Heute startet der Gesundheitskongress des Westens, auf dem sich namhafte Gäste aus Politik und Medizin tummeln. Wir sind vor Ort und halten euch über alle hitzigen Debatten und Diskussionen auf dem Laufenden.
In den altehrwürdigen Gemäuern des Gürzenich in Köln findet auch in diesem Jahr der Gesundheitskongress des Westens statt. Rund 800 Gäste aus der Gesundheitsbranche finden an diesem Mittwochmorgen den Weg in die Säle, in denen über politische wie auch fachliche Themen berichtet, diskutiert und gestritten wird.
Wer am frühen Morgen auf einen ruhigen Start des Kongresses gehofft hatte, wurde jäh wachgerüttelt als NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann die Bühne betritt und Luft holt zur Wutrede. Wohl als Warmlauf für die später am Tag stattfindende Gesundheitsminister-Runde mit dem BMG in Berlin nahm sich der Düsseldorfer Krankenhauslenker das Motto des Kongresses „Bereit zur Veränderung – nutzen wir die Chance“ zum Anlass, um erste Spitzen gen Lauterbach zu schießen und neben der Art und Weise der Kommunikation auch den Unmut über das „Wie“ der Krankenhausreform zu äußern.
„Es braucht regionale Kenntnisse, um Krankenhausplanung zu machen. Das kann man nur theoretisch aus Berlin herbeiführen, praktisch ist das aber nicht möglich. Strukturreformen sind Veränderungen an einem lebenden System, da muss man bereits während der Veränderung wissen, wohin die Reise geht“, meint Laumann und macht mit lauter Stimme und klaren Worten deutlich, was passiert, wenn der Krankenhausplan durchgedrückt wird, wie er aktuell formuliert ist: „Man muss die Finanzierung für den Umbau kennen, bevor das Gesetz abgesegnet wird. Erst dadurch kann man abschätzen, was es für die Kreise bedeuten wird.“ Sein Vorschlag dazu sind „begründete Ausnahmen, die Länder in entsprechenden Fällen einreichen können“. Kommt es nicht so, erklärt Laumann kurz wie kompromisslos: „Dann gehen wir gemeinsam mit anderen Ländern vor das Bundesverfassungsgericht.“
Es braucht Veränderungen und es braucht sie bald – auf diese Notwendigkeit können sich die Krankenhausplaner Prof. Christian Karagiannidis, Mitglied des Expertenrats des Bundeskanzleramts, Birgit Szymczak, Stabstelle Krankenhausplanung beim Ministerium für Arbeit Gesundheit und Soziales des Landes NRW, Dr. Peter-Johann May, Krankenhausgesellschaft NRW und Thorsten Kaatze, Vorsitzender der Geschäftsführung Evangelisches Klinikum Bethel einigen. Bei der Frage nach der Dringlichkeit werden die Redner konkret.
„Das Krankenhaussystem ist im Grunde wie Alzheimer. Die Fassade steht noch, aber da ist nichts und niemand mehr drin“, vergleicht Karagiannidis und beantwortet die Fragen nach der Herausforderung ehrlich: „Wir dachten, dass es so [schwierig] wird. Aber die Corona-Pandemie zu bewältigen, war dagegen ein Spaziergang.“ Insbesondere vor dem Blick einer alternden Gesellschaft müsse jetzt umgesteuert werden, denn, „wenn wir an dem festhalten, was wir haben, werden wir wie die Titanic untergehen“, pflichtet Kaatze bei.
Karagiannidis sieht insbesondere die kommenden beiden Jahre als letzten Strohhalm, um das Ruder umzureißen. So werden laut seinen Prognosen 2025 erstmals die Partikularinteressen aller am System Beteiligten – von Patienten, Ärzten, Gesundheitswirtschaft bis Forschung – nicht mehr miteinander vereinbar sein. Neben der enormen Steigerung von Kosten im ambulanten wie stationären Sektor nennt er die Pflegesituation sowie die GKV-Stabilisierung als Grundthemen, denen man dauerhaft begegnen werde. Wie man an dem Beispiel der Vogelgrippe in den USA derzeit sähe, werden wir auch mit mehr Pandemien konfrontiert sein – und möglicherweise in den nächsten 10 Jahren erneut begegnen. Ein drohender oder eintretender Bündnisfall werde die Belastung des Systems darüber hinaus aus- und überreizen.
Kaatze weiß zudem aus der Praxis, dass der demografische Wandel „den Fachkräftemangel zu einem Kräftemangel machen werde“, denn neben MFAs oder Pflegekräften werden auch elementare Berufe wie beispielsweise in der (Wäsche-)Reinigung kaum noch zu besetzen sein.
Auch an Vorschlägen, um der Entwicklung Vorschub zu leisten, mangelt es nicht. Arbeitskraft könne beispielsweise auch „inhouse“ gewonnen werden, ohne Menschen aus dem Ausland abzuwerben. „Wenn wir den Bürokratieabbau effektiv gestalten und die Prozesse optimieren, lassen sich so 10–20 % an ärztlicher und pflegerischer Arbeit freilegen“, erklärt May. Ebenso müsse es ein gesellschaftliches Umdenken geben und eine gänzlich andere Bevölkerungskommunikation betrieben werden. „Die Übertherapie in Deutschland gehört zurückgefahren oder abgeschafft“, so Karagiannidis. „Vielfach ist es erst das größere Angebot, das auch die größere Nachfrage schafft.“
Ein wenig exklusiver stand Karagiannidis mit seinem Plädoyer für die Teilhabe von Privatwirtschaft im Gesundheitswesen bzw. Kliniken. Diese gehören nicht über den Kamm verteufelt und hätten gegenüber kommunalen Einrichtungen den immanenten Vorteil, dass sie Veränderungen weitaus schneller und in Teilen effizienter durchführen könnten. An der Vielfalt an Trägerschaften müsse entsprechend festgehalten werden.
Auch in der Frage nach der Aufgabenteilung von Niedergelassenen und Kliniken waren sich die Redner nicht ganz einig. Während die einen eine klare Grenze der fachärztlichen Leistung befürworteten, kam andererseits auch der Wille nach einem weitestgehenden Ende der Sektorengrenzen auf – bei grundsätzlicher Öffnung der Krankenhäuser.
Um irgendeiner Art von Ziel näher zu kommen, waren sich aber alle einig, dass es generell um Konsens und ein Miteinander gehen muss – zwischen Niedergelassenen und Kliniken, Politik und Kassen wie auch Ärzten und Patienten. Ob das einem streitlustigen Minister Laumann heute auch in Berlin gelang, mag der nächste X-Kommentar oder Gesetzentwurf zeigen.
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