Offene Beine sind seine Mission. Ltd. Arzt Ullrich P. Katz berichtet in einem Kurz-Interview von seinen spannendsten Fällen, größten Erfolgen, aber auch niederschmetternden Erfahrungen. Kontroverse Meinungen zur modernen Wundheilung werden dabei thematisiert.
In seiner 1992 erbauten Klinik am Ruhrpark Bochum hat Ltd. Arzt Ullrich P. Katz schon viele Fälle des Ulcus cruris gesehen und behandelt. Eine Vielzahl dieser Fälle war bereits von anderen Krankenhäusern als „unheilbar“ abgeschrieben worden, die den letzten Ausweg in der Amputation sahen. Den steinigen Weg der kontinuierlichen Besserungen zeigt uns Dr. Katz in seinen Kongressvorträgen und Bilderserien. Aber nicht immer führen die oftmals über Jahrzehnte andauernden Behandlungen zum ersehnten Erfolg. Auch Rückschläge haben Patient und betreuender Arzt schon einstecken müssen. DocCheck: Herr Dr. Katz, Sie haben bereits einige Patientenfälle auf DocCheck dokumentiert. Dabei beschreiben Sie häufig die schwerwiegenden Fehler der vorherigen Behandlungen, bevor die Patienten bei Ihnen vorstellig wurden. Welche Fehler müssen Sie immer wieder erleben und worin sehen Sie das größte Potenzial, direkt von Beginn an die Wundheilung optimal zu unterstützen? Dr. Katz: Wenn man bedenkt, dass circa 70 % aller offenen Beine venös bedingt sind, zeigt diese Zahl, dass im Vorfeld schon sehr viel schief gelaufen ist. Ein chronisch venöses Ulcus dürfte es heute nicht mehr geben. Wenn man frühzeitig die Krampfadern operiert, dabei die so genannten Perforansvenen, besonders im Innenknöchelbereich, also die Cockettvenen nicht vergisst, die Schwellung rechtzeitig bekämpft, hat man die häufigsten Mechanismen in der Entstehung offener Beine beseitigt. Dieser Fall wird repräsentiert durch die achtzigjährige Patientin aus dem Stuttgarter Raum, die 25 Jahre offene Beine hatte und auch amputiert werden sollte: Ich hatte diesen Fall unter anderem auf DocCheck veröffentlicht. Ein einfaches venöses offenes Bein, in diesem Falle sogar beidseits, verursachte mehrere 100.000 € an Kosten. Obwohl der ambulante Pflegedienst zehn Jahre täglich die Patienten behandelt. Die wahrscheinlich etwas schwierigere Gruppe sind Patienten mit Postthrombotischem Syndrom: Durch den Verschluss der tiefen Venen und oder die Überdehnung des tiefen Venensystems kommt es zu einem venösen Hochdruck. Dieser führt zu Schwellungen, die unbehandelt irgendwann in einem offenen Bein münden. Auch hier könnten Kompressionsverbände die Schwellung erfolgreich verhindern und es käme erst gar nicht zu einem offenen Bein. Zusammenfassend: Die mangelnde Kompressionstherapie bewirkt leider heute noch unnötig viele offene Beine. Hier gilt es anzusetzen, denn wir reden von circa 70 % aller offenen Beine. DocCheck: Im Vorfeld des Interviews haben Sie bereits angedeutet, dass Sie ein großer Verfechter der „herkömmlichen“ Wundheilungsverfahren sind, dem „modernen Wundheilungsmanagement“ also eher skeptisch gegenüber stehen. Warum? Dr. Katz: Ist es nun zu einem chronischen Geschwür gekommen, wird zu sehr auf die sogenannte "Moderne Wundversorgung" mit immer neuen Wundauflagen geschielt. Es gibt wenig Evidenz, aber sehr viele verschiedene Unterlagen, circa 800 verschiedene Wundauflagen sind auf dem Markt. Es herrscht eine große Verunsicherung, wann welche Auflage angewendet werden sollte. Dies dürfte auch manchmal sehr schwer sein, da man immer wieder von „Stadien-gerechter" Therapie spricht. Wir finden praktisch in jeder Wunde in den ersten Wochen, und leider auch Monaten, alle verschiedenen Stadien: von der Nekrose über die Exsudation bis zur Granulation und Epithelisierung. Ich rate jedem, der sich mit Wundversorgung chronischer Wunden intensiv beschäftigt, sich auf einige wenige Wundauflagen zu beschränken. Wir selbst kommen mit sehr wenig aus! Und ob die Verteilung der behandelnden Ärzte auf so viele Schultern tatsächlich einen Vorteil für den Patienten bringt, wage ich zu bezweifeln. Ich bin der Meinung, dass die Ärzte die Wundversorgung wieder mehr in die eigene Hand nehmen sollten. Es ist wirklich ein schönes Gefühl, den Patienten, von der zum Teil riesigen chronischen Wunde bis zur endgültigen Abheilung, eng zu betreuen. Die derzeitige Behandlung, ob nun ambulant oder auch stationär, ist als grausam zu bezeichnen. Wenn Sie das Internet durchforsten, stoßen sie überall auf diese Aussage. Bei den schweren Fällen, die Jahre bis Jahrzehnte bestehen, lässt sich ein stationärer Aufenthalt nicht vermeiden. Vor Kurzem sagte mir ein Dermatologie-Professor, Chef einer großen Hautklinik, "die offenen Beine sind bei uns die defizitärste Abteilung“. Das ist auch kein Wunder, wenn man die heutigen Fallpauschalen und sogenannte "Höchstverweildauer" betrachtet. Ein Ulcus, welches 15 Jahre offen ist und an beiden Beinen 1.000 Quadratzentimeter Wundfläche bedeutet, bekommt man in 28 Tagen nicht zu. Man darf fragen, ob eine 15 bis 25-jährige Therapie nicht den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. DocCheck: Welcher Patientenfall wird Ihnen wohl immer im Gedächtnis bleiben? Dr. Katz: Es ist diese nun achtzigjährige Patientin, mit 1.000 Quadratzentimeter an beiden Beinen, die erst am rechten Bein amputiert werden sollte, wahrscheinlich später auch am linken Bein. Denn wenn man das offene Bein nicht zu bekommen hatte, warum sollte es dann plötzlich abheilen? Nach einer Amputation des anderen Beines? Wundauflagen für mehrere 100.000 €, 25 Jahre Leiden, täglich Wundexperten im Haus - man stelle sich vor, es wäre die eigene Mutter. Die Krankenkasse hat bisher noch keinen Euro an uns bezahlt. Aber die Amputation und die Folgekosten werden problemlos erstattet, auch die bisherigen sinnlosen Behandlungen wurden bezahlt. Wir konnten circa 90 % abheilen, und der ambulante Pflegedienst ist jetzt noch keinen Schritt erfolgreich gewesen. Einen weiteren aktuellen Fall finden Sie derzeit bei DocCheck Ask. Dr. Katz freut sich über reges Mitdiskutieren! Alle hier angesprochenen Patientenfälle und Kongressvorträge von Herrn Katz finden Sie hier. 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