Gedächtnisambulanzen sind bei der Demenz-Früherkennung von zentraler Bedeutung. Doch für Betroffene auf dem Land gibt es eine besondere Hürde: lange Fahrtzeiten. Wie lässt sich das Problem lösen?
Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT), Biomarker oder psychologische Testverfahren: Mit der zunehmenden Verfeinerung der diagnostischen Möglichkeiten werden Gedächtnisambulanzen für Menschen mit Gedächtnisbeeinträchtigungen künftig immer wichtiger. Gedächtnisambulanzen tragen als spezialisierte Einrichtungen maßgeblich zu einer qualitativ hochwertigen Diagnose und damit zu einer abgesicherten Abklärung bei, ob eine Demenz vorliegt – oder ob eine andere Erkrankung für Einbußen bei der Gedächtnisleistung verantwortlich ist. So können zum Beispiel Depression, Stoffwechselstörungen und Schilddrüsenunterfunktionen zu einem Rückgang der kognitiven Leistungsfähigkeit führen.
Diese Abklärung ist gerade dann wichtig, wenn es um die zeitgerechte Diagnostik von demenziellen Erkrankungen geht. „Demenzerkrankungen werden häufig überhaupt nicht oder erst viel zu spät und in weit fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert“, erläutert Jana Rühl, Erstautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei digiDEM Bayern. Je früher aber eine Demenz erkannt wird, desto früher können die damit einhergehenden Symptome behandelt werden. „Außerdem steht An- und Zugehörigen mehr Zeit zur Verfügung, um sich auf die Erkrankung einzustellen und die künftige Versorgung zu planen“, sagt Jana Rühl.
Gedächtnisambulanzen kommt zudem eine strategische Schlüsselfunktion zu. Nur sie können jene Patienten identifizieren, die für die Therapien mit neuen Anti-Alzheimer-Medikamenten geeignet sind. Dazu gehören Betroffene, bei denen gleichzeitig eine leichte Gedächtnisbeeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, MCI) und eine diagnostisch nachgewiesene Alzheimer-Pathologie vorliegt. In Bayern ist auf der Grundlage von internationalen epidemiologischen Studien und den aktuellen Bevölkerungsdaten von rund 313.000 Patienten mit MCI und gleichzeitig einer Alzheimer-Pathologie auszugehen.
Welche entscheidende Rolle deshalb die Erreichbarkeit der in Bayern bestehenden Gedächtnisambulanzen spielt, unterstreichen die Studienergebnisse. Nur 5 der insgesamt 29 Gedächtnisambulanzen in Bayern befinden sich in ländlichen Regionen. „In ländlichen Räumen müssen Betroffene häufig weite Wege zurücklegen“, erklärt Humangeographin Jana Rühl. „Die Hälfte der Menschen mit Demenz, die im ländlichen Bereich leben, muss fast 40 Minuten fahren.“
„Für betagte und hochbetagte Menschen können 40 Minuten eine große Beschwernis bedeuten, wobei die Rückfahrt noch gar nicht eingerechnet ist“, sagt Neurologe Prof. Peter Kolominsky-Rabas, Co-Autor und digiDEM Bayern-Projektleiter. „Mehr als ein Viertel – was rund 27.500 Menschen entspricht – müssen sogar mehr als 40 Minuten Fahrtzeit zur nächsten Gedächtnisambulanz in Kauf nehmen“, so Rühl. Anders die Hälfte der Betroffenen im städtischen Raum: Sie können die nächste Gedächtnisambulanz in unter 20 Minuten erreichen.
Dieses Missverhältnis gelte besonders für bayerische Gemeinden nahe der tschechischen und österreichischen Grenze. „Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Betroffene haben nicht nur besonders weite Wege zur nächsten Gedächtnisambulanz zurückzulegen. Zukünftig werden diese Gemeinden verstärkt von Überalterung betroffen sein. Dies bedeutet, dass mit mehr Demenzpatientinnen und Demenzpatienten und mit einem Mehr an Demenzdiagnostik zu rechnen ist“, erläutert Kolominsky-Rabas.
Die Analysen der Reisezeiten beruhen dabei auf geschätzt 234.032 Menschen mit Demenz, die zum Stichtag in Bayern lebten. Dies entspricht einem Anteil von 8,6 Prozent an den über 65-jährigen Bayern. In der Studie kommt das Forschungsteam aber auch zu dem Schluss: Der Großteil der Menschen mit Demenz in Bayern erreicht die jeweils nächstgelegene Gedächtnisambulanz im Durchschnitt in unter 40 Minuten Fahrtzeit.
Im Rahmen der Publikation simulierte die Autorengruppe ergänzend verschiedene Szenarien für die Oberpfalz mit einem oder mehreren zusätzlichen Standorten für eine Gedächtnisambulanz. Kolominsky-Rabas erklärt: „Der gezielte Ausbau von Gedächtnisambulanzen in Gebieten, die lange Fahrtzeiten erfordern, wäre sinnvoll. Als Innovation ist auch eine auf die Menschen zugehende Diagnostik in Form mobiler Diagnostikangebote denkbar.“
Der Neurologe betont: „Ähnlich wie dem in Bayern bereits etablierten Mammo-Mobil könnte ein ‚digiDEM Bayern Diagnostik-Mobil‘ die Abklärung vor Ort wohnortnah ermöglichen und damit den Zugang zur Diagnostik niederschwellig und zeitsparend gestalten.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Austin Ban, Unsplash