Der beißende Geruch von Pfefferspray liegt noch in der Luft. Eine Apothekerin muss mit starker Atemnot ins Krankenhaus. Der Angreifer konnte nur mit Mühe vor die Tür getrieben werden. Doch was wollte er?
Es ist ein gewöhnlicher Nachmittag in der Warder-Apotheke in Heiligenhafen, Schleswig-Holstein. Martina Laudien und ihre Kolleginnen versorgen die Bürger in dem beschaulichen Ostsee-Urlaubsort seit Jahren ohne nennenswerte Zwischen- oder Überfälle.
Auch an diesem Tag lief alles routiniert ab als ein Herr in die Apotheke kam. „Er kam hinein und gab meiner Kollegin einen Token für ein Medikament. Diese hat dann festgestellt, dass es um Omeprazol in einer Dosierung von 40 mg ging und dieses zu dem Zeitpunkt nicht lieferbar und zu bekommen war. Nachdem sie ihm das erklärt hatte, ist er ausgerastet und ausfallend geworden noch bevor die Kollegin in die eigentliche Routine übergehen und ihm einen Ersatz anbieten konnte. Wenn jemand so aggressiv vor einem steht und man bedroht wird und man solche Situationen nicht gewohnt ist, verhält man sich anders als im Alltag“, erinnert sich Martina Laudien.
Was den Apothekerinnen in Heiligenhafen zum Verhängnis wurde, ist ein allgemeines und in der Politik erkanntes Problem: Eine in Teilen unzureichende Bevorratung und Versorgung mit Medikamenten. Ob Antibiotika, Diabetes- und Krebs-Medikamente oder Kinderarznei allgemein – die Liste an schwer erhältlichen Medikamenten ist lang. Konkret stehen derzeit 452 Lieferengpässe auf der Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die entweder teilweise oder in Gänze nicht lieferbar sind. Die Ursachen können laut Bundesinstitut dabei mannigfaltig sein und an unterschiedlichen Stellen der Lieferkette auftreten. Am häufigsten werden unerwartet hohe Nachfrage, unzureichende Produktionskapazitäten und Probleme bei der Herstellung als Ursachen genannt.
Und doch muss im Normalfall niemand in Deutschland Angst haben, nicht medikamentös versorgt werden zu können (DocCheck berichtete). Einerseits soll das Gesetz mit dem leicht zu merkenden Namen Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz dem einen Riegel vorschiebe und Abhilfe schaffen – immerhin steht nach dem Entschließungsantrag einiger Länder aktuell eine erneute Verbesserung an, die insbesondere kurzfristige Engpässe besser bekämpfen soll. Zum anderen ist auch die Auswahl an Generika, die im Zweifelsfall alternativ angeboten werden können, verhältnismäßig groß.
Genau dieses Wissen um mögliche andere Präparate hatten selbstverständlich auch die Apothekerinnen aus Heiligenhafen. „Meine Mitarbeiter sind alle geschult und alte Hasen in dem Beruf – wir wissen was zu tun ist, wenn jemand sein eigentliches Medikament nicht bekommen kann. Wir haben alle Alternativen und Beratungsmöglichkeiten routiniert im Kopf, aber das muss man in einer solchen Situation auch erstmal abspulen. Das ist leicht aus dem warmen Kämmerlein gesagt, was man tun würde und könnte – aber man muss in die Situation erst einmal kommen“, erklärt Laudien und beschreibt, wie die Ausnahmesituation weiterging:
„Nachdem wir den Mann des Ladens verwiesen haben und er dennoch nicht gehen wollte, konnten wir ihn nur mit Hilfe des Imbissbudenbesitzers von gegenüber, der das mittlerweile mitbekommen hatte, aus dem Laden bekommen. Mit Schubsen und Rempeln ist er dann aus der Offizin gebracht worden – hat sich dann kurz vorher aber noch einmal umgedreht und mit einem Pfefferspray drei Mal in den Verkaufsraum gesprüht.“
Dass der Mann zu dem Zeitpunkt sein Glück bereits in anderen Apotheken im Umkreis versucht hatte und Absagen für Omeprazol bekommen hatte, wusste Laudien ebenso wenig wie die Tatsache, dass er bereits alkoholisiert war und es sich um eine schwierige und in der Drogenszene bekannte Person handelte – etwas geändert hätte das Wissen vermutlich auch nichts, da man mit solchen Angriffen nicht rechnet.
Als Konsequenz aus dem Vorfall nehmen die Apothekerinnen in erster Linie mehr Feinfühligkeit für Situationen und Personen mit. Dass man sich bewaffnen müsse, wie es einiger ihrer Kollegen tun, sieht Laudien nicht als notwendig. Auch einen Sicherheitsdienst werde sie nicht engagieren – habe sie in den vergangenen Jahren ohnehin nur zweimal von vergleichbaren Vorfällen in der gesamten Region gehört. „Ich glaube, dass es in dieser Form einmalig war und nicht nochmal so eskaliert.“
Immerhin, so bescheinigt sie den Kunden in ihrer Region, nehmen die Menschen die Mangelzustände mit Fassung – auch wenn Apotheker den Frust oftmals zuerst zu spüren bekommen: „Insgesamt ist es in den letzten Jahren aber nicht dramatisch schlechter geworden, was den Umgang mit Kunden betrifft – auch den teilweise stark zunehmenden Lieferengpässen zum Trotz. So kann ich auch nicht sagen, dass es vermehrt zu solchen Vorfällen kam. Bei uns ist das Pflaster nicht heiß genug dafür.“ Doch weiß sie auch, dass sie da nicht für ihre Kollegen in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Köln sprechen kann.
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