Junge Wissenschaftler haben in Deutschland kaum eine Karrierechance – damit stehen wir viel schlechter da als unsere Nachbarländer. Lest hier, wie die Politik die Situation weiter verschlimmbessert.
„Ihnen ist bewusst, dass das schon in Ihre sechs Jahre rein zählt?“ Während meiner Zeit an der Universität fiel meine Anstellung unter das Wissenschaftszeitvertragsgesetz – ein Versuch der Politik, die Arbeitssituation an Hochschulen zu verbessern. Doch statt diese zu verbessern, sorgt das Gesetz für noch mehr Druck in der Wissenschaft. Eine Reform soll das jetzt ändern, aber der Schuss wird wohl nach hinten losgehen.
Medizin und Forschung sind untrennbar miteinander verbunden: ohne Forschung keine Innovation. Doch der Arbeitsmarkt in der Forschung ist für viele unattraktiv. Zeit-, Leistungs- und Publikationsdruck gehören zum guten Ton – Wochenendarbeit ist eine Frage der Ehre. Doch das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Am prekärsten steht es nämlich um deutsche Jungwissenschaftler, die in der Regel befristet angestellt sind und für deutlich weniger Stunden bezahlt werden, als sie in Wirklichkeit arbeiten. Laufen diese Verträge nach wenigen Jahren aus, geht die Suche aufs Neue los, denn Festanstellungen sind rar gesät. Darum entscheiden sich auch viele Jungwissenschaftler, die Forschung frühzeitig zu verlassen – für eine bessere Planbarkeit und Wertschätzung ihrer Arbeit. So verliert der Forschungssektor allerdings kompetente und gut ausgebildete Arbeitskräfte. Was es braucht, sind Umstrukturierungen und mehr Festanstellungen im akademischen Mittelbau.
Die Rettung – nach Meinung der Politik – soll das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) bringen. Dieses Gesetz, das 2007 in Kraft getreten ist, soll regeln, dass Wissenschaftler in der universitären Forschung nur eine begrenzte Anzahl an Jahren an einer Hochschule in Deutschland auf befristeten Verträgen angestellt sein dürfen. Ganz konkret: Junge Wissenschaftler dürfen bis zu sechs Jahre befristet angestellt sein. Wird in diesem Zeitraum eine Promotion abgeschlossen, können weitere sechs Jahre in der Medizin bis zu neun Jahre mit befristeten Verträgen als Post Doc an einer deutschen Hochschule folgen. Sind diese 6 + 6 oder 9 Jahre aufgebraucht, muss entweder eine unbefristete Stelle folgen oder die Karriere in der universitären Forschung ist vorerst Geschichte.
Die Idee, die dahintersteckt, verdeutlichte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) damals in einem etwa zweiminütigen animierten Video. Die Protagonistin des Videos: Promotionsstudentin Hanna. Sie freut sich über das WissZeitVG, weil es ihr mehr Planungssicherheit garantiert. Kein ständiges Hangeln mehr von Zeitvertrag zu Zeitvertrag.
Der Karriereweg in der Forschung innerhalb des Hochschulsystems ist somit vorgegeben – Promotion, Post Doc und im Anschluss eine Professur oder der Ausstieg und somit der Wechsel in die Industrie oder den medizinischen Alltag. Durch die Befristung von Post-Doc-Stellen werden diese im regelmäßigen Turnus frei für neue Jungwissenschaftler und sind nicht mehr durch andere „verstopft“ (so die Wortwahl des Ministeriums im inzwischen gelöschten Video), die ewig auf diesen Stellen sitzen würden. Dies führe zu mehr Fluktuation und dadurch Innovation.
Wer in der universitären Forschung bleiben möchte und innerhalb dieser Zeit habilitiert, kann dann auf die Jagd nach Professuren gehen, denn abgesehen von wenigen Ausnahmen sind diese Stellen so ziemlich die einzigen unbefristeten an Hochschulen. Diese Stellen sind jedoch heiß begehrt und rar (weil „verstopft“, so munkelt man) und auch das Abgreifen der wenigen Stellen im akademischen Mittelbau gleicht eher einem Glückspiel als sicherer Zukunftsplanung.
Laut einer Statistik des BMBF sind etwa 92 % der unter 45-jährigen und sogar 98 % der unter 35-jährigen Jungwissenschaftler in befristeten Anstellungen beschäftigt. Das zeigt deutlich: Diese Gruppe trägt das gesamte System der Forschung an Hochschulen und gestaltet diese maßgeblich mit. Und trotzdem heißt es nach Jahren der unbezahlten Überstunden, 50 % Verträgen und Leistungsdruck auch schon wieder „Das war’s, Dankeschön!“
Das Video des Bundesministeriums löste großes Empören unter Wissenschaftlern aus, die schon lange die Nase voll vom WissZeitVG haben. Unter dem Hashtag #ichbinHanna lassen seither Wissenschaftler in Deutschland ihrem Frust freien Lauf und teilen ihre persönlichen Erfahrungen im System der universitären Forschung. Es muss eine Veränderung geben und dazu gehört der Ausbau des akademischen Mittelbaus und damit von unbefristeten Stellen. Diese müssen geschaffen werden, um gute Wissenschaftler in der Forschung behalten zu können und diese nicht an Behörden, das Ausland oder andere Kliniken zu verlieren.
Das hat auch die Ampelkoalition verstanden und versprach eine Reform des WissZeitVG. Eigentlich hätten sie nicht so viel falsch machen können, Lösungsansätze und Ideen zur Verbesserung der Situation gab es schließlich wie Sand am Meer. Das BMBF ist jedoch mit seiner geplanten und inzwischen beschlossenen Reform nicht übers Ziel hinausgeschossen, sondern mit verbundenen Augen am Ziel vorbeigelaufen und hat es dabei nicht mal über die Startlinie geschafft. Statt also den Ausbau vom akademischen Mittelbau voranzutreiben und Anreize für Hochschulen zu schaffen, unbefristete Verträge abzuschließen, hat sich das Ministerium ein ganz besonderes Schmankerl überlegt. Statt wie bisher 6 + 6 oder 9 Jahre, dürfen Jungwissenschaftler unabhängig vom Fachbereich lediglich vier Jahre nach Erhalt des Doktorgrads in befristeten Post-Doc-Verträgen arbeiten und forschen.
Bedeutet unterm Strich: Noch mehr Leistungsdruck, größere Konkurrenz und wenn das Burnout schneller kam als die Festanstellung, auch ein schnelleres Karriereende in der universitären Forschung.
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Laufen die Post-Doc-Jahre ab und es wird keine geeignete Professur frei, wandern Forscher ins Ausland oder in die Industrie ab – die Grundlagenforschung verliert wichtige Arbeitskräfte und Deutschland als Wissenschaftsstandort seine Glaubwürdigkeit. Als solcher sollte man nicht nur Spitzenforschung fördern, sondern auch Möglichkeiten in der Grundlagenforschung schaffen. Denn auch wenn das Erforschen von thermophilen gramnegativen Bakterien zunächst nicht nach einer Heilung für Krebs klingt, so führte die Entdeckung von Thermus aquaticus zumindest zur Isolation der Taq-Polymerase, ohne die es DNA-Vervielfältigung mithilfe von PCR in der Form, wie wir sie heute kennen, nicht geben würde.
Mediziner in der Forschung sind ein unverzichtbarer Teil der Innovation, wenn es um Therapiemöglichkeiten und Grundlagenerforschung von Krankheiten geht. Doch diesen Karriereweg einzuschlagen, wird durch die Reform des Gesetzes immer unattraktiver. Wandern Wissenschaftler, die mit brennender Passion die epidermale Homöostase auf Zebrafisch-Schuppen untersuchen, oder Mediziner, die sich der Erforschung von Mutationen der Fumarat-Hydratase verschrieben haben, ab, kommt es nicht nur zum Verlust gut ausgebildeter Arbeitskräfte, sondern auch zum Verlust von Expertenwissen. Aber genau diese Leidenschaft und dieses Wissen braucht es in der Grundlagenforschung, um neue Erkenntnisse zu schaffen und Innovation voranzubringen.
Die einzige Tür, die das Ministerium offenhalten möchte, ist die Finanzierungsmöglichkeit über Drittmittel. Laufen die für PhD und Post Doc vorgesehenen Jahre ab, so können Wissenschaftler weiterhin in universitären Einrichtungen bleiben, vorausgesetzt, die Finanzierung ihrer Forschung läuft hauptsächlich über Drittmittel. „Drittmittel sind Mittel, die von den Hochschulen zur Förderung von Forschung und Entwicklung sowie des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Lehre zusätzlich zum regulären Hochschulhaushalt (Grundausstattung) von öffentlichen oder privaten Stellen eingeworben werden“, so die Definition des Statistischen Bundesamtes.
Diese Drittmittel können aus unterschiedlichen Quellen stammen, wie etwa von großen Stiftungen, privaten Investoren oder Unternehmen. Doch auch diese Mittel sind projektbezogen und damit zeitlich begrenzt – das Problem von fehlenden Festanstellungen wird so nicht gelöst. Auch bleibt bei privaten Geldern immer ein fader Beigeschmack. Denn private Unternehmen investieren in der Regel nicht ohne eigene Agenda in ein Forschungsprojekt.
Diese Reform bringt also mehr Übel als Verbesserung. Der Konkurrenzdruck wird verschärft, unethische Praktiken wie das Schönrechnen von Ergebnissen, schlampiges Arbeiten aufgrund von Zeitdruck oder Datenklau könnten durch die neue Reform gefördert werden. Das ist nicht nur höchst unmoralisch, sondern führt auch zu Verschwendung von Forschungsgeldern und bremst auf lange Sicht den Fortschritt. Schließlich konkurrieren deutsche Wissenschaftler mit jenen aus dem Ausland, die für die gleiche Leistung deutlich mehr Zeit zur Verfügung haben. Planbarer wird dadurch lediglich der frühere Ausstieg aus der Wissenschaft. Das könnt ihr besser, BMBF!
Bildquelle: Claire Mueller, Unsplash