Viele Patienten mit vermeintlicher Penicillin-Allergie haben gar keine. Ärzte überpüfen das nur selten und weichen stattdessen auf andere Antibiotika aus – mit gefährlichen Konsequenzen. Eine neue „Klug entscheiden“-Empfehlung will das ändern.
Die Initiative „Klug entscheiden“, ins Leben gerufen von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), zielt darauf ab, der medizinischen Über- und Unterversorgung in Deutschland entgegenzuwirken. In Zusammenarbeit mit zwölf Fachgesellschaften arbeitet sie kontinuierlich an der Entwicklung weiterer Empfehlungen, sowohl positiver als auch negativer, um sinnvolle Entscheidungshilfen in der medizinischen Versorgung bereitzustellen.
Eine dieser Fachgesellschaften ist die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI). Auf dem Kongress der DGIM in Wiesbaden wurden jetzt neue Empfehlungen im Bereich der Infektiologie vorgestellt.
Das Thema der Penicillinallergie ist keineswegs neu und wird vor allem in den Fachbereichen der Allergologie und Infektiologie seit geraumer Zeit diskutiert. Bereits in der S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“ wird die Empfehlung ausgesprochen, eine anamnestisch angegebene Penicillinallergie zu überprüfen. Doch warum ist dieses Thema überhaupt von Bedeutung? Schließlich stehen uns doch andere Antibiotika wie Cephalosporine, Fluorchinolone, Vancomycin oder Clindamycin zur Verfügung, die wir bei einer Penicillinallergie verordnen können.
Die Penicillinallergie stellt die am häufigsten dokumentierte Medikamentenallergie in Deutschland dar. Etwa 10 bis 20 % der hospitalisierten Patienten geben an, eine Penicillinallergie zu haben. Sobald dies bei der stationären Aufnahme angegeben wird, erfolgt eine Dokumentation in den Krankenakten, und die Verabreichung von Penicillinen wird vermieden.
Das Ausweichen auf Antibiotika der zweiten Wahl führt jedoch zu einer Verlängerung der Liegedauer und einer erhöhten Mortalität. Darüber hinaus steigt die Inzidenz von Infektionen mit Clostridioides difficile, und die Kosten der Versorgung nehmen zu.
Ein anschauliches Beispiel ist die Therapie von Staphylococcus aureus. Liegt eine anamnestisch angegebene Penicillinallergie vor, wird bei einem sensiblen Erreger (Methicillin-sensibler Staphylococcus aureus; MSSA) oft anstelle der ersten Wahl mit Flucloxacillin oder Cefazolin die zweite Wahl Vancomycin verschrieben. Allerdings zeigt eine retrospektive Studie aus den USA eine bemerkenswerte Reduktion der Sterblichkeitsrate um 43 %, wenn als definitive Therapie bei MSSA ein Antistaphylokokkenpenicillin oder Cefazolin anstelle von Vancomycin angewendet wird.
Aber wenn eine Penicillinallergie vorliegt, hat man gar keine andere Wahl, könnte man jetzt argumentieren. Das Problem liegt jedoch darin, dass etwa 90 % der angegebenen Penicillinallergien keine echten Allergien sind. Darüber hinaus ist bekannt, dass etwa 80 % der Patienten mit einer echten Penicillinallergie vom Soforttyp diese nach 10 Jahren verlieren. Bei den anamnestisch angegebenen Penicillinallergien handelt es sich häufig um unspezifische Unverträglichkeiten oder Hautausschläge in der Kindheit.
Aufgrund dessen ist es äußerst wichtig, die anamnestisch angegebene Penicillinallergie gründlich zu evaluieren, wie es in der „Klug entscheiden“-Empfehlung beschrieben ist. Hierbei können mögliche Diagnostiktools wie der PEN-FAST-Score zur Risikobewertung einer anamnestischen Penicillinallergie hilfreich sein (DocCheck berichtete).
Quellen:
Huang et al. The Impact of Reported Beta-Lactam Allergy in Hospitalized Patients With Hematologic Malignancies Requiring Antibiotics. Clin Infect Dis, 2018. doi: 10.1017/ash.2023.144
McDanel et al. Comparative effectiveness of beta-lactams versus vancomycin for treatment of methicillin-susceptible Staphylococcus aureus bloodstream infections among 122 hospitals. Clin Infect Dis, 2015. doi: 10.1093/cid/civ308.
Trubiano et al. Development and Validation of a Penicillin Allergy Clinical Decision Rule. JAMA Intern Med, 2020. 10.1001/jamainternmed.2020.0403
Bildquelle: Austin Distel, Unsplash