sagen? Manche Menschen lassen sich einfach nicht von ihren falschen Vorstellungen abbringen.
Ich fragte sie, was aus ihrer Vergiftung geworden sei und ob es ihr nun besser gehe. Sie erzählte mir, sie habe drei Tage lang Bauchschmerzen gehabt und erklärte mir diesmal auch, wie es überhaupt dazu kommen konnte:
„Ich habe die Flaschen verwechselt und wollte eigentlich mit Schwarzkümmelöl ölziehen. Dazu spült man den Mund mit Öl aus, um die ganzen Giftstoffe herauszuziehen. Das Aconit Schmerzöl wurde dann gleich von der Mundschleimhaut aufgenommen. Deshalb ging es mir so schlecht.“
Äh, ja. Natürlich.
Bildquelle: Timothy Dykes, Unsplash